So war's: Vor 100 Jahren erlebte Hamburg das erste Fußball-Länderspiel. Es fand gegen Schweden an einem Sonntag auf der Hoheluft statt.

Hamburg. Jetzt war es aber auch an der Zeit, befand das "Hamburger Fremdenblatt" am 29. Oktober 1911. Zeit für das erste Fußball-Länderspiel in Hamburg. "Schon mehrmals hatten die Vertreter unserer alten Hansestadt sich um die Gunst bemüht, einen internationalen Länderkampf nach Hamburg zu bekommen, vergebens. Was erheblich kleineren Städten wie Stuttgart, Karlsruhe, Duisburg, ja sogar Kleve zuteil geworden war, haben wir Hamburger, als zweitgrößte deutsche Stadt, erst jetzt erreicht."

Tatsächlich hatte der 1900 gegründete Deutsche Fußball-Bund (DFB) seit 1908 bereits sieben Heim-Länderspiele in der jungen Sportart ausgetragen, um Hamburg dabei aber stets einen Bogen gemacht. Und dies, obwohl der auch für die Nationalelf zuständige DFB-Spielausschuss damals bis auf eine einjährige Ausnahme ausschließlich mit Hamburgern besetzt war: Paul Dreyer (FC St. Georg), Paul Koretz, Willi Rave (beide SC Viktoria, heute: Victoria ), C. Blome sen. (vom HSV-Vorläufer HFC 88) und Dr. R. Kappe (Verein unbekannt).

Dass dieses erste Hamburger Fußball-Länderspiel - morgen vor genau 100 Jahren - an einem Sonntagnachmittag um 15 Uhr gegen Schweden auf der Hoheluft stattfand, war dem SC Viktoria zu danken. Der Verein besaß seit 1907 das repräsentativste Stadion der Stadt, das zudem mit der ersten überdachten Sitztribüne Norddeutschlands (1000 Plätze) ausgestattet war.

Fußball war 1911 noch nicht der Massensport, zu dem er erst in der Weimarer Republik werden sollte. Dass gegen Schweden 7000 Zuschauer auf die Hoheluft kamen, entsprach den Erwartungen. Das "Hamburger Fremdenblatt" beschrieb die ungewöhnliche Szenerie westlich der Alster: "Man konnte schon ab ½ 2 Uhr eine endlose Kette von Menschen nach dem Viktoria-Platz wandern sehen; die Elektrischen waren dem Andrang nicht gewachsen, Droschke folgte auf Droschke und Auto auf Auto." So konnte denn auch der DFB eine zufriedenstellende finanzielle Bilanz ziehen: 2083,42 Mark hatte er für das Schweden-Länderspiel ausgegeben und 4032,70 Mark eingenommen.

Auf den fünf Hamburger Mitgliedern des DFB-Spielausschusses lag mit der Nominierung der Nationalelf eine erhebliche Last. Sie hatten ihre badischen Kollegen abgelöst, denen im Vorjahr in Duisburg gegen Belgien (0:3) das Missgeschick unterlaufen war, drei Spieler zu wenig vor Ort zu haben. Die Ersatzleute suchte und fand man damals üblicherweise im Publikum. Die deutsche Elf wurde nicht nur nach Leistung, sondern auch nach regionalem Proporz ausgewählt.

Einen Joachim Löw gab es damals nicht: Der DFB vertrat die Ansicht, ein Trainer allein könne sich im großen deutschen Kaiserreich keinen Überblick verschaffen. Auch das Modell, Verbandstrainer auf regionaler Ebene einzusetzen, wurde verworfen. Erst 1914 entschied man sich für einen DFB-Coach, den Engländer Edgar Chadwick, doch der Krieg machte das Engagement zunichte. Bis 1926 fungierte so der jeweilige Spielführer der Nationalelf als Quasi-Trainer. In Hamburg war es eben Camillo Ugi, der in den Unterlagen als "verantwortlicher Spielführer" auftaucht. Von Vorbereitungen oder gar einem Trainingslager war nicht die Rede.

Für das Hamburger Schweden-Spiel kam eine Nationalelf mit drei Akteuren des amtierenden deutschen Meisters Viktoria 89 Berlin zustande. Als Lokalmatador wirkte der 22-jährige Mittelstürmer Adolf Jäger vom Altonaer FC 93 in seinem dritten Länderspiel mit ("Fremdenblatt": "der Liebling des Hamburg-Altonaer Publikums"). Bestens bekannt war in Hamburg auch Torwart Adolf "Adsch" Werner (Holstein Kiel), der zeitweise bei Viktoria Hamburg als Gastspieler agierte. Auf Umwegen Hamburg-Bezug hatte der Spielführer und Mittelläufer Camillo Ugi (VfB Leipzig), der lange vor Özil und Khedira als (italienischer) Migranten-Spross in der Nationalelf stand. Der Sachse war einem Lockruf nach São Paulo gefolgt, wo er für den dortigen SC Germania auflief - und der war eine "Filiale" des HSV-Vorläufers SC Germania.

Es verwundert im Nachhinein, dass alle Sport- und Lokalzeitungen einen deutschen Sieg gegen die Schweden erwarteten, der beim 1:3 aber nicht eintrat. Zwar hatte Deutschland die erste Begegnung am 18. Juni 1911 in Stockholm 4:2 gewonnen. Die Gesamtbilanz der DFB-Elf war vor dem Hamburger Auftritt aber negativ: drei Siege, zwei Remis, zehn Niederlagen.

Die Spielberichte von der Hoheluft waren in den Lokalzeitungen eher kurz gehalten. Schließlich galt es in der Rubrik "Sportnachrichten" vor allem Pferderennen und dazu noch Wassersport, Golf, Wintersport, Segelregatten und Luftschifffahrt (!) zu würdigen. Ausführlicher befassten sich zahlreiche Sportzeitungen mit der Hamburger Niederlage. Der Berliner "Rasensport": "Deutschland ist mit dem 1:3 glimpflich davongekommen. Adolf Jäger buffte mehrmals frei vorm ungedeckten Tor mit Gemütsruhe daneben." Ganz anders die "Illustrierte Volkszeitung zur Hebung der Volkskraft" aus München: "Jäger bewährte sich im Sturm am besten." Das "Fremdenblatt": "Eine gute Vereinsmannschaft wie Viktoria Berlin, Karlsruher FV oder Holstein Kiel würde mehr leisten als die Nationalelf."

Das heutige Stadion Hoheluft des SC Victoria sollte noch vier weitere A-Länderspiele erleben. Gastgeber des Deutschen Fußball-Bundes aber war in den 20er- und 30er-Jahren vor allem die damalige Nachbarstadt Altona mit ihrem Stadion am Ort der jetzigen HSV-Arena.

Insofern war Hamburg beim DFB wieder einmal außen vor.