Beim Blindenfußball rasselt der Ball, und die Spieler lassen sich von ihrem Gehör leiten. Ein Selbstversuch

Hamburg. Eben noch war da eine fremde Schulter an meiner Seite zu spüren, jetzt ist sie weg. Meine Orientierung auch. Rechts und links von mir müssten irgendwo die beiden Tore sein, aber ich soll auf der rechten Seite verteidigen. Nur weiß ich nicht, wie ich auf meine Position kommen soll. Eine Hand greift nach meinem Arm, führt mich, ich rufe den Namen eines Mitspielers, der die andere Seite dichtmachen soll. Seine Antwort kommt aus einer anderen Richtung als vermutet. Steht er falsch oder ich? Vorsichtig tapse ich über das Spielfeld, die Arme nach vorn ausgestreckt. Ständig kämpfe ich gegen den Impuls an, mir die mit Tapeband verklebte Skibrille vom Kopf zu reißen, damit ich wieder etwas sehen kann. Unmöglich. Schließlich ist das hier Blindenfußball.

Ich versuche mich auf die Stimme meines Torwarts zu konzentrieren. Der kann sehen und soll mir sagen, wohin ich mich bewegen soll, ob ein Spieler auf mich zukommt oder nur der Ball. Doch meistens geht alles viel zu schnell. Gerade noch höre ich den Ball, in den eine Rassel eingebaut ist, ich will ihn stoppen, spüre schon, wie er gegen meinen Fuß prallt, doch er rollt vorbei. Mit der Zeit werde ich mutiger, stelle mich in den Weg, wenn ich ein "Voy!" in meiner Nähe höre. Den spanischen Ausdruck für "Ich gehe" rufen die Blindenfußballer, wenn sie im Angriff sind oder einen Gegner blocken wollen. Also rufe ich auch ständig "Voy!" und trete Löcher in die Luft, wenn ich den Ball in meiner Nähe vermute. Von Minute zu Minute fällt die Orientierung schwerer. Einmal gelingt es mir jedoch, einem Gegenspieler den Ball abzunehmen und nach vorne zu schießen. Meine beste Aktion.

Was für einen nicht sehbehinderten Reporter beim Ausprobieren dieser erstaunlichen Sportart nicht nur ungewohnt ist, sondern nahezu unmöglich scheint, ist für die Blindenfußballer beim fünften Hallenmasters in der Sporthalle des Wirtschaftsgymnasiums St. Pauli eine leichte Übung. Die Sehgeschädigten verlassen sich einzig auf ihr Gehör und ihr Gespür, dribbeln mit dem Ball eng am Fuß, spielen genaue Pässe, erzielen mit platzierten und harten Schüssen Tore. Alles in völliger Dunkelheit. Die einzigen Sehenden sind der Torwart und zwei Guides, einer an der Mittellinie und einer hinter dem gegnerischen Tor. Sie geben Anweisungen, Orientierungshilfen beim Torabschluss.

Einer von ihnen ist Wolf Schmidt. Er ist seit drei Jahren Trainer des FC St. Pauli, der gastgebenden Mannschaft bei diesem Turnier, zu dem sechs Bundesligateams eingeladen sind, darunter der amtierende deutsche Meister Blau-Gelb Marburg. Schmidt ist begeistert von dieser noch jungen Sportart. "Mich fasziniert die Zusammenarbeit zwischen den Sehenden und den Blinden", sagt er. "Außerdem ist es eine Herausforderung, die vielen unterschiedlichen Charaktere und die sportlichen Voraussetzungen zusammenzubringen."

Beim Blindenfußball spielen Frauen und Männer in einem Team, ein Spiel dauert 25 Minuten. Beim FC St. Pauli sind es derzeit zehn sehgeschädigte Spieler und Spielerinnen, die zweimal in der Woche trainieren und einmal im Monat ein Spiel in der Bundesliga absolvieren. "Wer bräuchten eigentlich noch mehr Spieler", sagt Schmidt, "jeder, der sehgeschädigt ist und Lust hat, Sport zu treiben, ist bei uns herzlich willkommen."

Erik Engler, 33, spielt seit 2008 Blindenfußball, eigentlich in Köln, doch an diesem Wochenende unterstützt er Schmidts Team. Engler wurde blind, als er 19 Jahre alt war. Spätfolge einer Chemotherapie nach einer Krebserkrankung im Kindesalter. Er habe schon früher Fußball gespielt, erzählt er. Am Anfang habe er Hemmungen auf dem Platz gehabt, schließlich konnte er ja vorher sehen. "Aber ich bin fußballverrückt", sagt er. "Und mittlerweile komme ich gut auf dem Platz klar."

Das geht mir, dem Sehenden, nicht so. Es macht zwar Spaß und fordert mich und alle meine übrig gebliebenen Sinne, doch ich bin froh, als ich die Maske wieder abnehmen darf. Wir haben verloren, natürlich. Unser Gegner, die Mannschaft des FC St. Pauli, scheidet im Halbfinale unglücklich gegen den späteren Turniersieger LFC Berlin aus und wird Vierter.