Tor in der Nachspielzeit ermöglicht Madrid Champions-League-Triumph gegen Stadtrivale Atlético

Lissabon. Sami Khedira stand auf dem Rasen des Estádio da Luz inmitten der singenden und tanzenden Helden und schien doch gar nicht zu ihnen zu gehören. Fast teilnahmslos verfolgte er, wie sich Weltfußballer Cristiano Ronaldo wie ein König huldigen ließ und die Stars von Real Madrid den lang ersehnten Henkelpott herzten und küssten. Khedira stand einfach nur da, eine deutsche Fahne achtlos in die kurze, weiße Hose gestopft, ohne große Regung, aber innerlich aufgewühlt.

„Ich glaube, es war nicht selbstverständlich, dass ich auf dem Platz stehen durfte. Deswegen musste ich das erst einmal verarbeiten“, sagte der deutsche Nationalspieler nach dem Finalsieg von Lissabon. 188 Tage nach seinem Kreuzbandriss war das 4:1 (0:1, 1:1) n.V. seiner Mannschaft im Stadtderby gegen das tapfere Atlético für Khedira ein stiller Triumph – auch, weil er selbst den zehnten Titel fast vermasselt hätte. „Wir waren schon tot“, sagte Khedira über das 0:1 durch Atléticos Diego Godin (36.), das er mitverschuldet hatte.

Real wirkte nach dem Rückstand lange geschockt. 60.976 Zuschauer im Stadion und Hunderte Millionen an den Fernsehgeräten weltweit sahen nichts von der Brillanz, mit der die Spanier im Halbfinale Bayern München von Europas Fußballthron gefegt hatten. Dass Real sich doch noch vom Sterbebett erhob und der Henkelpott (auch) in deutscher Hand blieb, hatten sie vor allem dem späten Ausgleich von Sergio Ramos (90.+3) zu verdanken. „Sergio hat uns wieder einmal gerettet“, sagte Khedira.

Wie zweimal im Rückspiel gegen die Bayern traf Ramos erneut per Kopf. Kein Wunder, dass er danach den Party-Einpeitscher gab. Mit einer purpurroten Capote, dem Stierkämpfertuch, animierte er die Fans zu „Olé“-Rufen. Anschließend bespritzte er Trainer Carlo Ancelotti mit Wasser. Und zu Hause in Madrid kletterte Ramos um sechs Uhr morgens auf den Cibeles-Brunnen und rief den „Madridistas“ zu: „Wir haben den Indios gezeigt, wer in der Hauptstadt das Sagen hat!“ Die Indios, das sind die traurigen Fans von Atlético.

Sie mussten geschockt erdulden, wie die von Ramos' Tor wiederbelebten Nachbarn ihre Lieblinge durch weitere Treffer von Gareth Bale (110.), Marcelo (118.) und dem insgesamt enttäuschenden Ronaldo (120., Foulelfmeter) demütigte. Um 22.36 Uhr Ortszeit stemmte Kapitän Iker Casillas „La Orejona“, den Pokal mit den großen Ohren, auf der Ehrentribüne in den Nachthimmel.

Real-Fan König Juan Carlos I. jubelte mit, Khedira stand abseits und bekam den Pokal erst sehr viel später auf dem Rasen zu fassen. „Nicht ganz so schwer“, wie er es erwartet hatte, sei dieser gewesen, sagte Khedira schmunzelnd, „aber das ist die größte Trophäe im Club-Fußball, ein unglaubliches Gefühl. Das erfüllt einen mit Stolz.“

Der Ärger über das 0:1 war da längst verflogen. Khedira, verunsichert durch den nur zögerlich aus seinem Tor laufenden Casillas, hatte das Kopfballduell gegen Torschütze Godin verloren. „Es ging alles relativ schnell, das war ein unglückliches Tor.“ Unglücklich war sein gesamter Auftritt. Mutig und selbstlos warf er sich in die Zweikämpfe, doch Konstruktives konnte er nicht beitragen. Von Dienstag an soll sich der 27-Jährige im Trainingslager der Nationalmannschaft in WM-Form bringen. „Wir haben noch zwei, drei Spiele. Die werden mir reichen“, sagte er.