Wer ersetzt Reus, der noch schwerer verletzt ist als zunächst angenommen? Die besten Chancen haben Podolski und Schürrle. Sie sind dynamischer und robuster geworden

Santo André. In der Vermarktungsmaschine des modernen Fußballs ist es für Spieler mittlerweile wichtig, sich einen unverwechselbaren Markenkern zu erschaffen. Lukas Podolski zum Beispiel hat sich beharrlich den Ruf des Gute-Laune-Onkels erworben. Im DFB-Flieger nach Brasilien am Wochenende kam der 29-Jährige als einziger Nationalspieler nach hinten in die Maschine, wo die Journalisten saßen, riss ein paar Witze und ließ die Reporter lächelnd zurück.

Podolskis Werk war damit aber noch nicht vollendet: Sitznachbar Bastian Schweinsteiger war auf dem Flug eingepennt, und Podolski postete später ein Foto im Internet, das diesen breit grinsend mit dem Schlafenden zeigte. Podolski ist also immer noch der Klassenclown – der Poldi, wie früher. Unter dem ganzen Karneval-Image des Bergheimers aber ging in den vergangenen Jahren irgendwie der Fußballprofi verschüttet. Fast vergessen, dass es da ja irgendwann auch mal einen anderen Markenkern gegeben hat: den des schussgewaltigen Linksfußes mit Zug zum Tor.

Das lag nicht vornehmlich an Podolski selbst, sondern am Erstarken des Dortmunders Marco Reus, der ihn in der Nationalelf auf dem linken Flügel verdrängte – Markenkern: Ausnahmespieler mit Hang zu extravaganten Frisuren. Reus aber ist nun wegen einer schweren Verletzung in Brasilien nicht dabei – und verpasst vermutlich auch den Saisonauftakt bei Borussia Dortmund. Am Dienstag teilte der Verein mit, dass bei einer erneuten Untersuchung neben dem Teilriss der vorderen Syndesmose oberhalb des linken Sprunggelenks zusätzlich ein knöchernen Bandausriss an der Fersenbein-Vorderseite festgestellt wurde. Drei Monate Pause sind wahrscheinlich.

In Brasilien muss nun Löw eine Entscheidung über den Ersatz fällen. Dafür werde er die Trainingseindrücke heranziehen: „Welche Spieler machen bis zum Spiel gegen Portugal noch Fortschritte – technisch, taktisch, körperlich.“ Da trifft es sich gut, dass Podolski gerade selbst ein bisschen Bergungsarbeit in eigener Sache verrichten kann. Bei den Testspielen gegen Kamerun und Armenien war der Angreifer des FC Arsenal nach seinen Einwechslungen der auffälligste Spieler. Und auch in den ersten Trainingseinheiten in Santo André wirkt er präsent. „Wenn Lukas seine Dynamik entwickelt, ist er kaum zu halten“, schwärmt Löw.

In der Premier League musste Podolski vier Monate lang wegen eines Muskelbündelrisses pausieren und kehrte erst Ende vergangenen Jahres zurück in den Spielbetrieb.

Ob er sich nun wohl in Topform befinde? „Das kann sein. Ich versuche, Gas zu geben, wenn ich spiele“, sagt Podolski. Er hat derzeit die besten Chancen auf den Reus-Platz in der Startelf. Für ihn wäre es die Rückkehr zum alten Standing im DFB-Team.

Für André Schürrle dagegen, den zweiten Anwärter auf die Reus-Position, wäre es ein Karrieresprung, sollte er gegen Portugal in der Startelf stehen. Der 23-Jährige war einer der großen Gewinner der WM-Vorbereitung und überzeugte in den Testspielen. Durch seinen Wechsel zum FC Chelsea vor einem Jahr sei er gereift, sagt Schürrle.

„Ich fühle mich heute viel besser. Ich habe mich weiterentwickelt – körperlich und was die Mentalität betrifft.“ Sein Klubtrainer José Mourinho trage daran großen Anteil: „Er hat diese totale Gier nach Siegen und mich damit besser gemacht.“ Anspruch auf einen Startelfeinsatz will Schürrle nicht stellen, sagt aber: „Ich denke, ich habe in der Vorbereitung meine Sache gut gemacht.“

An seinem Markenkern hat André Schürrle übrigens schon mehrfach geschraubt. In Mainz verärgerte er seinen Trainer Thomas Tuchel mit Popstarauftritten im Fernsehen. Das Image des „Bruchweg-Boys“ ist längst abgestreift. Bei dieser WM könnte das des Überraschungsspielers neu entstehen.