Bislang galt René Adler als Nummer zwei für die WM 2014 gesetzt. Jetzt hat er zwei neue Konkurrenten: Roman Weidenfeller – und die eigene Form

Hamburg. Seinem Ruf als Spätstarter wurde Roman Weidenfeller auch bei seiner ersten Pressekonferenz als Nationalspieler gerecht. Mehr als zehn Minuten lang ließ der 33 Jahre alte und damit älteste DFB-Debütant aller Zeiten die Medienvertreter warten, ehe sich der Dortmunder ausgerechnet in einer Münchner Niederlassung des DFB-Hauptsponsors zu seiner von vielen nicht mehr für möglich gehaltenen Nominierung äußern wollte. Gut sei er von seinen neuen Kollegen aufgenommen worden, bekräftigte Weidenfeller, den nicht mal banale Fragen zum neuen Trikot („Ich bin es gewohnt, bunte Farben zu tragen“) aus dem Konzept brachten. „Ich will die Zeit hier einfach genießen“, sagte der BVB-Torhüter, dem man selbst sein etwas devotes Schlusswort („Für mich ist schon mit der Nominierung ein Traum in Erfüllung gegangen“) so ohne Weiteres abnahm.

Nun ist Weidenfeller im zarten Alter von 33 Jahren also tatsächlich noch Nationalspieler geworden – und damit zwangsläufig ein Konkurrent des fünf Jahre jüngeren HSV-Torhüter René Adler. Der galt zwar bislang immer als Deutschlands Nummer zwei hinter Manuel Neuer für die WM 2014 in Brasilien gesetzt, muss sich aber seit Kurzem neben Weidenfeller einem noch viel hartnäckigeren Konkurrenten stellen: der eigenen Form. Dabei ist gar nicht mal ausschlaggebend, dass Adler mit 29 Gegentoren die meisten der gesamten Liga kassiert hat. Viel mehr Sorgen bereiten seine persönlichen Werte, die sich laut einer Castrol-Edge-Analyse in dieser Spielzeit dramatisch zum Schlechteren entwickelt haben.

Mit 56,7 Prozent gehaltenen Torschüssen liegt der Hamburger derzeit ligaweit auf dem vorletzten Platz unter den Stammtorhütern – nur Hoffenheims Koen Casteels hat eine schwächere Bilanz. Zum Vergleich: In der Vorsaison konnte Adler noch mit 69,8 Prozent glänzen. Noch deutlicher wird der Vergleich bei den vereitelten Großchancen der Gegner: Mit 24 verhinderten Chancen, die einer Quote von 40,7 Prozent entsprechen, gelangen Adler in der vergangenen Spielzeit so viele Glanzparaden wie keinem anderen Bundesligatorhüter. In dieser Saison zeichnete er sich dagegen gerade mal fünfmal aus, was einer miserablen Quote von 21,7 Prozent entspricht. Darüber hinaus führten zwei schwerwiegende Fehler des früheren Leverkuseners zu Gegentoren, was nur noch Freiburgs Oliver Baumann mit drei Patzern – kurioserweise alle im Spiel gegen den HSV – im negativen Sinne toppen konnte. Dagegen führte bei Weidenfeller in dieser und der vergangenen Spielzeit kein einziger Fehler zu einem direkten Gegentor. Zusammengefasst lassen all die gesammelten Daten und Fakten zweierlei Schlüsse zu: Adler patzt ein wenig zu häufig und glänzt viel zu selten.

„Mich interessieren diese Statistiken nicht. Für mich bleibt entscheidend, dass wir punkten“, sagt Adler, dessen Form allerdings einen wichtigen Erfolgs-Faktor darstellt. Anders als in der Vorsaison hat er in knappen Spielen noch keinen Sieg festhalten können. „René ist ein bisschen das Spiegelbild der Mannschaft. Er hat nicht das nötige Glück. An vielen Bällen ist er dran, aber sie rutschen doch noch irgendwie durch“, sagt Sportchef Oliver Kreuzer.

Dennoch ist er von einer WM-Nominierung seines Torhüters überzeugt: „Da haben wir keine Zweifel. Seine Qualität steht außer Frage.“ Noch scheint Bundestrainer Joachim Löw das ganz ähnlich zu bewerten. So setzt er bei den Testspielen gegen Italien (Freitag, 20.45 Uhr/ZDF) und England (Dienstag, 20.45 Uhr/ARD) neben der gesetzten Nummer eins Neuer und Neuzugang Weidenfeller weiterhin auf Adler – obwohl mit Hannovers Ron-Robert Zieler (64 Prozent abgewehrte Torschüsse), Gladbachs Marc-Andre ter Stegen (75 Prozent) und Leverkusens Bernd Leno (73 Prozent) sämtliche Konkurrenten bessere Werte als der Hamburger vorweisen können.

„Die Einladung von Weidenfeller bedeutet nicht, dass die jungen Torhüter nun außen vor sind“, sagt Torwarttrainer Andreas Köpke, der den BVB-Debütanten zum Medientermin in der Arnulfstraße in Münchens Westen begleitete. Für das Spiel gegen Italien hätten sich Löw und Köpke auf Neuer festgelegt, die Besetzung beim Prestigeduell gegen England sei noch offen. Weidenfeller und Adler, die wohl genauso wie ter Stegen, Leno oder Zieler ohne Zweifel in Englands Nationalmannschaft als Nummer eins gesetzt wären, dürfen sich Hoffnungen machen.

„Das Rennen ist vollkommen offen, beide sind ausgezeichnete Torhüter“, sagte auch Franz Beckenbauer, der in Kitzbühel im Rahmen der Laureus World Sport Awards zum neuen Torwartduell befragt wurde. Das Alter, so der „Kaiser“, spreche jedenfalls nicht gegen Weidenfeller: „Eine WM ist immer eine Momentaufnahme. Und wenn ein Keeper bei Borussia Dortmund im Tor steht, dann muss er außergewöhnliche Qualitäten haben.“ Ein kurzes Nachdenken, dann die schnelle Ergänzung: „Die hat Adler aber auch.“

Nur abrufen muss sie der HSV-Profi eben. Dabei dürfte ihm zugutekommen, dass mit Bert van Marwijk mittlerweile ein Trainer beim HSV ist, den Adler im Gegensatz zu Vorgänger Thorsten Fink durchaus zu schätzen weiß. Er und Fink waren nie auf einer Wellenlänge, was sich in der vergangenen Saison allerdings keineswegs auf die Leistung des gebürtigen Leipzigers ausgewirkt hat. Womit aber seine jetzigen Leistungsschwankungen zu tun haben, bleibt offen. Noch aber hat Adler bis zur WM Zeit – und dass es für große Ziele nie zu spät ist, dürfte spätestens seit diesem Dienstag klar sein.