Hanke trifft nach 1.037 Minuten – „Wir sind noch keine Spitzenmannschaft“ – Rundumschlag von Rensing

Köln. Alles gelang den Gladbacher Überfliegern dann doch nicht. Als Marco Reus mit Matchwinner Mike Hanke auf dem Rücken in Richtung der euphorischen Borussia-Fans torkelte, brach das Erfolgsduo nach wenigen Metern zusammen. Es sollte der einzige Schönheitsfehler bleiben nach einem Spiel ohne Makel. „Spitzenreiter, Spitzenreiter“, schallte es immer wieder durch das Stadion, nachdem sich der Fast-Absteiger der Vorsaison mit einem 3:0 (2:0)-Derbysieg beim 1. FC Köln und einer Gala-Vorstellung an diesem Freitagabend an der Tabellenspitze der Fußball-Bundesliga wiederfand.

Das hatte es zu einem derart vorgerückten Zeitpunkt der Saison seit 25 Jahren nicht mehr gegeben, doch die Meisterschaft bleibt unter der Ägide von Erfolgstrainer Lucien Favre ein Tabu-Thema. „Das wäre unseriös. Wir dürfen nicht vergessen, wo wir vor sechs Monaten standen. Es ist die gleiche Mannschaft, die den Klassenerhalt in letzter Minute geschafft hat“, wiederholt der listige Schweizer gebetsmühlenartig, wenngleich ihm allmählich die Argumente ausgehen.

Frankfurt als warnendes Beispiel – die Eintracht ist in der vergangenen Saison mit 26 Punkten nach der Hinrunde noch abgestiegen - zieht nicht mehr. Gladbach hat bereits 29 Zähler gesammelt und darf von einer großen Saison träumen. „Wir sind noch keine Spitzenmannschaft“, behauptete Hanke dennoch. Plausibl wirkte seine Erklärung dafür nicht: „Dafür fehlen uns zwei Meisterschaften und ein Pokalsieg.“

Hanke hatte gut lachen, schließlich stand der frühere Nationalspieler nach den Marco-Reus-Wochen diesmal selbst im Mittelpunkt. Zwei Treffer steuerte der Blondschopf zum 43. Derbysieg gegen den Rivalen aus Köln bei, nachdem er quälend lange 1037 Minuten auf sein erstes Erfolgserlebnis warten musste. „Das ist mir egal. Früher war es mir nicht egal. Da war ich ein Strafraumspieler, jetzt bin ich eher Spielgestalter. Ich habe auch viele Tore vorbereitet. Die Mannschaft weiß, was sie an mir hat“, erklärte Hanke, der von Favre ein Extra-Lob erhielt. „Mike ist ein sehr intelligenter Spieler, ein sehr guter Fußballspieler“, sagte Favre.

Dass es zu einem dritten Treffer nicht reichte, lag auch an Hankes fehlenden Qualitäten im Knobelspiel „Schnick, Schnack, Schnuck“. Vor dem Freistoß in Tornähe zwölf Minuten vor Schluss ermittelten die beiden Spaßfußballer Hanke und Reus den Schützen kurzerhand mittels des beliebten Kinderspiels. „Er hat Stein genommen, ich die Schere. Mit einer Schere lässt sich schwer ein Stein durchschneiden“, erläuterte Hanke. Den Freistoß setzte Reus dann in die Mauer.

Reus – mit zwei geschwollenen Zehen und einem kaputten Schuh nach einem rüden Tritt eines Kölners bereits früh gehandicapt – nahm ohnehin im 79. Rhein-Derby eine Nebenrolle ein. Aber es zeichnet die Gladbacher Mannschaft aus, dass dafür andere in die Bresche springen. „Ich bin extrem zufrieden“, sagt Favre, der seit seinem Amtsantritt am 14. Februar eine geradezu „meisterliche Bilanz“ vorweisen kann. 59 Punkte holte die Borussia in 26 Spielen unter seiner Führung, schaffte im Mai den kaum mehr für möglich gehaltenen Klassenerhalt und tummelt sich nun nach zuletzt vier Siegen und 12:2 Toren mit den Großen der Liga in der Spitzengruppe.

Doch es sind weniger die beeindruckenden Zahlen, denn auch fußballerisch tritt die Borussia im Stile einer Spitzenmannschaft auf. Wo früher die Bälle planlos nach vorne geschlagen wurden, lässt Favre heute schnellen und ansehnlichen Kombinationsfußball spielen. „Wir dürfen jetzt nur nicht von irgendwelchen Sachen träumen, die wir nicht beeinflussen können“, mahnte Schlussmann Marc-Andre ter Stegen. Worte, die ganz nach dem Geschmack von Favre sind.

Und Köln? Beim FC ist wieder große Ernüchterung eingekehrt. Schlussmann Michael Rensing startete in seinem ganzen Ärger einen Rundumschlag gegen seine Teamkollegen. „Wir haben keine Eier in der Hose. Man kann einen schlechten Tag haben, aber so wie wir aufgetreten sind, sang und klanglos untergehen, das geht gar nicht. Diese Schwankungen machen keinen Spaß“, polterte der Keeper und handelte sich einen Rüffel von Sascha Riether ein: „Man sollte schon die richtigen Worte finden.“ Schon auf dem Platz, nach dem 0:3, warf Rensing aus der haut gefahren und hatte seine Kollegen wütend verbal attackiert.

Lukas Podolski machte sich indes Gedanken „über alles“. Auch in dieser Saison gehe es wieder nur um den Klassenerhalt. Es habe sich nichts geändert. Das seien nicht seine Ziele. Eine gute Gesprächsgrundlage für die Vertragsverhandlungen im Winter sieht anders aus.