US-Nationalcoach Jürgen Klinsmann spricht im Interview über seinen neuen Job und die Zeit in Deutschland - und über Kontakte zum HSV.

Frankfurt/Main. Zehn Tage verbrachte Jürgen Klinsmann in Europa. Der neue Nationaltrainer der USA verlor mit seinem Team 0:1 in Belgien, knüpfte in England und vor allem Deutschland Kontakte zu Klubs mit potenziellen Auswahlspielern, besuchte die Familie in Schwaben und reiste Dienstag zur IAA, um für seinen Sponsor Hyundai zu werben, bevor er nach Kalifornien flog. Aber zuvor ging es noch mal 40 Minuten nur um Fußball.

Hamburger Abendblatt: Herr Klinsmann, haben Sie als Nationaltrainer der USA Ihren Traumjob gefunden?

Jürgen Klinsmann: Nach der deutschen Nationalmannschaft ist das für mich klar die reizvollste Aufgabe, ich lebe seit 13 Jahren in den USA. Dieser Posten war schon länger mein Wunsch. Wir haben ein paar Monate nach der WM 2006 verhandelt, kamen aber nicht auf einen Nenner, genauso nach der WM in Südafrika. Jetzt war die Zeit reif. Die Aufgabe ist aber viel komplexer als damals beim DFB . Ich soll die A-Mannschaft Richtung WM 2014 aufbauen sowie eine Strukturierung des Unterbaus vornehmen. Noch gehen den USA zu viele Talente verloren, weil die Spieler über Stipendien an den Colleges landen und dort dann nicht ganzjährig spielen. Aber es wird besser. Im Land wurden in den vergangenen drei Jahren 80 Akademien gegründet.

Sie haben bereits angefangen, in Europa Spieler zu sichten. Werden Sie hier ein Büro eröffnen?

Klinsmann: Ja, mir schwebt eine europäische Präsenz vor. Leute aus meinem Netzwerk wie zum Beispiel Trainer, die derzeit ohne Anstellung sind, arbeiten schon für uns. Europa, aber besonders Mexiko ist ein sehr wichtiger Markt, weil es dort ebenfalls viele junge Spieler mit doppelter Staatsbürgerschaft gibt. Diesbezüglich ist ein globaler Wettkampf entstanden.

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Können Sie sich als Nationaltrainer in den USA frei auf den Straßen bewegen?

Klinsmann: Total! Sie können Fußball nicht vergleichen mit den großen Drei, also Football, Baseball und Basketball. Wir sind dabei, Eishockey anzugreifen.

Das ergeht Joachim Löw anders. Wie intensiv ist heute Ihr Kontakt zu Ihrem früheren Assistenten noch, der Sie nach der WM 2006 beerbt hat?

Klinsmann: Wir telefonieren regelmäßig und schicken uns SMS. Vor Spielen wünsche ich ihm immer viel Glück.

Wo steht die DFB-Auswahl aktuell?

Klinsmann: Sicher unter den ersten Fünf in der Welt. Nach Spanien gehört neben Brasilien, Argentinien und Uruguay auch Deutschland zur Spitze. Um Europameister zu werden, braucht es aber noch eine Leistungssteigerung.

Ist Ihre Zeit als Vereinstrainer vorbei nach der Zeit bei Bayern München?

Klinsmann: Nein, warum? Die Rolle als Klubtrainer bringt auch viel Spaß, den ich übrigens auch in München hatte. Obwohl das anders dargestellt wurde.

Schmerzt es, wenn ein Uli Hoeneß heute sagt, er hätte damals bloß Jürgen Klopp verpflichten sollen?

Klinsmann: Es war einfach so, dass verschiedene Welten aufeinander trafen, die nicht kompatibel waren, die meiste Zeit waren wir nicht auf einer Wellenlänge. Es war deshalb richtig, die Zusammenarbeit zu beenden. Sie wussten, sie würden mit meiner Verpflichtung in eine bestimmte Richtung gehen, die eine komplett andere war als in den 30 Jahren zuvor, wollten diesen Weg aber nicht weitergehen. Das war okay. Sie sind die Chefs.

Fühlen Sie sich als gescheitert?

Klinsmann: Das wird ja gerne bei mir gesagt, dass ich es nicht geschafft habe. Ein Amerikaner würde das so betrachten: Der Jürgen hat die Erfahrung gemacht. Es nicht gut gegangen. What's next? (was kommt als Nächstes, d. R.).

Nach dem Motto: Es kann nur einer aufstehen, der mal gefallen ist?

Klinsmann: Du musst immer fallen können. Ich mag an den Amerikanern, dass sie nicht liegen bleiben und jammern.

In Hamburg wird darüber diskutiert, dass HSV-Sportchef Frank Arnesen die Bundesliga nicht kennt. War es bei Ihnen rückblickend problematisch, Leute im Stab mitzubringen, die die Bundesliga nicht kannten?

Klinsmann: Die Problemstellen hatten damit nichts zu tun, das hing mit der Gesamtstruktur zusammen. Man hat komplett anders geplant, der Klub wollte seinen eigenen Weg gehen.

Wie definieren Sie denn die Führung einer Fußballmannschaft?

Klinsmann: Die Aufgabe als Verantwortlicher im Sport ist heute viel zu komplex, als dass man nur Trainer dazu sagen dürfte. Sie ist eher mit der Arbeitsaufteilung in England und mit der Bezeichnung Manager zu vergleichen.

Wehrt sich die Bundesliga noch immer, ähnlich einer Kaste, gegen Neuerungen?

Klinsmann: Das hat viel mit Verantwortungsübergabe zu tun. Ich glaube, dass man in Deutschland lieber gerne einzelne Positionen besetzt und jeder versucht, diese in seinem Bereich zu verteidigen, anstatt zu sagen: Wir ziehen alle in eine Richtung. Wenn es nicht gut geht, ziehen wir alle gemeinsam die Konsequenzen. Wenn man einen Ferguson oder Wenger sieht, wie sie delegieren und die Dinge aufbauen, Verantwortung tragen mit ihrem Stab, das sind andere Arbeitsweisen, als wir sie in Deutschland kennen. Für mich, der seit 1998 in Amerika lebt und viel von anderen Sportarten und Geschäftsbereichen gelernt hat, ist es wichtig, Leute mit Verantwortung um mich zu haben, die in ihrer Rolle ihre Aufgabe erledigen und auch die Anerkennung erhalten. Anders als der deutsche Cheftrainer, der auf dem Übungsplatz steht und rumkommandiert.

Sie galten damals in Deutschland als radikaler Reformer, holten Psychologen, wollten Spezialisten im Trainerstab. Traf Sie deshalb die Kritik von Philipp Lahm in dessen Buch umso härter?

Klinsmann: Das war die Blickweise eines Spielers, der kein Gesamtbild sehen kann in seiner Rolle, die er ausübt. Dafür habe ich Verständnis. Dass er es an die Öffentlichkeit trägt, das ist dann halt er, sein Charakter. Dafür hat er dann auch entsprechend seine Kommentare bekommen.

Hat sich Philipp Lahm inzwischen mal bei Ihnen gemeldet?

Klinsmann: Nein.

Zum Abschluss eine HSV-Frage: In Hamburg hält sich das Gerücht, dass Sie einmal fast hier gelandet wären.

Klinsmann: Ich hatte immer ein sehr freundschaftliches Verhältnis zu den Vorständen Bernd Hoffmann und Katja Kraus, aber auf rein informativer Gesprächsebene. Nicht als ein Kandidat, der dort als Trainer arbeiten soll.