Mit drei Verteidigern entgeht die deutsche Fußball-Nationalmannschaft beim 3:3 in der Ukraine nur knapp einer Niederlage

Kiew. Joachim Löw ruderte am Spielfeldrand, er versuchte alles, diesen Abend noch zu einem glücklichen Ende zu führen. Doch als im Kiewer Olympiastadion der Schlusspfiff ertönte, konnte, ja musste der Fußball-Bundestrainer einfach zufrieden sein. Das Resultat, 3:3 (1:3) beim EM-Mitgastgeber Ukraine, war unterm Strich wohl das Beste an einem Freundschaftsspiel, das mit einem Experiment begann und fast in einem Debakel geendet wäre.

"Die Mannschaft hat große Moral bewiesen", sagte Löw, der der Eiseskälte und den leichten Schneeschauern mit einem Sakko getrotzt hatte. Er habe "den Ernstfall vor dem Ernstfall" proben wollen und deshalb auf ein 3-4-2-1-System gesetzt: mit dem Hamburger Dennis Aogo im linken Mittelfeld sowie Mesut Özil und Mario Götze als Kreativ-Tandem. Schon der FC Barcelona hatte sich erfolgreich daran versucht, das Dogma der Viererkette aufzubrechen, um ein Übergewicht im Mittelfeld zu schaffen. In der Bundesliga hatte zuletzt Wolfsburgs Trainer Felix Magath diese Idee adaptiert - und 1:5 in Dortmund verloren.

Der Bundestrainer hätte also gewarnt sein können. Die Ukraine brauchte nicht lange, um die Fehler im System ihres Gegners freizulegen. Bereits nach zwei Minuten kam Kapitän Andrej Schewtschenko nach einem Alleingang halblinks frei zum Schuss, traf aber nur das Außennetz. Bis die deutsche Mannschaft eine vergleichbare Torchance erarbeitet hatte, verging eine Viertelstunde. Mario Gomez, der die DFB-Auswahl in seinem 50. Länderspiel erstmals als Kapitän aufs Feld hatte führen dürfen, scheiterte mit seinem Schuss aber an Rybka.

Es blieb ein singuläres Ereignis, weshalb das ukrainische Führungstor in der 27. Minute nach einem sehenswerten Konter verdientermaßen fiel. Timoschtschuk hatte Schewtschenko mit einem Pass quer übers Feld in Bewegung gesetzt, der auf Rakyzkij weitergelegt und dieser den einschussbereiten Andrej Jarmolenko fünf Meter vor dem Tor bedient. Mit einem linken Verteidiger wäre das wohl nicht passiert.

Dem 0:2 ging ein kapitaler Fehler Mats Hummels' voraus. Der Dortmunder hatte im gegnerischen (!) Strafraum den Ball an Milewskij verloren. Dann geschah Wunderliches. Milewskij leitete den Ball an Jewgen Konopljanka weiter, und seinem Antritt über 60 Meter konnte - oder wollte? - kein deutscher Spieler so recht folgen. "Aogo hätte sich zu ihm orientieren müssen", kritisierte Löw den Hamburger. So stellte sich einzig der bemitleidenswerte Debütant Ron-Robert Zieler im deutschen Tor in den Weg, konnte aber auch diesen Treffer nicht verhindern (36.).

Diesmal blieb die Reaktion nicht aus. Toni Kroos, kurz zuvor noch knapp gescheitert, eröffnete sich nach einem Fehlpass eine Schusschance aus 25 Metern. Und mit der richtigen Mischung aus Wut und Übersicht fand der Ball tatsächlich den Weg ins Tor. Kurz vor der Halbzeit dann sogar fast der Ausgleich: Ein Kopfball Sami Khediras prallte von der Latte an Rybkas Ferse und von dort fast über die Linie. Stattdessen fiel im Gegenzug das 3:1. Sergej Nasarenko, kurz zuvor eingewechselt, fasste sich aus 30 Metern ein Herz, und wieder ging Zielers Flug nur ins Leere.

Man konnte vermuten, dass Löw sein Experiment nun beenden würde. Doch der Bundestrainer gönnte ihm eine zweite Halbzeit. Es wurde zumindest nicht schlimmer, die deutsche Mannschaft konnte dabei aber eher von Glück reden. So beim Schuss von Schewtschenko, der Zieler ein erstes Erfolgserlebnis gönnte (49.). Oder beim Vorstoß von Nasarenko, der freistehend knapp verzog (62.). Spätestens jetzt war die Stimmung EM-würdig.

Der erneute Anschlusstreffer fiel denn auch unverhofft. Einen Eckball verlängerte Hummels, Simon Rolfes staubte aus zwei Metern ab. Und als Thomas Müller per Überraschungsschuss zum 3:3 traf, war das Schlimmste verhindert. Denn drei weitere Großchancen ließ die Ukraine ungenutzt.

"Positiv war, dass wir das Spiel noch gedreht haben", befand der eingewechselte Lukas Podolski. Am Sonnabend soll Marco Reus in Hamburg zur Mannschaft stoßen. Er hofft nach überstandener Krankheit am Dienstag (20.45 Uhr/ZDF) beim Länderspiel gegen die Niederlande auf seinen ersten längeren Einsatz im DFB-Trikot. "Gegen Holland wollen wir einen guten Saisonabschluss", sagte Löw. Die taktische Maßgabe für dieses Spiel sollte frei nach Adenauer lauten: keine Experimente!

Ukraine: Rybka - Butko, Rakyzkij, Kucher, Selin - Konopljanka (90.+3 Fedetskij), Timoschtschuk, Jarmolenko (82. Alijew) - Besus (39. Nasarenko) - Schewtschenko (67. Gaj), Milewskij (66. Dewitsch).

Deutschland: Zieler - Boateng, Hummels, Badstuber - Träsch (46. Schürrle), Khedira (46. Rolfes), Kroos (87. L. Bender), Aogo - Özil (66. Müller), Götze (66. Podolski) - Gomez (83. Cacau).

Tore: 1:0 Jarmolenko (28.), 2:0 Konopljanka (36.), 2:1 Kroos (38.), 3:1 Nasarenko (45.), 3:2 Rolfes (65.), 3:3 Müller (77.).

Schiedsrichter: Velasco (Spanien).

Zuschauer: 69 720.