Uli Borowka, einst Star-Fußballer bei Werder Bremen, war als Alkoholiker ganz unten. Ein Gespräch über Kampf, Krankheit und Enttäuschung.

Berlin. Pünktlich auf die Minute steht Ulrich Borowka, den alle nur Uli nennen, am Ausgang. Und fängt sofort an zu fluchen. Über den Verkehr aus dem Osten Berlins zum Berliner Hauptbahnhof und die dortige miese Parkplatzsituation. Am Temperament, das ihn früher auch auf dem Platz auszeichnete, mangelt es ihm noch immer nicht, sein Rambo-Image blitzt auf. Als der 49-Jährige in einem Café um die Ecke dann auf die Höhen und vor allem Tiefen seiner Fußballerkarriere zurückblickt, zeigt sich ein Mensch, der auch die leisen Töne beherrscht.

Hamburger Abendblatt: Herr Borowka, schauen Sie sich das Spiel zwischen Bremen und dem HSV an, vielleicht sogar live?

Ulrich Borowka: Eigentlich ist der Bezug zu Werder heute gleich null. Wenn ich mir einmal ein Bundesligaspiel anschauen will, bekomme ich überall eine Karte, ob von Wolfsburg oder den Bayern. Nur von Bremen nicht. So ist die heile Familie Werder. Die macht nichts für ihre ehemaligen Spieler.

Sie hatten den Spitznamen "die Axt". Gibt es heute keine Äxte mehr?

Borowka: Ich wüsste nicht, wer noch ansatzweise so Fußball spielt. Was mir fehlt, ist die letzte Konsequenz, gerade in Situationen, in denen es nicht läuft und du merkst: Es muss was passieren, wir müssen die Zuschauer wecken, zur Not mit gezielten Aktionen. Zum Beispiel, sich mit dem Schiedsrichter anzulegen.

Werder hat in der großen Krise an Thomas Schaaf festgehalten, heute steht Michael Oenning in der Kritik. Soll der HSV wie Werder verfahren?

Borowka: Das Festhalten an Schaaf fand ich klasse, er hat alles in den Griff bekommen. Ich bin fest überzeugt: Bei einem Trainerwechsel wäre genau das Gegenteil herausgekommen. Schaaf kennt die Strukturen, die Abläufe. Bei Hamburg muss ich sagen: Du brauchst natürlich auch einen starken Trainer, der so eine Mannschaft führt. Das ist der Oenning nicht. Für mich ist er ein super Co-Trainer. Aber kein Chef.

Gibt es direkte Bezugspunkte zum HSV?

Borowka: Ich erinnere mich an zwei besondere Erlebnisse. Ich war 1989 dabei, als sich Ditmar Jakobs im Tor verfing. Das war schlimm. Eher kurios war es 1987. Vor meinem Wechsel nach Bremen habe ich auch mit dem HSV verhandelt und wurde extra nach Hamburg zu einem Gespräch gebeten. Zwei Tage war ich dort und sprach mit Felix Magath (damals Manager, d. Red.). Rausgekommen ist, dass mir die Hamburger weniger Gehalt angeboten haben als ich in Gladbach zu der Zeit verdiente. Das hätte ich nie für möglich gehalten, dass dies passieren könnte, weil ich damals bei der Borussia wirklich wenig verdient habe. Das Größte war dann, dass ich das Hotel dann noch selbst bezahlen durfte.

Rückblickend müssen Sie dem HSV aber dankbar sein.

Borowka: Dass ich in Bremen gelandet bin? Stimmt. Ich hatte bombige neun Jahre. Sogar Publikumsliebling zu sein war außergewöhnlich. Vor mir war das Rudi Völler. Diesen Status habe ich mir auf dem Platz bei den Fans erarbeitet. Meine, sagen wir mal, eigene Art, Fußball zu spielen, wurde in Bremen honoriert. Da bin ich heute noch stolz drauf. Die Leute haben erkannt, dass ich immer alles versucht habe, mit vollem Einsatz. Ich habe mich nie hängen lassen. Die Zeit möchte ich nicht missen, das gehört zu mir. Mit allen Höhen und Tiefen.

Die Tiefen sind bekannt. Wegen ihrer Alkoholkrankheit mussten Sie sich stationär behandeln lassen. Auf ihrer Homepage feiern Sie offensiv ihr elfjähriges Jubiläum als trockener Alkoholiker.

Borowka: Das gehört auch von A bis Z zu meinem Leben dazu, das ist die Wahrheit. Ich habe genug Mist in meinem Leben gebaut und dafür auch ordentlich auf die Fresse bekommen, aber ich kann es ja nicht verschweigen und mich damit selbst anlügen. Dass ich sehr offensiv mit meiner Alkoholkrankheit umgehe, gibt mir auch eine gewisse Kraft. Andere Menschen haben viel größere Probleme damit, sich vernünftig mit mir zu unterhalten, wenn sie mir heute gegenübertreten.

Was glauben Sie, woran das liegt?

Borowka: Vielleicht, weil meine Art geradeaus ist. Charakter zu zeigen ist ganz wichtig für mich. Da bist du schnell abgestempelt als trockener Alkoholiker. Ich durfte in den vergangenen elf Jahren erfahren, dass ich durch meine Krankheit in Deutschland ein Mensch zweiter Klasse bin. Sie ist zwar offiziell anerkannt, dennoch bin ich ein Mensch zweiter Klasse. Nach meiner Therapie - ich hatte ja einen Trainerschein - habe ich mich in der Zweiten und Dritten Liga als Trainer beworben und habe überall dankend eine Absage bekommen, dass man einen trockenen Alkoholiker nicht verpflichten könne.

