Filmemacher Sönke Wortmann spricht über seine Begeisterung für den Bundestrainer, das Imageproblem von Jürgen Klinsmann und das neue Hamburger Musical „Das Wunder von Bern“

Berlin. Als Sönke Wortmann, 54, den Ball unter dem Arm des Fotografen entdeckt, schüttelt er den Kopf. „Ball und Bolzplatz, muss das wirklich sein?“, fragt der Filmemacher. Ja, muss sein. Denn natürlich dreht sich beim Abendblatt-Sportgespräch fast alles um Fußball – schließlich hat Wortmann mit dem Spielfilm „Das Wunder von Bern“ über die WM 1954 sowie dem Dokumentarfilm „Deutschland. Ein Sommermärchen“ über die WM 2006 die beiden erfolgreichsten deutschen Fußballfilme gedreht. Vor allem aber kommt das „Wunder von Bern“ als Musical in die Hansestadt, ab Dezember wird es im eigens gebauten neuen Theater im Hafen (direkt neben dem „König der Löwen“) zu sehen sein. Wortmann berät die Macher von Stage Entertainment und freut sich schon auf die Bühnenfassung des legendären 3:2-Tores von Helmut Rahn.

Hamburger Abendblatt:

Herr Wortmann, Ihr Dokumentarfilm „Deutschland. Ein Sommermärchen“ über die WM 2006 war ein Kassenschlager. Hätten Sie Lust auf eine Neuauflage bei der anstehenden WM in Brasilien?

Sönke Wortmann:

Diese Frage ist mir schon vor der WM 2010 in Südafrika gestellt worden. Meine Antwort ist die gleiche wie damals: Das Sommermärchen 2006 war einmalig, das kann man nicht wiederholen.

Die ungeheure Fußballbegeisterung in Brasilien würde aber bestimmt für magische Bilder sorgen.

Wortmann:

Mag sein. Aber es ist eben für die deutsche Nationalmannschaft keine WM im eigenen Land. Es wird keine Hundertschaft Polizisten geben, die den vorbeifahrenden deutschen Mannschaftsbus mit einer La-Ola-Welle begrüßt. Es werden nicht 20.000 Fans den Sieg im Spiel um Platz drei feiern wie damals in Stuttgart.

Wäre es überhaupt theoretisch wiederholbar? Oder würden Spielerberater, deren Einfluss in den vergangenen Jahren weiter gewachsen ist, ihre Zustimmung an exorbitante Honorare knüpfen?

Wortmann:

Das habe ich mich auch schon gefragt. Ganz ehrlich, ich weiß es nicht. Damals hat uns geholfen, dass wir noch vor dem Projektstart vereinbart hatten, dass der Erlös an die SOS-Kinderdörfer gespendet wird. Da konnte also kein Berater kommen und sagen, er wolle auch einen Anteil vom Kuchen. Am Ende konnte die Fifa vier Millionen Euro an die SOS-Kinderdörfer überweisen, ein Riesenerfolg.

Mit dem Abstand von acht Jahren können Sie es uns jetzt ja verraten. Haben Spieler oder Berater damals versucht, den Film zu zensieren?

Wortmann:

Ich hatte damals mit Teammanager Oliver Bierhoff vereinbart, dass ich den Spielern den Film vorab zeige und Änderungswünsche berücksichtige. Bei einer Szene, wo sich einige Spieler streiten, ob man sich noch von den Fans in Berlin verabschiedet oder es beim Fest in Stuttgart belässt, hatte ich mit Problemen gerechnet. Doch am Ende kam es nur zu zwei marginalen Änderungen. Diese sind nach wie vor vertraulich. Mir hat das gezeigt, dass es ein Vorurteil ist, dass öffentliche Personen alles unter Kontrolle haben wollen. Am Ende wollen auch sie authentisch wirken.

Der frühere Bundestrainer Jürgen Klinsmann ist dennoch nicht glücklich über den Film. Es habe ihm nachträglich geschadet, dass er im Sommermärchen als reiner Motivator rüberkomme, während sein damaliger Assistent Joachim Löw als Taktik-Guru gezeigt wurde.

Wortmann:

Niemand bedauert das mehr als ich. Denn Jürgen Klinsmann war der Initiator, der Mann, der für die Abkehr vom Rumpelfußball in Deutschland gesorgt hat, was heute leider in Vergessenheit geraten ist. Unser Fußball hat ihm so viel zu verdanken. Das Imageproblem ist allerdings erst weit nach dem Film entstanden. Als seine Trainerzeit beim FC Bayern München mit der vorzeitigen Entlassung endete, argumentierten viele Leute, vor allem Journalisten, das sei ja alles kein Wunder. Der WM-Film habe ja schon gezeigt, dass Klinsmann in Wahrheit nur als Antreiber funktioniere.

Und war es nicht so?

Wortmann:

Nein, natürlich nicht. Die Taktik ist in gemeinschaftlichen Diskussionen entstanden. Jürgen hat es genau richtig gemacht. Er hat sich einen Stab mit Top-Experten zusammengestellt, heute würde man es flache Hierarchie nennen. Ich mache es in meinem Beruf doch nicht anders. Ich suche mir einen Top-Autor, einen Top-Cutter, damit am Ende ein wirklich guter Film entsteht. Film und Fernsehen sind beides Mannschaftssportarten.

Derzeit ist von wirklicher Euphorie um die deutsche Nationalmannschaft wenig zu spüren. In den Vorbereitungsspielen gab es mitunter Pfiffe. Die Stimmung hat sich nach dem Aus im Halbfinale der EM 2012 gegen Italien auch gegen Bundestrainer Joachim Löw gedreht.

