Nach dem 3:3 gegen Paraguay wächst die Angst, die Nationalelf könnte den WM-Titel in der Abwehr verspielen – Spieler kritisieren Pfiffe gegen Gomez

Kaiserslautern. Die Partie der deutschen Nationalmannschaft war keine Stunde abgepfiffen, da forderte Oliver Bierhoff eine knallharte Aufarbeitung nach den unerklärlich vielen Gegentoren: „Wichtig ist, den Finger in die Wunde zu legen. Man darf nicht zur Tagesordnung übergehen“, forderte der Teammanager des Deutschen Fußball-Bundes, „das ist wie eine Kettenreaktion, ein psychologischer Aspekt. Jeder macht weniger, man wird oberflächlich, man gewinnt weniger Zweikämpfe, man geht weniger Meter, man lässt dem Gegner die eine oder andere Chance.“

Seit Bierhoffs Appell nach dem fast legendären 4:4 im WM-Qualifikationsspiel gegen Schweden im Oktober 2012 sind zehn Monate vergangen, doch besonders viel verändert hat sich seitdem nicht. Nach dem 3:3 gegen Paraguay am Mittwochabend erfreut sich rund um die Nationalelf ein neues Spiel großer Beliebtheit: das Gegentore-Zählen.

Allein in den drei vergangenen Tests gegen Teams der Güteklasse zwei (Paraguay, USA, Ecuador) musste die DFB-Auswahl neun Gegentore hinnehmen, im Schnitt kassieren Joachim Löws Männer 1,5 Tore pro Spiel – viel zu viel für ein Team, das den Anspruch hat, um den WM-Titel mitzuspielen. Zum Vergleich: Während der WM 2010 blieb der spätere Weltmeister Spanien in den vier Spielen der K.-o.-Runde ohne Gegentor, bei der EM 2012 gelang den Iberern der Titelgewinn mit nur einem Gegentreffer in sechs Partien.

Nachvollziehbar, dass sich Löw nach dem Paraguay-Spiel eher schützend vor seine Mannschaft stellte und im Hinblick auf die WM-Qualifikationsspiele gegen Österreich (6.9. in München) und auf den Färöern (10.9.) sagte: „Ich bin absolut überzeugt, dass die Mannschaft und jeder Einzelne im September verbesserte Form zeigt.“ Schließlich starten die im Ausland tätigen Nationalspieler Sami Khedira, Mesut Özil, Per Mertesacker, Lukas Podolski und Miroslav Klose erst noch in die Saison. Konnte der Bundestrainer diese Woche in nur zwei Trainingseinheiten kaum etwas bewirken, so stehen die Profis vor dem nächsten Pflichtspieltermin fünf Tage zur Verfügung.

Dennoch dürfte Löw gewarnt sein angesichts der vielen elementaren Fehler und Nachlässigkeiten, nicht nur in der Abwehr, sondern auch im Mittelfeld, wo man sich zu weit nach hinten fallen ließ. Spiele wie gegen Paraguay sind ein Indiz dafür, dass sich die DFB-Elf womöglich zu sehr auf ihr reichhaltiges Offensivpotenzial verlässt – und sich dabei überschätzt. Dass bei Negativerlebnissen dann nicht sofort der Schalter umgelegt werden kann, zeigte sich bereits mehrfach, nicht nur beim 4:4 gegen Schweden. „Wir haben das vielleicht etwas auf die leichte Schulter genommen“, wies Manuel Neuer auf ein mögliches Einstellungsproblem hin, „das war ein echter Warnschuss.“

Entsprechend schlecht war die Laune unter den Spielern, die sich allerdings wehrten, die Partie überzubewerten. „Genau, dann spielen wir so wie Griechenland bei der EM“, sagte Kapitän Philipp Lahm auf die Frage, ob man die offensive Grundausrichtung überdenken müsse. Und auch Lukas Podolski forderte, man dürfte jetzt nicht alles schlechtreden. Was den Arsenal-Profi aber noch mehr aufregte, waren die gellenden Pfiffe gegen Mario Gomez: „Das ist unterste Schiene. Natürlich haben die Fans das gute Recht sauer zu sein, wenn ihre Mannschaft schlecht spielt. Aber dass ein Mitspieler grundlos so ausgepfiffen wird, macht mich einfach nur traurig“, sagte Podolski.

Für Gomez sind diese Anfeindungen nichts Neues: 2011 wurde der Stürmer sowohl in Kaiserslautern (4:0 gegen Kasachstan) als auch in Mönchengladbach (1:2 gegen Australien) ausgebuht. Aber Gomez ist kein Einzelfall: Auch Neuer musste sich 2012 in Nürnberg Hohn von den Rängen gefallen lassen, als ihm beim 4:1 gegen Kasachstan ein Fehler unterlief. Das ist keine schöne Entwicklung.

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