Serie: Augenzeugen der Bundesliga: Vertragsamateur Carsten Lakies kam 1997 für den Weltmeisterstürmer ins Spiel

München. Sie waren geduldig, aber nun reicht es den 63.000 Zuschauern. Sie fangen an zu pfeifen. Denn sie können es nicht mehr ertragen, dass sich ihre Mannschaft, der Tabellenführer, nun schon seit 80 Minuten gegen den Tabellenletzten quält. Dabei ist es ein so schöner Tag, dieser 10. Mai 1997. Doch was der FC Bayern im Münchner Olympiastadion gegen den SC Freiburg abliefert, ist eine Frechheit. Das muss sich jetzt auch Trainer Giovanni Trapattoni eingestehen. Mit Carsten Jancker hat er für Alexander Zickler einen neuen Stürmer gebracht. Doch der reibt sich vorn im Angriff auf wie Jürgen Klinsmann. Trapattoni weiß, dass er reagieren muss. Ein 0:0 gegen das Schlusslicht würde nicht nur für Spott und Häme sorgen, sondern für eine neue Spannung im Titelkampf. Leverkusen liegt vier Spieltage vor dem Saisonende drei Punkte hinter den Bayern.

Der Coach schaut nach rechts zur Torauslinie. Hinter ihr laufen sich die Ersatzspieler warm. Trapattoni fuchtelt wild mit seinen Armen und schreit den Namen von Carsten Lakies. Lakies - bitte wer? Der 26 Jahre alte Vertragsamateur trainiert seit Wochen mit den Profis. An diesem 31. Spieltag hat er es das zweite Mal in den Kader geschafft. Doch gespielt hat er für die Profis noch nie. Und nun? "Ich habe auf mich gezeigt, um sicherzugehen, dass der Trainer auch wirklich mich gemeint hat. Trapattoni hat genickt und mir mit den Armen signalisiert, dass ich mich beeilen soll", erinnert sich Lakies.

Dann ist es so weit. Bayern wechselt. Eigentlich ist so ein Spielerwechsel nichts Besonderes: der eine geht, der andere kommt - alles je nach Spielverlauf. Doch dieser Wechsel, den Trapattoni um kurz nach fünf Uhr vornimmt, ist eine Majestätsbeleidigung. Trapattoni holt Klinsmann vom Feld, seinen bis dato mit 13 Saisontreffern besten Torjäger. Der blonde Angreifer ist sauer.

Er schüttelt verständnislos mit dem Kopf und läuft nur widerwillig zur Seitenlinie. Dort steht Lakies bereit. Klinsmann klatscht ihn mit seiner rechten Hand ab, würdigt ihn aber keines Blickes. Stattdessen schaut er rüber zu Trapattoni. Klinsmann ist so wütend, dass er die Contenance verliert. Der Stürmer beschimpft Trapattoni lauthals mit "vai a cagare", was so viel wie "geh kacken" heißt. Klinsmann ist so außer sich, dass er auf dem Weg in die Kabine wutentbrannt mit dem rechten Fuß ein Loch in eine Werbetonne des Sponsors Sanyo tritt, die direkt neben der Ersatzbank steht. Es ist ein Tritt für die Ewigkeit. Und ein Tritt, der den eingewechselten Carsten Lakies von einer Sekunde auf die andere berühmt macht.

"Ich kann mich noch daran erinnern, dass ich einen Knall gehört habe, als ich auf den Platz gelaufen bin", erzählt Lakies, der seit April 2011 beim hessischen Verbandsligisten FSC Lohfelden als Trainer arbeitet. Weil es seine einzigen zehn Minuten waren, die er für die Bayern gespielt hat, sind sie mehr als 15 Jahre danach noch präsent - und natürlich auch wegen der Begleitumstände. "Wenn ich damals nach drei Minuten einen Kopfball ins Tor gemacht hätte, würden wir uns heute nicht nur über den Tonnentritt unterhalten, sondern über mein Tor nach dem Tonnentritt. Aber es sollte nicht sein."

0:0 endet das Spiel gegen den SC Feiburg. Und noch bevor Klinsmann das Stadion verlässt, kommt die Einsicht über sein Fehlverhalten. "Ich habe mich gleich in der Kabine bei ihm entschuldigt. Das war sicherlich nicht meine größte Leistung. Wie jeder ehrgeizige Fußballspieler habe ich mich über meine Auswechslung geärgert", berichtet Jürgen Klinsmann Jahre später: "Ich habe mir beim Tonnentritt das ganze Schienbein aufgeschürft."

Wer heute jene Tonne begutachten will, der muss sich nur auf den Weg in die Erlebniswelt des FC Bayern machen. Der Klub hatte das gute Stück von einem Feinkosthänger in Stuttgart besorgt. Der hatte es 2006 für 3000 Euro bei Ebay ersteigert.