Mit 21 ging Yiner Arboleda von Kolumbien nach Europa, um Fußballprofi zu werden. Hier erzählt er seine Geschichte.

Hamburg. Als Yiner Arboleda zum ersten Mal bei einem Fußballverein scheitert, ist er 15 Jahre alt. Damals weiß der Kolumbianer noch nicht, dass es der Beginn einer Odyssee ist, die ihn am Ende bis nach Deutschland bringen wird, nach Hamburg.

Dort steht er fast zehn Jahre später an einer U-Bahn-Haltestelle. Er hat kurze, schwarze Haare, kaffeebraune Haut und eine sanfte Stimme. Yiner ist 24, sein schlaksiger Körper schießt fast zwei Meter in die Höhe. Trotz Kälte und Nieselregen will er sich draußen setzen, vor der Backhus-Filiale. Und obwohl die Worte nur langsam aus seinem Mund kommen, besteht er darauf, Deutsch zu sprechen.

Die Geschichte von Yiner Ronal Arboleda Sánchez beginnt in der kolumbianischen Millionenstadt Cali, in einem der Armenghettos, die es überall gibt in den Metropolen Lateinamerikas. Yiner wächst ohne seine Mutter auf, stattdessen kümmern sich sein Vater und seine Stiefmutter um ihn. Mit ihnen und jeder Menge Halb- und Stiefgeschwistern wohnt er in einem kleinen Haus. Sein Vater betreibt eine Art Fußballschule: Auf einem Bolzplatz trainiert er mit Jungs aus dem Viertel, um sie von der Gewalt und den Drogen fernzuhalten. „Einer von uns hat sogar fast einen Profivertrag bekommen“, erzählt Yiner. Doch kurz bevor sein Kumpel den Vertrag unterschreiben kann, wird er erschossen. Warum? Das weiß Yiner bis heute nicht.

Er selbst hat ebenfalls Talent. Schon mit zwölf Jahren verpflichtet der kolumbianische Topclub Deportivo Cali ihn als Stürmer für seine Jugendmannschaft. Doch drei Jahre später eröffnet ihm ein neuer Trainer, dass er keine Verwendung mehr für ihn hat. Yiner habe nicht das Zeug, um sich später bei den Profis durchzusetzen. Doch der will nicht aufgegeben.

In Ecuador schleppte er Baumstämme, in Kolumbien verkaufte er Süßigkeiten

Mit öffentlichen Bussen fährt der 15-Jährige quer durch Kolumbien und spielt bei verschiedenen Vereinen vor. Aber auch in Pasto wird er nach kurzer Zeit aussortiert, in der Landeshauptstadt Bogotá kann er die Miete nicht bezahlen. Mit 17 landet Yiner im Nachbarland Ecuador, schleppt dort als Holzrücker Baumstämme durch den Wald. Später kehrt er zurück in seine Heimatstadt Cali, arbeitet als Süßigkeitenverkäufer und spielt Fußball bei einem Drittligisten.

Plötzlich kommt die Gelegenheit, auf die er so lange gewartet hat: Ein bekannter Spielerberater lädt zu einem Casting. Nachwuchsfußballer aus ganz Cali kommen zu dem Termin, und Yiner ist einer der wenigen, an denen der Talentsucher Gefallen findet. Er vermittelt den mittlerweile 21-Jährigen nach Europa, zum belgischen Erstligisten KV Mechelen. Der lädt ihn im Dezember 2010 zum Probetraining ein.

Kurze Zeit später steht Yiner, der Junge aus dem Armenviertel, auf einem schneebedeckten Fußballplatz in Belgien. „Es war so kalt, ich habe nicht mal meine Zehen gespürt“, erinnert er sich. Nicht nur die Zehen frieren, auch sein Oberschenkel schmerzt. Eine Muskelverletzung hat den Stürmer schon vor seiner Abreise nach Europa geplagt, aber er wollte sich seine Chance nicht nehmen lassen. Doch nach ein paar Wochen Probezeit folgt die Enttäuschung: Der KV Mechelen gibt ihm keinen Vertrag. Wohin soll er jetzt gehen?