Wortmann:

Ja, und seitdem kennt jeder Stammtisch ein neues Wort: Löw, heißt es dann, hat sich gegen Italien vercoacht. Und so etwas prägen Journalisten, die sich in taktischen Dingen, mit Verlaub, oft nicht wirklich gut auskennen.

Löws eher defensive Aufstellung war auch unter Experten umstritten.

Wortmann:

Wenn Mats Hummels die große Chance in der fünften Minute gegen Italien nutzt, wird das sehr wahrscheinlich ein ganz anderes Spiel. Unter Joachim Löw hat die deutsche Mannschaft in den vergangenen Jahren oft großartigen Fußball geboten, ich empfinde diese Diskussion teilweise als respektlos.

Aber können Sie nicht verstehen, dass sich die Fans 18 Jahre nach dem EM-Sieg in England nach einem Pokal sehnen?

Wortmann:

Klar, die Erfolge bei Welt- und Europameisterschaften haben für ein gewisses Anspruchsdenken gesorgt. Was meinen Sie, was in England, dem Mutterland des Fußballs, los wäre, wenn Ihr Team wieder ein Halbfinale erreichen würde? Mir persönlich ist ein spektakulärer Offensivfußball, wie ihn die deutsche Mannschaft etwa bei der WM 2010 geboten hat, lieber als ein Titel mit Rumpelfußball früherer Tage.

Gibt es eine Geschichte oder Figur, die Sie derzeit filmreif finden würden?

Wortmann:

Ja, zum Beispiel Jürgen Klopp, für mich eine absolute Lichtgestalt. Natürlich wäre auch die Geschichte von Zlatan Ibrahimovic (Weltklassestürmer in Diensten von Paris St. Germain, die Red.) spannend. Aber wer soll ihn spielen? Das könnte nur Zlatan selbst, und er ist wahrscheinlich ein eher mäßiger Schauspieler. Für mich ist ohnehin das Thema Fußball und Film beendet. Ich habe mit dem „Sommermärchen“ einen Dokumentarfilm gedreht, mit dem „Wunder von Bern“ einen historischen Film. Das reicht.

Wie oft haben Sie sich diese Filme selbst noch mal angesehen?

Wortmann:

Das Sommermärchen habe ich mir vor der WM 2010 noch einmal zur Einstimmung angeguckt, das mache ich vor der WM in Brasilien vielleicht wieder. Das „Wunder von Bern“ habe ich seit der Premiere nicht mehr gesehen, das mache ich immer so, da mir ansonsten auffällt, was ich alles hätte besser machen können.

Im Gegensatz zur heutigen Fußballer-Generation stehen die Helden von Bern noch für alte Werte.

Wortmann:

Welche Werte meinen Sie?

Kameradschaft, Treue, Bescheidenheit.

Wortmann:

Die 54er-Helden haben in Spiez zwar noch in Doppelzimmern gewohnt, aber auch im ersten Hotel am Platz. Und wenn es damals hohe Siegprämien gegeben hätte, hätten die Spieler sie auch genommen. Genau wie die heutige Spielergeneration für einen Fernseher oder Kühlschrank spielen würde, wenn es woanders auch nicht mehr geben würde. Wer den Fußball nicht wirklich liebt, wird nie ein guter Bundesligaspieler.

Die Faszination des Wunders von Bern ist dennoch ungebrochen.

Wortmann:

Ja, und ich bin sicher, dass der Film auch noch in 20 Jahren gezeigt wird. Und am 4. Juli 2054, dem 100-jährigen Jubiläum.

In dem Film haben Sie die Geschichte eines traumatisierten Kriegsheimkehrers mit den 54er-Helden verknüpft. Jetzt wird daraus in Hamburg ein Musical. Kann das überhaupt funktionieren?

Wortmann:

Am Anfang war ich auch skeptisch, denn ich bin kein großer Musical-Fan. Aber dann haben die Leute von Stage Entertainment gesagt, schau dir doch mal ein paar Produktionen in London an. Und ich war fasziniert, vor allem von Billy Elliot...

... der Geschichte eines Jungen, der Boxer werden soll und dann sein Glück als Balletttänzer findet...

Wortmann:

... ein hoch emotionales Werk. Wenn Billy von seinem Vater verprügelt wird, hat das mit dem althergebrachten Musical-Theater eines Andrew Lloyd Webber nicht mehr viel gemein.

Aber wie soll Helmut Rahn auf einer Musical-Bühne sein Tor zum 3:2 über Ungarn schießen?

Wortmann:

Das darf ich nicht verraten, lassen Sie sich überraschen. Was ich bisher gesehen und gelesen habe, hat mich überzeugt. Und die Musik ist großartig.

Nehmen Sie großen Einfluss auf das Gesamtkunstwerk?

Wortmann:

Nein, ich berate nur, wenn man mich fragt. Das ist wie mit dem eigenen Kind, das man in fremde Hände gibt. Man macht es nur, wenn man überzeugt ist, dass es gut behandelt wird. Warum soll ich Experten, die sich in Sachen Musical viel besser auskennen als ich, reinreden?

Vor dem Musical kommt noch im September Ihr neuer Film „Schoßgebete“, die Verfilmung des Bestsellers von Charlotte Roche, in die Kinos.

Wortmann:

Ich bin sehr gespannt, wie der Film ankommen wird. Er schildert die Geschichte einer Frau, die Sex als Therapie begreift, um ihr Trauma vom Tod ihrer verunglückten Familie zu überwinden.

Die vielen Sexszenen waren auch für Sie als Regisseur Neuland, oder?

Wortmann:

Ja, aber Neues hat mich schon immer gereizt.