Stararchitekt Volkwin Marg soll dem heutigen Bayern-Gegner die beste Arena der Welt mit Hotel, Shoppingcenter und Schiebedach garantieren. Der Umbau kostet 400 Millionen Euro.

Ja, sagt Volkwin Marg, 77, das sei wohl eine der größten Herausforderungen gewesen, die er bisher in seinem Berufsleben bewältigen musste. Die Rede ist vom neuen Stadion von Real Madrid, in dem Bayern München am heutigen Mittwochabend versuchen wird, mit einem guten Ergebnis die Grundlage zum erneuten Einzug ins Champions-League-Finale zu legen. Und von dem Real-Präsidenten Florentino Pérez, 67, nicht weniger gefordert hat, als dass es „das beste Stadion der Welt“ werden soll.

Das Schönste? Das Beste? Volkwin Marg sitzt hoch oben in seinem Büro an der Elbchaussee, blickt über den Strom und die Kräne am anderen Ufer und kann mit diesen Superlativen nicht mehr allzu viel anfangen. Letztlich, sagt der Hamburger Stararchitekt, sei das heute auch alles eine Frage des Marketings. Aber richtig sei, dass er mit seinem Architektenteam von Gerkan, Marg und Partner (gmp) noch nie zuvor eine solch anspruchsvolle Aufgabe bei einem Stadionbau zu lösen hatte. „Komplexer geht es nicht“, sagt Marg. Die Elbphilharmonie, fügt er lächelnd hinzu und blickt aus den riesigen Fenstern in Richtung HafenCity, sei wohl einfacher zu bauen.

Das will etwas heißen. Denn Volkwin Marg und Meinhard von Gerkan haben sich mit ihrem Hamburger Büro weltweit einen Namen auch als futuristische Stadionbauer gemacht. Sie haben diese neuen Event-Kathedralen für die Massen überall auf dem Globus realisiert. Zumeist dann, wenn Europa- oder Weltmeisterschaften von einem Land Besitz ergriffen und die internationalen Fußballverbände neue Stadien zur Bedingung gemacht haben. Rund zwei Dutzend sind es mittlerweile. Sie stehen in Südafrika und in China, in der Ukraine und in Indien, in Polen und natürlich auch in Brasilien, wo am 12. Juni das nächste globale Fußballfest beginnt.

Diesmal aber ging es um etwas Größeres. Und es ging das erste Mal um ein vereinseigenes Stadion. Mit einem Dominator an der Spitze des wohl berühmtesten Clubs der Welt. Der immer noch seinen rund 92.000 Mitgliedern gehört und dessen Gesamtverschuldung 541 Millionen Euro beträgt. Der gleichzeitig als profitabelster Verein der Welt gilt. Und dessen erste Mannschaft, mit einem geschätzten Wert von 2,6 Milliarden Euro, seit Jahrzehnten in schöner Regelmäßigkeit als „weißes Ballett“, als die „Königlichen“ oder die „Galaktischen“ für Tore und Furore sorgen.

Florentino Pérez ist im Hauptberuf Direktor des spanischen Baukonzerns ACS. Dem hoch verschuldeten Unternehmen gelang vor drei Jahren die feindliche Übernahme des äußerst profitablen Essener Baukonzerns Hochtief. Sie begann 2007 damit, dass sich ACS für 1,3 Milliarden Euro die ersten 25Prozent des größten deutschen Bauunternehmens einverleibte.

Damals hatte Pérez international aber bereits wesentlich mehr Aufmerksamkeit mit millionenteuren Einkäufen erlangt, die Fußballfans in dieser Summe vorher nicht für möglich gehalten haben. Pérez, mit 1,9 Milliarden Euro 2007 erstmals auf Platz 538 der „Forbes“-Liste der weltweit reichsten Menschen geführt, hatte einfach in jeder Saison einen der besten Spieler der Welt verpflichtet. Luís Figo, Zinédine Zidane, David Beckham, Michael Owen, Ronaldo und Robinho begründeten diese galaktische Ära. Nach seinem Rücktritt im Februar 2006 und seiner Rückkehr auf den Präsidentenstuhl im Juni 2009 machte Pérez einfach so weiter. In seiner zweiten Amtszeit kaufte er Stars wie Cristiano Ronaldo, Kaká, Xabi Alonso und zuletzt den knapp 100-Millionen-Euro-Mann Gareth Bale.

Spieler aber kommen und gehen. Sie sind, trotz ihres Ausnahmekönnens, austauschbar. Sie verkörpern eine Einzigartigkeit auf Zeit. Arenen jedoch, und da muss man gar nicht an das Kolosseum in Rom denken, das im Jahr 80 nach Christus eingeweiht worden ist und in dem nach heutigen Berechnungen 50.000 Zuschauer Platz fanden, sind etwas für die Ewigkeit. Gerade hat auch der AS Rom verkündet, dass er eine neue Event-Schüssel bauen will. Die vereinseigene Arena im Südwesten Roms soll 700 Millionen Euro kosten. In Madrid dagegen bleibt das gewaltige Bernabéu-Stadion, das derzeit 85.000 Zuschauer fasst, auf seinem angestammten Platz mitten in der Stadt.