Yiner kommt bei Verwandten in Deutschland unter: Eine Halbschwester von ihm wohnt in Hamburg, eine Tante in einem Dorf bei Buchholz. In Deutschland gerät er an verschiedene Spielerberater, professionelle und solche, die es gerne wären. Sie erzählen ihm von Clubs in der Türkei oder in Tunesien, die Interesse an ihm hätten, aber ein verbindlicher Kontakt kommt nie zustande. Unterdessen versucht Yiner sein Glück bei Amateurmannschaften in Deutschland, die ihn zum Probetraining einladen. Doch der Stürmer kann nicht überzeugen. Am Ende landet er bei einem Verein aus der Bezirksliga, das ist die siebte. Nach all den Rückschlägen zweifelt er an seinem Talent: „Zu der Zeit wollte ich ganz aufhören mit dem Fußball.“

Während Yiner seine Geschichte erzählt, wird es immer kälter vor der Bäckerei. Der Kolumbianer zittert, er kann nun nicht mehr behaupten, dass er gerne im Freien sitzt. Also nennt er den eigentlichen Grund. „Ich will nicht, dass die Leute da drinnen meine Geschichte hören“, sagt er mit Blick auf eine Kneipe. Sein Scheitern ist ihm einfach peinlich.

In der siebten Liga ist Yiner von seinen Gegenspielern nicht vom Ball zu trennen, das spricht sich bald auch in höheren Ligen herum. Über Umwege wird er beim Fünftligisten Meiendorfer SV zum Probetraining eingeladen. Schon nach zehn Minuten sagt Trainer Matthias Stuhlmacher: „Den will ich haben!“ Yiner dankt ihm das noch heute: „Der Trainer und der Manager von Meiendorf haben viel für mich getan“, sagt er, „sie haben mich in die Mannschaft geholt, als ich noch nicht einmal Deutsch konnte.“ In der Oberliga blüht Yiner auf, mit seinen Toren und Vorlagen bewahrt er die Meiendorfer vor dem Abstieg.

In Meiendorf hat der Kolumbianer sein kleines Glück gefunden. Nicht die vollen Stadien, von denen er geträumt hat. Und auch keine Gehälter, die seinen Geldsorgen ein Ende machen könnten. Aber ein Stück Heimat.

Manchmal träumt er noch vom Profifußball: „Ich möchte so gerne zeigen, was ich kann als Fußballer.“ In den vergangenen Monaten konnte er das nicht. Im Mai wurde Yiner für vier Monate gesperrt und muss ein Anti-Aggressions-Training machen, weil er einem Gegenspieler erst einen Tritt und dann noch einen Kopfstoß verpasst hatte. Angeblich hatte der ihn rassistisch beleidigt, doch das konnte vor dem Sportgericht nicht bewiesen werden. Freispruch für Yiners Gegenspieler, lautet das Urteil. Peinlich ist ihm der Vorfall noch heute: „Ich habe mich selbst nicht wiedererkannt in dieser Situation“, sagt er, als er die Geschichte ein halbes Jahre später erzählt.

Seit zwei Monaten besucht Yiner Arboleda einen Integrationskurs

Nach Ablauf der Sperre verletzte sich Yiner, überhaupt stand er in dieser Oberliga-Saison erst neun Minuten auf dem Platz – ehe er sich erneut verletzte. „Fußballerisch war das letzte Jahr wirklich ein Katastrophe.“

Er ahnt: „Meine Zeit als Fußballer läuft langsam ab.“ Für eine Fußballkarriere müsste er mit 24 Jahren längst in den oberen Ligen etabliert sein. Während Yiner in Ecuador Baumstämme schleppte und in Kolumbien Süßigkeiten verkaufte, wurden seine Altersgenossen in Deutschland in Fußballakademien geschult, technisch, taktisch, persönlich. Ein Rückstand, der auch mit viel Talent kaum aufzuholen ist.

Darum setzt sich Yiner inzwischen auch andere Ziele, der Fußball ist nicht mehr seine einzige Leidenschaft. Vor ein paar Monaten kam seine Tochter zur Welt. „Wenn ich mit ihr zusammen bin, dann vergesse ich alle meine Sorgen“, erzählt er strahlend. „Sogar die Windeln wechsle ich gerne.“

Yiner weiß, dass das auf Dauer nicht reichen wird. Seit zwei Monaten besucht er einen Integrationskurs. Er will endlich so gut Deutsch sprechen, dass er eine Ausbildung in Deutschland beginnen kann. Und außerdem: „Wenn meine Tochter später in die Schule geht, dann will ich beim Elternabend doch nicht schweigend in der Ecke sitzen.“