Beim 0:3 gegen Dortmund versagt der Rekordmeister auf der ganzen Linie. Platzverweis für Rafinha

München. Ja, an diesem Abend war dann doch noch ein lachender Münchner zu sehen: Bastian Schweinsteiger. Schweinsteiger lümmelte auf dem Sofa, er hielt eine Packung Kartoffelchips in der Hand, es lief Werbung für Knabbergebäck, auf dem Monitor über dem Spielerausgang.

Unter dem Bildschirm stand Thomas Müller. Schweinsteigers Bayern- und Nationalmannschaftskollege stand da recht lange, und er lachte nicht, kein einziges Mal. Und wenn der notorische Gaudibursch Müller einmal nicht lacht, dann muss etwas Gravierendes passiert sein. Und das war es auch. Müller stand also da und sagte: „Wir haben ein mentales Problem. In der Liga fehlt uns einfach die letzte Gier.“ Es klang verständlich. Aber auch etwas bedenklich.

Natürlich hatte das 0:3 des FC Bayern München gegen Borussia Dortmund keine großen Auswirkungen . Natürlich ist es tabellarisch unerheblich, ob die Bayern am Ende 35 Punkte Vorsprung haben, 22 oder fünf, egal. Im Moment, vier Spieltage vor Schluss, haben sie noch 17. Reicht auch, dicke.

Doch die zweite Liganiederlage am Stück nach dem 0:1 in Augsburg warf doch ernsthafte Fragen auf. Ob sich das mentale Problem nicht doch in den kommenden entscheidenden Wochen in Pokal und Champions League zu einer ernsthaften Krise ausweitet? Gerade nach der Art und Weise, wie sich die Bayern vorführen ließen, wie sie gedemütigt wurden und blamiert, und das, obwohl Trainer Pep Guardiola anders als in Augsburg eine veritable Bestbesetzung aufs Feld geschickt hatte.

Heraus kam dabei ein Rumpelkick der übleren Sorte. Hätte ein Berichterstatter Franz Beckenbauer im Stadion getroffen, gut möglich, dass er gesagt hätte, die Bayern hätten wie eine Schülermannschaft gespielt. Den Spruch mit der Schülermannschaft hat Beckenbauer früher gern gebracht.

Dafür sprach Matthias Sammer, Bayerns Sportchef, der sich immer mehr als psychologischer Einbremser in beiden Richtungen versteht, stets antizyklisch gegen den aktuellen Trend. Läuft es zu gut, geriert er sich als polternder Obermahner, gibt es aber ein Debakel wie gegen Dortmund, wird er plötzlich milde. „Ich habe vollstes Verständnis“, sagte er. „Unsere Spieler sind keine Maschinen und keine Roboter. Sie haben auch Gefühle.“

Nur ist das im Leben wie im Fußball auch. Wer Gefühle zeigt, macht sich angreifbar. In der Halbzeitpause räsonierte Paul Breitner via Stadionmikrofon noch, wie unglücklich Real Madrid sicher sei, den FC Bayern für das Champions-League-Halbfinale zugelost bekommen zu haben. Wenn sie in Madrid die Bayern im Fernsehen gesehen haben, dürfte sich die Betrübnis in Grenzen halten. Der FC Bayern, in Spanien berüchtigt als „schwarze Bestie“, war an diesem Abend so Furcht einflößend wie ein schnurrender Stubentiger.

Es war sicher nicht das Ende der Serie, das wehtat, die erste Heimniederlage nach 26 Spielen seit dem 1:2 im Oktober 2012 gegen Bayer Leverkusen. Schmerzhaft ist die Erkenntnis, dass die Gegnerschaft nicht mehr in Angst, Schrecken und Ehrfurcht vor dem scheinbar übermächtigen FC Bayern erstarren muss. In Madrid werden sie das mit Aufmerksamkeit registriert haben. In Kaiserslautern sicher auch.

Der Zweitligaklub aus der Pfalz spielt am Mittwoch in München, Halbfinale im DFB-Pokal, rumpeln die Bayern ähnlich hilflos über den Platz, wird’s eng. „So ist das auch ein Risiko gegen Lautern“, sagte Guardiola. Und: „So haben wir keine Chance gegen Real.“

Bei Borussia Dortmund (am Dienstag im DFB-Pokal Gastgeber gegen Wolfsburg) haben sie angesichts eines denkbaren Pokalendspiels am 17. Mai in Berlin gegen die Bayern Lunte gerochen. „Das war ein Ausrufezeichen“, sagte BVB-Sportdirektor Michael Zorc, „wir haben gesehen, dass die Bayern zu besiegen sind, und das tut sehr gut.“ Und auch Trainer Jürgen Klopp strahlte: „Wenn du Bayern München 3:0 besiegst, dann ist eigentlich alles perfekt.“

Klopps Kollege indes wirkte noch nachdenklich. „Ich glaube, dass es ein Problem ist, dass wir die Bundesliga gewonnen haben“, sagte Pep Guardiola. „Wenn du gewonnen hast, dann fällst du ab. Das ist mir in Barcelona passiert, nach den Ligasiegen, da hatten wir Riesenmühe, wieder hoch zu kommen. Das Ziel für mich als Trainer ist, die Mannschaft wieder aufzubauen.“

Philipp Lahm sagte am Ende des Abends noch einen aufschlussreichen Satz: „Unsere Konzentration gilt Pokal und Champions League. Dazwischen ist halt noch Bundesliga.“ Halt noch Bundesliga. Ein lästiges Anhängsel. Vier Spiele müssen sie in der Liga noch überstehen. Braunschweig, Bremen, HSV, Stuttgart. Alles Abstiegsanwärter. Blamieren sich die Bayern auch hier, werden sicher schnell die Rufe laut, Wettbewerbsverzerrung und so.

Und vorerst wird den Bayern Rafinha fehlen. Der Brasilianer krallte sich in der letzten Minute ins Gesicht des Dortmunders Henrikh Mkhitaryan, sah Rot. Sammer meinte, vielleicht habe Rafinha zu viel Creme an seinen Fingern gehabt, die er abgeben wollte. Das Niveau von Sammers Witz war in etwa so hoch wie das des Bayern-Spiels.