Bundestrainer Löw verspricht vor dem Test gegen Armenien Offensivfußball. Lahm und Schweinsteiger kehren zurück

Mainz. Die Zentrale des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) ist für gewöhnlich ein Ort der Ruhe und der Ordnung. Draußen rauschen die Blätter des Frankfurter Stadtwalds, innen wird der größte Sportverband der Welt mit Gelassenheit und ohne übertriebene Hektik gelenkt. Am Donnerstag aber war die Hölle los. Mitarbeiter in rot-schwarzen Trikots huschten über die Flure, andere schoben gepackte Koffer über die Gänge. Kamerateams drängelten sich, und honorige Funktionäre in Schlips und Anzug hatten vor Aufregung rote Bäckchen. Auch in der Otto-Fleck-Schneise ist ab sofort offiziell das WM-Fieber ausgebrochen. Zwei Tage vor der Abreise nach Brasilien verabschiedeten sich Bundestrainer Joachim Löw und Manager Oliver Bierhoff von den daheimbleibenden Mitarbeitern, die zur Feier des Tages das Auswärtstrikot der Nationalmannschaft übergestreift hatten.

Sonnabend, 22 Uhr, startet die Auswahl der besten Fußballer des Landes Richtung Brasilien und landet zwölf Stunden später im Land der WM. Einen Tag zuvor gibt es die Generalprobe. Im Länderspiel gegen Armenien an diesem Freitag (20.45 Uhr, ZDF und Liveticker auf abendblatt.de) geht es um vielerlei: Die Fans sollen noch einmal positiv eingestimmt werden auf das Weltturnier, der Trainer kann noch einmal die Form seiner Spieler unter die Lupe nehmen und zudem auf den ersten WM-Gegner einstellen.

Denn Armenien soll den ersten Vorrundenkontrahenten Portugal doubeln, so wie Kamerun am vergangenen Sonntag Ghana imitieren sollte. „Die Armenier sind auch eine Kontermannschaft, haben eine forsche Art zu spielen“, will Löw erkannt haben. Nur, dass in den Reihen der Kaukasusrepublik beim besten Willen kein Cristiano Ronaldo zu finden ist. Wobei ohnehin fraglich ist, ob der Weltfußballer überhaupt einsatzfähig sein wird. Derzeit laboriert „CR7“ an einer entzündeten Patellasehne. „Wenn er spielt, haben wir Mittel und Wege, ihn zu stoppen“, sagte der Bundestrainer.

Bevor er über Portugal redet („Wir beobachten sie seit zwei Jahren intensiv“), würde Löw allerdings gern über Armenien sprechen. Er weiß: Generalproben vor einem großen Turnier sind immer eine zwiespältige Geschichte. Denn während die Fans einen krachenden Abschied ihrer Mannschaft erhoffen, wollen die Spieler sich so kurz vor dem großen Event auf keinen Fall noch wehtun. Darum werden diese Gegner auch selten aus den oberen Regionen der Weltrangliste rekrutiert.

2012 war es Israel, das sich recht bereitwillig 2:0 schlagen ließ. Zwei Jahre zuvor siegte Deutschland vor der WM in Südafrika gegen Bosnien-Herzegowina mit 3:1. Die letzte verlorene Generalprobe datiert aus dem Jahr 2004. Damals unterlag die von Rudi Völler trainierte Mannschaft gegen Ungarn mit 0:2 und schied anschließend in der WM-Vorrunde aus. Entscheidende Erkenntnisse sind bei so einem Spiel nur begrenzt zu erwarten. Immerhin: Die zuletzt angeschlagenen Bastian Schweinsteiger und Philipp Lahm können nach ihren Blessuren wieder mitmischen, beide trainierten in den drei freien Tagen individuell. „Sie werden zu Einsätzen kommen. Ich gehe nach Rücksprache mit den Ärzten davon aus, dass es keine Probleme geben wird“, sagte Löw. Beide bräuchten nun Wettkampfrhythmus: „Wie lange sie am Freitag jeweils spielen werden, muss man sehen.“ Dahingegen steht die Einsatzzeit von Manuel Neuer schon fest. Sie wird exakt null Minuten betragen. Das Risiko, dass der an der Schulter verletzte Torwart gegen Armenien aufläuft und einen Rückschlag erleidet, ist der sportlichen Leitung zu groß. „Manuel ist voll im Zeitplan, kann mit der Schulter alles tun. Er wird in Brasilien voll ins torwartspezifische Training einsteigen“, sagte Löw.

Während es um die drei Sorgenkinder also ruhiger wird, ebbt die Diskussion um das Leistungsvermögen der deutschen Mannschaft nicht ab. Das 2:2 gegen Kamerun hat viele Fans verunsichert, zu pomadig war die Leistung über weite Strecken des Spiels. Vor allem die schwachen Vorstellungen von Mittelfeldregisseur Mesut Özil und dem „falschen Neuner“ Mario Götze haben Kritik heraufbeschworen. Die allerdings perlt an Löw ab: „Mesut wird regelmäßig von den Fans zum ‚Spieler des Jahres‘ gewählt, darum kann ich diese plötzlich aufkommende Kritik nicht nachvollziehen. Er hat überragende Fähigkeiten.“ Natürlich, fügte Löw an, sei Özil zuletzt in dem ein oder anderen Spiel unter seinem Niveau geblieben. „Aber durch Gespräche und Vertrauen werde ich ihm sein Selbstvertrauen zurückgeben“, sagte Löw.

Auch das Palaver um falsche und richtige Neuner kann Löw nicht mehr hören. „Diese Diskussion werde ich nicht im Koffer mit nach Brasilien nehmen, sonst muss ich noch Übergepäck zahlen“, scherzte Löw. Er hätte genug gelernte Stürmer, sagte er und zählte neben Miroslav Klose und Götze auch noch Thomas Müller, Lukas Podolski, Andre Schürrle und Marco Reus auf. Wie ein Prediger versucht er derzeit, die sich drehende Stimmung wieder in den Griff zu bekommen. Das maue Kamerun-Spiel kam ihm da allerdings in die Quere. „Es ist doch völlig normal, dass in einem solchen Vorbereitungsspiel nicht automatisch eine hundertprozentige Leistung abgeliefert werden kann“, so Löw, „aber ich kann versprechen: Wenn es losgeht, werden wir den WM-Turbo zünden.“

Den „WM-Turbo“? Das hört sich rasant an, doch ob die Vorbereitung mit all ihren Widrigkeiten wirklich ausgereicht hat, um aus den 23 Spielern eine starke Truppe zu machen, muss sich erst noch zeigen. Der Bundestrainer lässt sich seine Vorfreude allerdings nicht nehmen. „Ein gewisses Kribbeln“ verspüre er mittlerweile schon, sagte er, „auch eine große Freude“. Er werde mit einem Lächeln nach Brasilien fliegen. Ob er auch mit einem Lächeln wiederkommt?

Deutschland: Weidenfeller – J. Boateng, Mertesacker, Hummels, Durm – Schweinsteiger, Khedira – T. Müller, Özil, Reus – Klose. Armenien: Berezowski – Mkojan, Harojan, Arzumanjan, Hairapetjan – Jedigarjan, Howsepjan – Manuscharjan, H. Mikhitarijan, Ghazarjan – Mowsisjan.