Vor dem Spiel, das über 20 Millionen Euro entscheidet, gibt es viele Probleme

Hannover. Fünf Minuten vor dem Ende hatte Clemens Tönnies genug gesehen. Nachdem Christian Fuchs für ein unnötiges Foul an Didier Ya Konan die zweite Gelbe Karte gesehen hatte und des Feldes verwiesen worden war, verlor der Schalker Aufsichtsratsvorsitzende die Hoffnung. Er stand von seinem Platz auf der Ehrentribüne im Hannoveraner Stadion auf und ging. Sein Sitznachbar Horst Heldt blickte ihm kurz hinterher und schaute danach wieder auf das Spielfeld. Obwohl es dort nichts mehr zu sehen gab. Denn mit dem Platzverweis gegen Fuchs war die zweite Saisonniederlage der „Königsblauen“ besiegelt. Mit nur noch neun Spielern musste die Aufholjagd beim 1:2 abgeblasen werden. Der Versuch, einen kapitalen Fehlstart in die Saison zu verhindern, war gescheitert.

Heldt hatte anschließend das zweifelhafte Vergnügen zu erklären, was aus seiner Sicht nicht zu erklären ist. Wähnte er die Mannschaft doch auf dem richtigen Weg: Der Manager hatte in den vergangenen Monaten Zug um Zug seine Vorstellungen durchgesetzt. Er hatte kurz vor Ende der vergangenen Saison trotz vieler Vorbehalte den umstrittenen Cheftrainer Jens Keller mit einem Zweijahresvertrag ausgestattet, hatte ihm mit Peter Hermann, der von den Bayern kam, einen erfahrenen Co-Trainer zur Seite gestellt. Und Heldt hatte das Team mit Leon Goretzka, Christian Clemens und Adam Szalai verstärkt.

Seine Einkaufspolitik war allgemein gelobt worden, und in der Vorbereitung, die perfekt zu laufen schien, blühten die Träume. Die der Spieler, aber auch die von Heldt. Jermaine Jones sprach davon, sich die Meisterschaft als Ziel zu setzen. Und Heldt selbst hatte offen darüber spekuliert, „zur Stelle zu sein“, wenn die beiden Branchenführer aus München und Dortmund schwächeln sollten.

Doch all dies war am Sonnabend Makulatur. Die Frage nach den acht Punkten Rückstand auf die Tabellenspitze musste auf Heldt wie eine plumpe Provokation gewirkt haben. „Mir bereiten zurzeit andere Dinge Bauchschmerzen“, sagte er. Am Dienstag bereits geht es für Schalke gefühlt um alles. Psychisch angeknockt und personell geschwächt muss das Team zum Rückspiel bei Paok Saloniki (Hinspiel 1:1) in der Champions-League-Qualifikation antreten. Es geht um nicht weniger als rund 20 Millionen Euro Garantieeinnahmen und die Aufrechterhaltung des Betriebsfriedens.

Die Schalker üben sich trotz der Negativserie in Durchhalteparolen

„Wir werden versuchen, das Engagement, das wir in der zweiten Hälfte in Hannover bewiesen haben, von Beginn an in die Begegnung zu stecken“, sagte Heldt, wohl auch um sich selbst Mut zu machen: „Der Wille kann Berge versetzen, das haben wir bereits in Unterzahl bewiesen.“ Es sei ja, so seine Botschaft, nicht alles schlecht gewesen.

Mit ähnlichen Verweisen hatten sich die Schalker bereits am Mittwoch durch die Nachspielzeit gerettet. Nach dem enttäuschten ersten Auftritt gegen Saloniki war betont worden, dass die erste Hälfte wahlweise „sehr gut“ oder „überragend“ gewesen sei. In Hannover war es nun die zweite Hälfte, die erneut Hoffnung mache, so Keller.

„Wir haben in Unterzahl gut Fußball gespielt und Druck gemacht. Da war zu sehen, dass die Mannschaft funktioniert und Moral hat“, sagte der Trainer. Es klang fast ein wenig verwegen, angesichts einer Bilanz von nur einem Sieg aus fünf Pflichtspielen und keiner einzigen überzeugenden Gesamtleistung von einem funktionierendem Team zu reden. Zumal speziell das von Keller bereits in der Vorbereitung als Kernproblem ausgemachte und im Training bearbeitete Defizit – ein schlechtes Defensivverhalten – immer wieder zu Tage tritt.

Ausgerechnet Benedikt Höwedes, der Käpitan, der einer ohnehin verunsicherten Defensive Sicherheit geben sollte, musste nach 14 Minuten mit Rot vom Platz. Ein Schock für das gesamte Team, das plötzlich kopflos wirkte. Es folgte, wie schon beim 3:3 gegen Hamburg und beim 0:4 in Wolfsburg, ein völliges Auseinanderfallen der Mannschaft: Die Ordnung ging verloren. Kellers taktische Maßnahme, mit drei defensiven Mittelfeldspielern die Kompaktheit zu stärken, wurde früh über den Haufen geworfen. Angst machte sich auf dem Spielfeld breit. Und völlig verunsicherte Schalker begingen amateurhafte Fehler, die leicht zu einem höheren Rückstand als dem 0:2 zur Pause hätten führen können.

„Ich bin tierisch sauer, es kann nicht sein, dass wir solch eine erste Hälfte abliefern“, schimpfte Jungstar Julian Draxler, einer der wenigen Schalker, die Klartext redeten. „Wir haben einen Grottenkick abgeliefert, das war Angsthasenfußball“, sagte der Mittelfeldspieler. Die von Keller und der Mehrheit seiner Mannschaftskollegen vertretene These, die kämpferisch bessere zweite Hälfte würde Mut machen, wollte er nicht teilen. Auch die Tatsache, dass die Schalker sich in der zweiten Hälfte in Unterzahl – bis Hannovers Huszti (74.) vom Platz gestellt wurde – endlich gegen das Unheil stemmten, konnte ihn nicht beruhigen.

Schalke bangt gegen Saloniki um den Einsatz von Matip und Goretzka

In der Tat spricht einiges dafür, dass die Mannschaft ihre Probleme bis zum Showdown in Saloniki nicht in den Griff bekommt. „Welche Mannschaft?“, fragte Keller, muss er doch dort nicht nur auf den Langzeitverletzten Klaas-Jan Huntelaar verzichten, sondern auch noch um die angeschlagenen Matip und Goretzka bangen. Die bereits beschlossene zusätzliche Verstärkung für die linke Offensivseite soll angegangen werden, wenn Schalke den Einzug in die Gruppenphase geschafft hat.

Und wenn nicht? Kurzfristig dürfte zwar noch kein Trainerwechsel drohen. Heldt vertraut Keller weiterhin. Zumal ein Abrücken von dem ehemaligen U17-Trainer, den er erst im Dezember zum Nachfolger des erfahrenen Huub Stevens gemacht hatte, auch ein Eingeständnis seiner eigenen Fehleinschätzung wäre. Und Clemens Tönnies, die letztlich entscheidende Person auf Schalke, vertraut Heldt. Allerdings wäre ein Verpassen der Champions League ein echter Stresstest für den Club.