Serie: Augenzeugen der Bundesliga: 2001 wähnten sich die Königsblauen bereits als Titelträger. Überbringer der falschen Nachricht war ein TV-Reporter

Gelsenkirchen. Immer wenn Rolf Fuhrmann nach Schalke kommt, macht er den gleichen Witz. Schließlich kriegt er auch immer das Gleiche zu hören. "Guck mal, da kommt der Meistermacher", scherzen einige Schalker Offizielle, wenn sie den Reporter mit dem markanten Gesicht sehen. "Seid doch froh", sagt "Rollo" dann, " so wart Ihr wenigstens für vier Minuten Deutscher Meister." Dann lachen alle herzhaft.

Vor elf Jahren wurde an gleicher Stelle geweint. Selten flossen so viele Tränen in einem Fußballstadion wie am 19. Mai 2001, und Rolf Fuhrmann war mittendrin. Der heute 63-Jährige war damals eingeteilt, um für den Abosender "Premiere", der heute "Sky" heißt, aus dem Schalker Parkstadion vom Spiel der Gelsenkirchener gegen Unterhaching zu berichten. Es war das letzte Spiel der Saison 2000/01. Fuhrmann ist "Fieldreporter" für die Interviews nach Spielende. Doch viel Brisanz versprach das Spiel eigentlich nicht, der FC Bayern hatte drei Punkte Vorsprung. Nur eine Niederlage der Münchner beim HSV bei einem Schalker Sieg hätte das Blatt noch einmal gewendet.

Schalke siegte 5:3 nach einem 2:3-Rückstand. Rolf Fuhrmann saß am Spielfeldrand und wusste: Der Schalker Sieg war quasi wertlos, solange es in Hamburg 0:0 stand. Und das tat es. Bis zur 90. Minute, als Sergej Barbarez entwischte zur Hamburger Führung einköpfte. "Der Deutsche Meister heißt Schalke 04", brüllte Premiere-Kommentator Hansi Küpper euphorisch ins Mikro. In Gelsenkirchen schlug die Nachricht vom Tor ein wie eine Bombe.

Dort hatte Schiedsrichter Hartmut Strampe pünktlich abgepfiffen, die Stadiontore waren geöffnet worden und die Zuschauer auf den Rasen geströmt, als sich die frohe Kunde aus Hamburg verbreitete. Ungläubige Verzückung legte sich auf die Gesichter der Fans, Spieler und Funktionäre. Doch war das Spiel in Hamburg zu Ende? Das war unklar, die Videoleinwand blieb schwarz.

Rolf Fuhrmann war währenddessen längst zur Tat geschritten. Er hatte sich Schalkes Teammanager Andreas Müller geschnappt. "Ich habe im Übertragungswagen nachgefragt, ob das Bayern-Spiel schon abgepfiffen sei, bekam aber keine Antwort. Das Spiel in Hamburg ist aus, hieß es überall." Der Reporter ging live auf Sendung. "Es ist zu Ende in Hamburg. Schalke ist Meister", sagte er zu Andreas Müller, der ein HSV-Trikot übergestreift hatte. So wurde Fuhrmann zum Überbringer der falschen Nachricht. "Danke, danke. HSV, ich liebe euch", stammelte Müller.

Doch kaum war das Kurzinterview beendet, geschah etwas, das sich wie ein Trauma in die Schalker Seele brannte. Die Videotafel sprang an, und die Menge erstarrte. Ein Livebild aus Hamburg flackerte ins Parkstadion. Just hatte HSV-Torwart Mathias Schober einen Rückpass von Tomas Ujfalusi aufgenommen, Schiedsrichter Markus Merk entschied auf indirekten Freistoß für den FC Bayern, zehn Meter vor dem Tor. Schalke war live am TV dabei.

"Alle starrten wie paralysiert auf die Videoleinwand, hielten die Luft an", erinnert sich Fuhrmann, "und dann brachen sie zusammen." Denn der Münchner Patrick Anderson hatte in der vierten Minute der Nachspielzeit den Freistoß zum 1:1 versenkt. Live mussten die Schalker mit ansehen, wie Oliver Kahn über das Spielfeld rannte und die Eckfahne herausrupfte.

"Ich wusste sofort, was los war. Ich war einer der Hauptbeteiligten. Und weil ich im Live-Interview mit Andi Müller gesagt hatte, dass das Spiel aus war, war ich in gewisser Weise das Gesicht dieser Fußball-Tragödie", sagt Fuhrmann. Ein schlechtes Gewissen aber hat er nicht: "Es war eine Verkettung von unglücklichen Umständen."

Seit jenem schicksalhaften Nachmittag im Mai trägt der FC Schalke den Beinamen "Meister der Herzen". Rolf Fuhrmann wird trotz allem stets freundlich begrüßt. "Vielleicht muss man das so sehen: Ohne die Pannen wäre es wohl nie zum verrücktesten Fußballmoment der Geschichte gekommen, was auch schade wäre."