Es bekommt allerdings ein komplett neues Gesicht. Für 400 Millionen Euro. Möglich, dass ein Namenssponsor sich mit der Hälfte der Summe an den Kosten beteiligt. „Florentino Pérez hat nicht nur den Ehrgeiz, Real Madrid erfolgreich zu führen“, sagt Marg. „Er verbindet seine Präsidentschaft auch mit diesem gigantischen Bauprojekt. Damit will er ein Zeichen setzen.“

Es wird wohl eher ein Denkmal.

In einem kurzen Film führt Volkwin Marg vor, was die Planer in zwei Jahren entwickelt haben. Und womit sie den Zuschlag bekommen haben. Als Gründe dafür nennt Marg die Gründlichkeit und die Tiefe der Durchplanung, das einfache Bild und die optimale Verbindung aller Funktionen sowie die Bespielbarkeit der Fassade. Sie haben sich mit ihrem (Ent-)Wurf gegen die Allerbesten durchgesetzt. Gegen den Briten Norman Foster, 78, von dem die gläserne Reichstagskuppel in Berlin stammt. Gegen den Spanier Rafael Moneo und die Schweizer Architekten Herzog & de Meuron.

Innerhalb von fünf Minuten wird auf dem Laptop aus einer riesigen Betonschüssel ein leuchtendes Hightech-Gebilde. Auf dem oberen Tribünenrang wachsen im Kreis in Sekundenschnelle gewaltige Träger in den Himmel. Alte Tribünen verschwinden, neue entstehen. „Die eine große Herausforderung lag in der Beantwortung der Frage: ‚Wer optimiert das alte Stadion am besten?‘“, sagt Volkwin Marg. Es gebe einen Trend bei innerstädtischen Stadien zur Diversifikation. Will heißen, das Nutzungsangebot muss so groß wie möglich sein, um nicht nur viele Menschen anzulocken, sondern sie dann auch möglichst lange in den neuen Sporttempeln zu halten. Marg spricht gerne von „Besichtigungs-Kathedralen.“

Und so bekommt das Bernabéu-Stadion, das 1947 eröffnet worden ist, nicht nur Logen, Konferenzräume und ein Hotel, sondern auch ein riesiges Shoppingcenter mit diversen Showräumen, wo der Mythos von Real Madrid gepflegt wird. Und wo Firmen und Werbepartner ihre Autos und Klamotten, Elektro- oder Fanartikel präsentieren und unters Volk bringen können.

Es bekommt erstmals einen internen Rundgang, der für jeden Zuschauer zugänglich ist. Per Videoscreen wird an die gesamte Decke das Geschehen reflektiert. Und natürlich kann es sein, dass die Besucher irgendwann mehr nach oben als nach unten schauen, wo das reale Real-Spiel läuft. Auch von außen können Bilder auf die silberne Hülle geworfen werden. „Durch die Möglichkeit der Außenprojektionen verändert das Stadion aus jeder Perspektive sein Aussehen“, sagt Marg.

Schließlich erhält die neue Arena, die äußerlich ein bisschen an ein Raumschiff erinnert, ein Schiebedach. Es kann innerhalb von 15 Minuten geöffnet werden. „Ein Ziehharmonikadach“, sagt Volkwin Marg. Das hat zwei Vorteile. Es stellt zum einen, mitten in der Stadt, einen Lärmschutz dar. Und es bietet die Chance, die Arena künftig auch für Konzerte und Veranstaltungen zu nutzen.

Die größte Herausforderung aber liegt darin, den Umbau des Stadions während des laufenden Spielbetriebs hinzubekommen. „Was wir vollbringen müssen“, sagt Marg, „ist eine Operation am offenen Herzen – ohne Anästhesie und während der Patient weiter seiner Arbeit nachgeht. Und das alles in einem sehr engen OP-Raum.“

In diesen Tagen gehen die ersten Mitarbeiter von gmp in die spanische Hauptstadt. Sie arbeiten mit zwei renommierten spanischen Architekturbüros zusammen und beginnen jetzt mit der Entwurfsplanung. Wann der Umbau beginnt und wann mit der Fertigstellung zu rechnen ist, darüber darf nur spekuliert werden. Das ist vielleicht auch gut so. Auf jeden Fall vermeidet man als Bauherr auf diese Weise einen ungesunden Zeitdruck sowie die ständige Produktion negativer Schlagzeilen.

Bleibt die Frage an den Architekten, wem er heute die Daumen drückt? Den Bayern oder seinem neuen Auftraggeber? „Ach wissen Sie“, sagt Volkwin Marg, „die Fußballleidenschaft haben eher meine Enkelkinder.“ Er selbst sei da etwas altmodisch. „Ich bin anders erzogen worden.“ Deshalb wünsche er sich grundsätzlich, dass der Außenseiter triumphiert.

Und auch da kommt es einmal mehr auf den Blickwinkel an.