Bundestrainer Joachim Löw kritisiert vor dem heutigen Irland-Spiel Marcel Schmelzer und beklagt fehlende Alternativen auf außen.

Dublin. Es regnete so stark, dass die Scheiben des Taxis von einem dichten Nebel überzogen wurden - was den Fahrer auf dem Weg vom Flughafen zum Dubliner Aviva-Stadion aber nicht davon abhielt, über die wichtigen Dinge zu dozieren, während er sich einen Weg durch das Verkehrsdickicht bahnte. "Ihr Deutschen habt Klose und vor allem diesen Deutsch-Türken ..., genau, Özil. Wir haben nur Robbie Keane. Irlands Team, das ist nur er. Und ihr werdet uns auffressen."

Angenommen, die These des irischen Fußballfans stimmt, trifft die deutsche Fußball-Nationalmannschaft heute (20.45 Uhr MESZ/ZDF live) im dritten WM-Qualifikationsspiel nach dem 3:0 gegen die Färöer und dem 2:1 in Österreich quasi auf ein Nicht-Team, denn nur Minuten nach der Eloge des Taxifahrers auf den Kapitän und Rekordspieler (125 Einsätze) musste Giovanni Trapattoni bekannt geben, dass die Achillessehnenverletzung einen Einsatz Keanes nun doch unmöglich macht. Ein herber Verlust, schließlich fehlten dem italienischen Trainer schon vorher fünf Stammkräfte.

Im Grunde besteht für Joachim Löw also kein Anlass zur Sorge, schließlich war schon bei der jüngsten EM-Endrunde zu beobachten, dass als herausragende Qualitäten der Iren derzeit nur die Sangeskünste der Fans auf den Rängen zu nennen sind. Sollte die DFB-Auswahl beherzt in die Zweikämpfe gehen und ihre spielerische Überlegenheit abrufen, wäre alles andere als ein souveräner Sieg des DFB eine Sensation. Oder etwa nicht, Herr Löw?

Im Prinzip ja - wäre da nicht die Defensive, die der Bundestrainer längst als Problemzone ausgemacht hat. Wobei es gestern zwei Ebenen seiner kritischen Analyse gab.

Nachdem er zuletzt mit der Rückwärtsbewegung der gesamten Mannschaft unzufrieden war, legte Löw während der Vorbereitung verstärkt Wert auf Übungen für eine bessere defensive Stabilität: "Wir brauchen mehr Struktur, mehr Klarheit, die Positionen müssen besser besetzt sein. Denn es liegt nicht nur an der Abwehr."

Doch über keinen anderen Mannschaftsteil muss Löw so häufig brüten wie über die hintere Reihe. Der "Kicker" rechnete aus, dass die voraussichtliche Formation mit Jerome Boateng, Per Mertesacker, Holger Badstuber und Marcel Schmelzer bereits die neunte Viererkette in diesem Kalenderjahr ist. Die Agentur sid zählte auf, dass Löw seit seinem Amtsantritt 2006 bereits 23 (!) Spieler auf den Außenverteidiger-Positionen eingesetzt hat - dabei sucht der 52-Jährige noch immer nach der Ideallösung neben (dem in Irland gelbgesperrten) Philipp Lahm.

In Dublin darf erneut Marcel Schmelzer auf links auflaufen, obgleich Löw ungewohnt offen klarmachte, dass der Dortmunder längst nicht das gewünschte Niveau erreicht hat. "Er hat gegen Österreich kein gutes Spiel gemacht", hob der DFB-Coach an, "manchmal benötigt ein Spieler Zeit für das allerhöchste Niveau, für die Gewöhnung an Tempo, Schnelligkeit, Dynamik und die Drucksituation." Man müsse, so Löw, die "nächsten zwei, drei, vier oder fünf Monate mit Schmelzer weiterarbeiten, das werden wir auch, und Alternativen schaffen". Aber: "In der Bundesliga gibt es gerade außen links ganz, ganz wenige Alternativen. Ich kann sie mir auch nicht schnitzen."

Es ist bezeichnend für Löws Nöte, dass er gestern sogar Heiko Westermann als Kandidaten für die rechte Abwehrseite nannte: "Mit seiner körperlichen Präsenz könnte er wichtig sein." Der nachnominierte HSV-Kapitän wäre angesichts seiner Kampfkraft und Kopfballstärke durchaus eine Option - aber eher in der Zentrale. Dem Anforderungsprofil eines modernen Außenverteidigers, der auch offensiv Akzente setzt, entspricht er nicht.

Dennoch dürfte man in Hamburg die Einlassungen Löws ganz genau registriert haben. Nachdem sich Marcell Jansen beim HSV mit der Linksverteidiger-Position angefreundet hat und via "Sport Bild" verkündete, den Posten nicht mehr freiwillig an Dennis Aogo abzutreten, sind seine Ambitionen klar. Hier rechnet sich Jansen, der bis 2010 zum Kreis der Etablierten gehörte, die besten Chancen aus, wieder zum DFB zurückzukehren. Aber wer einmal in Löws Gunst gesunken ist, muss sich gedulden. Sowohl Jansen als auch Aogo, der gerade erst wieder das Training aufgenommen hat, werden in dieser Saison erst über Monate stabile Leistungen bringen müssen, bevor sie auf eine Nominierung hoffen dürfen.