Erstmals in seiner Karriere gilt Mario Gomez im deutschen Angriff als gesetzt. Sein Konkurrent Miroslav Klose steht vor einem Wechsel nach Valencia

Wien. Im Lager der deutschen Nationalmannschaft ist man vor dem heutigen Flug von Wien nach Aserbaidschan auf das Schlimmste vorbereitet. Wann immer sich der DFB-Tross auf Fernreise begibt, warten an den Flughäfen am anderen Ende der Welt in der Regel schon fotografierende Zollbeamte oder hartnäckige Autogrammsammler am Rollfeld. Besonders in Asien ist die Jagd nach Unterschriften der einreisenden Fußballprominenz ein weitverbreitetes Hobby. So müssen Bastian Schweinsteiger, Lukas Podolski und Mesut Özil meist direkt nach der Landung als begehrteste Fotomodelle herhalten, auch Miroslav Klose oder Manuel Neuer durften schon oft Geduld beweisen. Mario Gomez wurde von allzu aufdringlichen Anhängern in der jüngeren Vergangenheit dagegen verschont. Eine Annehmlichkeit, die der Stürmer des FC Bayern wohl nach der planmäßigen Landung heute Nachmittag um 16.45 Uhr Ortszeit im 5590 Kilometer entfernten Baku vermissen wird. Und schuld daran ist nur einer: er selbst.

Beinahe über Nacht hat Gomez ausgerechnet in Wien, wo er vor drei Jahren den größten Fauxpas seiner Karriere erlebte, das Image des Chancentods, Sensibelchens und Pechvogels endgültig abgestreift. Erst stolperte er beim 2:1-Sieg gegen Österreich den Ball in das Tor, über das er frei stehend bei der EM 2008 aus zwei Metern geschossen hatte, dann traf er auch noch kurz vor Schluss per Kopf zum umjubelten Siegtreffer, der einen Punktverlust gegen den nachbarschaftlichen Fußballzwerg gerade noch verhinderte.

"Als Stürmer bekommst du immer wieder Chancen. Das Wichtigste ist: Du musst daran glauben", sagte der 25-Jährige, der an seine Chance in der DFB-Elf trotz unzähligen Rückschlägen nie endgültig zweifeln wollte. Der Doppelpack gegen Österreich krönte jetzt die wahrscheinlich erfolgreichste Nationalmannschaftswoche seiner Karriere, nachdem er bereits gegen Uruguay in Sinsheim getroffen hatte.

Als Belohnung muss der Extremsport-Fan nun nicht nur Autogramme in der fernen Kaukasusrepublik am Kaspischen Meer schreiben, sondern darf sich auch erstmals als gesetzt im deutschen Sturm fühlen. "Mario ist im Abschluss unglaublich treffsicher, er strotzt vor Selbstbewusstsein und Selbstsicherheit", lobt Löw, und schiebt den für Gomez entscheidenden Satz schnell hinterher: "Für mich ist Mario schon lange ein Stammspieler."

Natürlich hat Löws verbale Streicheleinheit in etwa einen so hohen Wahrheitsgehalt wie Lenas nachträgliches Bekenntnis, nie ernsthaft mit einem zweiten Grand-Prix-Sieg geliebäugelt zu haben. Der Triumph von Aserbaidschans derzeit berühmtesten Staatsbürgern Eldar Qasimov und Nigar Jamal in Düsseldorf war genauso unerwartet wie Gomez' Leistungsexplosion im Trikot der DFB-Elf. Ein echter Stammspieler war der Bundesliga-Torschützenkönig bei 24 Teilzeiteinsätzen in insgesamt 45 Länderspielen in Wahrheit nie. "Es hat ihm offensichtlich gutgetan, nicht dieses Mammutprogramm nach der WM in den Beinen zu haben", erklärt Löw, der damit höflich das ursprüngliche Reservistendasein des Torjägers in der Nationalelf und in München beschrieb. So ist es längst kein Geheimnis mehr, dass sich auch Bayerns früherer Trainer Louis van Gaal zu Saisonanfang hartnäckig gegen einen Einsatz seines 35 Millionen teuren Stürmers, der im späteren Saisonverlauf wettbewerbsübergreifend Gerd-Müller-artige 39 Treffer erzielte, wehrte.

"Ein Jahr nachdem ich für viel Geld und voller Überzeugung zu Bayern gekommen war, habe ich in einem Vieraugengespräch gehört: ,Geh!' Das war das Härteste für mich", gab der in München Unerwünschte vor Kurzem in einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" offen zu.

Tatsächlich musste sich Gomez in den ersten sechs Bundesligaspielen mit einem Platz auf der Bayern-Bank anfreunden, den er erst räumen durfte, als Miroslav Klose verletzt ausfiel. Eine Parallele zur Nationalmannschaft, in der Bundesligabankdrücker Klose, der vor einem Wechsel zum FC Valencia steht, immer als unumstrittener Sturmführer galt und der seinen Stammplatz nur nach einer Rippenverletzung aus der Partie gegen Uruguay an seinen Vereinskollegen Gomez übergab. "Von mir wird es keine Kampfansage geben. Ich werde versuchen, so weiterzuspielen, dann hat der Trainer die Qual der Wahl", sagt Gomez, der trotz seiner jüngsten Erfolge auf zu vollmundige Eigenwerbung bewusst verzichtet.

Seinen Platz in der Startelf gegen Aserbaidschan (19 Uhr/ARD) hat Gomez ohnehin sicher, aber auch zukünftig scheint Bundestrainer Löw auf die Qual der Wahl verzichten zu wollen. Statt Gomez oder Klose könnte es nach dessen Genesung auch Gomez und Klose heißen. "Eigentlich hätte ich schon gegen Österreich gerne im 4-4-2-System mit beiden gespielt, um die österreichische Hintermannschaft noch mehr zu beschäftigen", sagte der Bundestrainer, der zugunsten seiner treffsicheren Offensivkräfte sogar sein bevorzugtes 4-2-3-1-System geopfert hätte.

So ganz war der Gedanke, ob Löw dann mit einer sogenannten Raute oder mit zwei defensiven Mittelfeldspielern und zwei offensiven Flügelspielern hätte spielen wollen, aber offenbar noch nicht zu Ende gedacht. Eine ernsthafte Option, das steht spätestens seit dem Wochenende fest, wäre eine Taktik mit Gomez und Klose allemal. Beweisen muss der ehemalige Stuttgarter in Aserbaidschan also nichts mehr, seinen positiven Eindruck bestätigen darf der vom Boulevard als "Giga-Gomez" bezeichnete Angreifer dagegen gern.