Obwohl Deutschland nirgendwo sonst zuletzt so häufig gewann, glaubt Österreich - sogar der verstoßene HSV-Profi Scharner - an einen Sieg.

Wien. Es wird nicht lange gedauert haben, bis sich Joachim Löw gestern Mittag in Wien zumindest ein wenig wie zu Hause gefühlt haben dürfte. Direkt nach der Landung um 11.28 Uhr ließ sich der Bundestrainer in seiner alten Heimat vom Flughafen in Richtung Donau kutschieren, fuhr am weltbekannten Prater vorbei, ehe er sich vor dem Ernst-Happel-Stadion, wo heute Abend (20.45 Uhr/ARD und im Liveticker auf abendblatt.de) das deutsche Team auf Österreich trifft, absetzen ließ. "Ich freue mich, dass wir wieder mal in Wien sind", sagte Löw, der vor acht Jahren als Trainer von Austria Wien gerne an Montagabenden unweit des Stadions bei Spielen der alten Herren selbst ins Geschehen eingegriffen haben soll. Und obwohl der Terminkalender gestern kein Comeback in kurzen Hosen vorsah, war dem 52-Jährigen die Freude über seine Rückkehr doch anzumerken.

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Wahrscheinlich wäre es aber ein wenig übertrieben, Löws gehobene Stimmung einzig mit dem Kuriosum zu erklären, dass er zwischen 2003 und 2004 mit mehr oder weniger Erfolg in Österreichs Hauptstadt gearbeitet hat. Sehr viel erfolgreicher waren da schon seine regelmäßigen Abstecher nach Wien mit der deutschen Nationalmannschaft, die in den vergangenen vier Jahren nirgendwo sonst im Ausland öfter gespielt und gesiegt hat. Das heutige WM-Qualifikationsspiel ist bereits das vierte Duell der beiden ungleichen Nachbarn in den vergangenen vier Jahren, das im mal wieder ausverkauften Ernst-Happel-Stadion ausgetragen wird. An gleicher Stelle siegte Löws Mannschaft zuletzt 3:0 im Februar 2008, 1:0 während der EM 2008 und 2:1 bei der Qualifikation zur EM 2012. "Es stimmt, dass wir zuletzt immer erfolgreich gegen Österreich gespielt haben", sagte Löw, der trotzdem warnte: "Die Österreicher haben sich in den vergangenen Jahren enorm weiterentwickelt." Und als eine Wiener Journalistin höflich nachfragte, ob die Lobhudelei vor dem heutigen Nachbarschaftsduell nichts weiter als das übliche Vor-dem-Spiel-Geschwätz sei, wurde Löw sogar richtig ernst: "Ich habe großen Respekt vor der österreichischen Mannschaft. Sie haben mittlerweile ein Team, das auf Augenhöhe ist, nahezu die ganze Mannschaft spielt im Ausland."

Tatsächlich plant Nationaltrainer Marcel Koller heute erstmals mit einer Startaufstellung nur mit Legionären, darunter acht Bundesliga-Profis. Besonders stolz ist man in der Alpenrepublik auf die Bundesliga-Offensive mit Marko Arnautovic, Zlatko Junuzovic (beide Werder Bremen), dem Mainzer Andreas Ivanschitz und ganz vorne dem gebürtigen Hamburger Martin Harnik (VfB Stuttgart). Mit diesem Quartett scheint ganz Österreich zu glauben, möglicherweise das Unmögliche heute Abend doch möglich zu machen. Die Euphorie ist so groß wie noch nie. Die Zeitungen planen Sonderseiten, der Spartensender ORF Sport + zeigt ab 11 Uhr Vorberichte und sogar der von Koller verstoßene HSV-Profi Paul Scharner glaubt an eine Überraschung.

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"Erstmals seit langer Zeit könnte Österreich Deutschland wirklich gefährlich werden", sagt Scharner im Gespräch mit dem Abendblatt, "wichtig ist nur, dass man auf Sieg spielt und nicht auf ein Unentschieden hofft." Obwohl der Neu-Hamburger vor wenigen Wochen nach einem öffentlich ausgetragenen Streit mit Koller aus der Nationalmannschaft schied, ist Scharner vom Potenzial seiner früheren Kollegen überzeugt. "Bereits zehn Jahre vor der EM 2008 hat der Verband angefangen, zwölf Nachwuchsakademien zu gründen", erklärt Scharner, "diese Arbeit trägt jetzt endlich Früchte." Auch die Trainerausbildung werde zunehmend professionalisiert. Bayerns David Alaba, der heute verletzt fehlt, oder Mainz-Profi Julian Baumgartlinger seien nur zwei von vielen Beispielen der guten Talentförderung, die sich auch in den Erfolgen der Nachwuchs-Nationalmannschaften widerspiegeln würde. So erspielte sich Österreichs U20-Team mit den heutigen Nationalspielern Harnik und Sebastian Prödl bei der U20-WM 2007 in Kanada einen sensationellen vierten Platz. "Österreichs Nachwuchsmannschaften konnten einige Achtungserfolge feiern, die Jugendarbeit wird konsequenter verfolgt und ist ganz einfach besser geworden", lobt auch Löw, der seine Spieler mit Videosequenzen aus den Spielen gegen Finnland, die Ukraine und die Türkei für Österreichs Stärken sensibilisierte.

Aus Scharners Sicht hat die aktuelle A-Mannschaft nicht nur das Potenzial, Deutschland zu besiegen, sondern sich auch erstmals seit 1998 für eine WM zu qualifizieren. "Ich sehe die österreichische Mannschaft auf einem Level mit Schweden und Irland. Beide Nationen sind höchstens erfahrener als wir." Seine Erfahrung ist in Österreich dagegen wohl nicht mehr erwünscht. "Anders als immer behauptet, bin ich nie aus der Nationalmannschaft zurückgetreten", sagt Scharner, "ich wurde quasi zurückgetreten." Von seiner Seite aus sei das Kapitel Nationalteam nicht geschlossen, "aber der Verband wird das Buch wohl nicht wieder aufschlagen".

Auf das heutige Nachbarschaftsduell freut sich Scharner trotzdem. Er werde seinen früheren Kollegen von dem Sofa aus die Daumen drücken, sagt der derzeit am Knie verletzte Innenverteidiger: "Früher oder später ist Deutschland einfach mal fällig."

Die voraussichtlichen Mannschaftsaufstellungen

Österreich: Almer/Fortuna Düsseldorf (28/3) - Garics/FC Bologna (28/27), Prödl/Werder Bremen (25/34), Pogatetz (VfL Wolfsburg (29/48), Fuchs/Schalke 04 (26/48) - Baumgartlinger/FSV Mainz 05 (24/22), Kavlak/Besiktas Istanbul (23/18) - Arnautovic/Werder Bremen (23/19), Junuzovic/Werder Bremen (24/10), Ivanschitz/FSV Mainz 05 (28/56) - Harnik/VfB Stuttgart (25/30). - Trainer: Koller

Deutschland: 1 Neuer/Bayern München (26 Jahre/32 Länderspiele) - 16 Philipp Lahm/Bayern München (28/92), 17 Mertesacker/FC Arsenal (27/82), 5 Hummels/Borussia Dortmund (23/21), 14 Badstuber/Bayern München (23/27) - 6 Khedira/Real Madrid (25/34), 18 Kroos/Bayern München (22/31) - 13 Müller/Bayern München (22/34), 8 Özil/Real Madrid (23/40), 21 Reus/Borussia Dortmund (23/10) - 11 Klose/Lazio Rom (34/123). - Trainer: Löw

Schiedsrichter: Björn Kuipers (Niederlande)