HSV-Neuzugang Hakan Calhanoglu gilt trotz seiner erst 19 Jahre schon jetzt als Hoffnungsträger. Ein Zuschuss zu den Fahrtkosten ebnete seinen Weg

Klagenfurt. Wenn der erste Eindruck tatsächlich der wichtigste ist, wie man ja häufig sagt, dann kann und will sich Hakan Calhanoglu nun wirklich nicht beschweren. „Hier ist irgendwie alles größer als beim KSC. Sogar das Trainingslager-Hotel ist schöner“, sagt der Neuzugang beeindruckt und lehnt sich in seinen Liegestuhl im Hotelgarten zurück. Tatsächlich lässt das Hotel Seepark in Klagenfurt für den am Montagmittag angekommenen HSV-Tross nur wenig Wünsche offen: ein 900 Quadratmeter großer Spa-Bereich, eine Nebel-Eis-Grotte und ein hoteleigener Strand. Viel wichtiger als die Annehmlichkeiten am Wörthersee ist für Calhanoglu allerdings der erste Eindruck seiner neuen Mannschaft. Und auch hier gibt es für den Youngster, der bis zum Sonntag zwei Wochen Sonderurlaub hatte, nichts zu meckern: „Ich bin eher ein schüchterner Typ, deswegen war es schon komisch, als ich plötzlich vor Rafael van der Vaart stand. Aber die Jungs haben es mir einfach gemacht.“

Dass Calhanoglu in Kärnten überhaupt dabei ist, kann man getrost als Glück im Unglück bezeichnen. Ursprünglich sollte der türkische Nachwuchs-Nationalspieler nach der U20-Weltmeisterschaft im eigenen Land nun auch noch die U19-EM in Litauen spielen, was aus medizinischer Sicht mehr als bedenklich gewesen wäre. Eine leichte Rückenverletzung hat den Plan gerade noch rechtzeitig zunichte gemacht, worüber in Hamburg niemand so richtig traurig war. In Österreich soll der Youngster nun erst mal ein reduziertes Rehaprogramm absolvieren und vor allem seine neuen Kollegen besser kennenlernen. „Natürlich muss ich zunächst mal Respekt haben, aber ich will auch zeigen, was ich draufhabe. Ich bin hier, um dem HSV zu helfen“, sagt Calhanoglu, der trotz seiner jungen Jahre bereits die Rolle des Hoffnungsträgers übernehmen soll.

Wirklich neu ist diese Rolle für den gebürtigen Mannheimer allerdings nicht. Bereits als 15-Jähriger kam Calhanoglu vom SV Waldhof Mannheim zum Karlsruher SC, wo er einen Vierjahresvertrag unterschrieb und noch vor seinem ersten Einsatz als Supertalent gefeiert wurde. Nachwuchskoordinator war seinerzeit der heutige KSC-Cheftrainer Markus Kauczinski, der auch die Verhandlungen mit Calhanoglus Vater und seinem Berater führte. Letztendlich konnte Kauczinski Mitbewerber Freiburg und dessen damaligen Nachwuchschef und jetzigen Cheftrainer Christian Streich nur dadurch ausstechen, dass er dem umworbenen Talent neben einer guten Perspektive auch einen Fahrkostenzuschuss von 50 Euro für den Weg zwischen Mannheim und Karlsruhe bieten konnte.

Der Neuzugang aus Karlsruhe erhält beim HSV die Rückennummer Neun

Es war gut angelegtes Geld. Als 15-Jähriger überzeugte Calhanoglu in Karlsruhes U17, als 17-Jähriger in der U19 und mit 17 Jahren, elf Monaten und 25 Tagen wurde er jüngster KSC-Profi der Vereinsgeschichte. „Ich habe mir ein Spiel der A-Jugend des KSC gegen Greuther Fürth angesehen. Da wurde Hakan eingewechselt, und was er da machte, war überragend“, erinnert sich Jörn Andersen, Calhanoglus erster Profitrainer, der sein Juwel schon damals als „Mini-Özil“ bezeichnete. Ein Kompliment, das der Gelobte nur bedingt annahm. Es gebe einen Unterschied zwischen Linksfuß Özil und ihm, sagte der Youngster damals ziemlich kess: „Ich bin beidfüßig und kann sowohl mit rechts als auch mit links schießen.“

Genau diese Unbekümmertheit soll Calhanoglu nun auch in seinem ersten HSV-Trainingslager demonstrieren. Sportchef Oliver Kreuzer ist sich jedenfalls sicher, dass der Verein nun „einen ganz besonderen Fußballer“ in seinen Reihen habe – der bei seinem ersten Pressegespräch im Hotelgarten alles andere als schüchtern wirkt. „Ich habe Riesen-Selbstvertrauen“, sagt Calhanoglu, „meine persönlichen Ziele sind ein Platz in der Startelf und die Qualifikation für Europa.“

Werner Schön, der aktuelle Leiter der Jugendabteilung des KSC, hat wenig Zweifel, dass Calhanoglu seine Ziele auch erreicht. „Wenn die anderen Spieler nach dem Training in die Kabine gingen, blieb Hakan noch auf dem Platz und übte, zur Not auch ganz allein, Ecken und Freistöße“, sagt Schön, der sich dann aber doch an eine Schwäche des Deutschtürken erinnert. Zu gerne, so wird es sich in Karlsruhe erzählt, kam das Supertalent bereits am Morgen mit einer Tüte Schoko-Croissants zum Training. „Die Tüte haben wir ihm dann abnehmen müssen“, sagt Trainer Kauczinski.

Diese Anekdoten sind natürlich lange her. Mittlerweile hat Calhanoglu seine Ernährung umgestellt – und wird nun sogar von der türkischen A-Nationalmannschaft umworben. Eine Einladung zum Testländerspiel im August gegen Usbekistan hat er bereits erhalten – ob er diese aber auch annimmt, weiß Calhanoglu noch nicht. „Ich muss mir das noch gut überlegen. Wenn man den Schritt wie Mesut Özil macht, dann kann man mit der deutschen Nationalmannschaft natürlich sehr weit kommen“, sagt der Neu-Hamburger, der auch schon mit Kreuzer und Trainer Thorsten Fink über diese wichtige, aber noch offene Zukunftsentscheidung gesprochen hat.

Entschieden ist dagegen, dass Calhanoglu, dessen erklärte Lieblingsrückennummer die 10 ist, auf dem Trikot die Nummer 9 erhält. „Die Zehn muss man sich erst erarbeiten“, sagt der Nachwuchsmann, der auch in Österreich lieber heute als morgen damit anfangen würde. Bevor es aber so weit ist, muss sich Calhanoglu zunächst noch gedulden und vor allem eine echte Qual über sich ergehen lassen: Wie alle Neuzugänge muss auch er in diesen Tagen ein Einstandslied vor versammelter Mannschaft zum Besten geben. Die Wahl fiel nach vergeblichen Versuchen zu kneifen auf „Sie liegt in meinen Armen“ von Muhabbet. Ob ausgerechnet dieser Song zum guten ersten Gesamteindruck beitragen kann, müssen nun die kritischen Kollegen entscheiden.