Die Klubs haben explizit Bezug darauf genommen?

Borowka: So ist es. Andere Gründe hatten sie ja nicht. Bei einigen Vereinen wurde im Präsidium abgestimmt. Da hatten einige Herren Angst.

Das bestätigt diejenigen, die behaupten: Sobald du im Fußball eine Schwäche zugibst, bist du raus.

Borowka: Darüber reden wir doch, siehe Robert Enke. Sich zu outen ist nicht machbar. Fußball ist ein Hochleistungssport, der Deutschen liebstes Kind. Zeigst du eine Schwäche, bekommst du von oben herab noch mal einen Knüppel drauf. Neid und Missgunst sind in unserer Gesellschaft weit verbreitet. Wenn einer mit eigenem Willen und Ehrgeiz etwas geleistet hat, egal in welcher Sparte, wird das nicht honoriert.

Wie haben Sie dennoch gelernt, von vorne anfangen?

Borowka: Mir haben mein brutaler Wille und mein Ehrgeiz, Eigenschaften, mit denen ich auch den Sprung zu den Profis schaffte, auch im normalen Leben geholfen. Es gab in jeder Jugendmannschaft Fußballer mit viel mehr Talent. Mir war klar: Jetzt musst du kämpfen. Ich wollte ja nicht sterben. Ich stand ja mit eineinhalb Beinen im Grab.

Haben Sie selbst den ersten Schritt für den Entzug gemacht?

Borowka: Nein. Christian Hochstätter und der damalige Mönchengladbacher Präsident Wilfried Jacobs haben mir das Leben gerettet. Die haben mich einfach in die Klinik bringen lassen. Ich war ja nicht der Meinung, dass ich Alkoholiker bin.

Haben Sie auch finanziell Schaden genommen?

Borowka: Logisch. Ich war mausetot. Alles, was da war - mausetot. Wie das eben so ist.

Wie kommt so was?

Borowka: Ich habe komplett den Halt verloren, bin mit dem Auto vor den Baum gefahren und so weiter. Palaver hier, Ärger da. Irgendwann ist der Boden unter meinen Füßen aufgegangen, ich habe keinen Halt gefunden. Dann ist es einfach nur eine Frage der Zeit, bis alles kaputt ist.

Und körperlich?

Borowka: Ich hatte wahnsinniges Glück, dass mein Körper das alles so mitgemacht hat über 20 Jahre. Andere, die so lange getrunken haben, erlitten schlimme Schäden. Der tägliche Sport und der Alkohol haben sich gewissermaßen neutralisiert. Das geht aber nur eine gewisse Zeit, bis der Körper dann doch irgendwann streikt. Ich bin mit zwei blauen Augen davongekommen und habe rechtzeitig den Absprung geschafft.

Wie viele Freunde von früher haben Sie noch?

Borowka: Haha, gute Frage. Es gibt noch einige, auf die ich mich damals verlassen konnte. Christian Hochstätter, Oliver Reck, die waren immer da, auch in meiner ganz schlimmen Zeit. Aber dann wird es auch schon verdammt eng. Ich durfte lernen, dass du über die Jahre sehr viele Freunde hattest. Das waren aber die Ersten, die dann auch weg waren, als es mir dreckig ging.

Ist heute für Sie immer noch die Gefahr latent vorhanden, wieder rückfällig zu werden?

Borowka: Die Gefahr ist zu jeder Stunde da. Ich persönlich bin damit sehr gut umgegangen. Entscheidend ist dabei, mit sich im Reinen zu sein. Jeder, der was anderes sagt als trockener Alkoholiker, würde lügen. Die Quote von denen, die was gegen ihre Krankheit getan haben und rückfällig wurden, liegt sicher bei 50 Prozent. Ich habe meinen Weg gefunden.

Auf Ihrer Visitenkarte steht " Sportmarketing". Das heißt was genau?

Borowka: Ich organisiere Fußballcamps vom Erzgebirge bis zum Tegernsee und trainiere Jugendliche auf den Aida-Schiffen während Landaufenthalten. Zuletzt waren wir auf den Kanaren. Das macht richtig viel Spaß. In einigen Wochen werde ich mit meinem früheren Mitspieler Günter Herrmann einen Online-Shop, eine Art Sportler-Store, eröffnen. Außerdem stehe ich in Verhandlungen mit Verlagen über ein Buch, das ich schreiben will.

Ein Buch? Das klingt gerade nach der Kritik an der Biografie des Nationalspielers Philipp Lahm gefährlich.

Borowka: Ich habe lange überlegt, mit mir selbst gerungen. Mir geht es nicht darum, Aufmerksamkeit zu erzeugen, mir würde einfach etwas fehlen. Mir gefällt der Gedanke, dass noch etwas von mir vorhanden ist, wenn ich mal nicht mehr da bin. Außerdem denke ich, dass ich viel zu erzählen habe, viel mehr als ein Lahm mit seinem Büchlein. Ich will keinen Ratgeber schreiben. Denn jeder ist für sich selbst zuständig.