Am Montag wird Uli Hoeneß bei der Sportgala in Hamburg für sein soziales Wirken geehrt. Hoeneß über Geld, Glück und den Einsatz von Ellbogen

Der Präsident des FC Bayern kommt vier Minuten vor der vereinbarten Zeit in sein Büro. Entspannt nimmt Uli Hoeneß, 59, Platz in einem Rattansessel. Keiner hat die Ära des Rekordmeisters so sehr geprägt wie er. Erst als Profi, dann als Manager in drei Jahrzehnten, jetzt als Präsident. Doch in der nächsten Stunde wird er nicht über Trainer und Taktik reden - sondern über sich selbst. Anlass des Gesprächs ist eine große Ehrung. Denn am Montag wird Uli Hoeneß bei der Sportgala in Hamburg mit dem Ehrenpreis für sein Lebenswerk gefeiert - ganz besonders für seine Verdienste bei der "Retter-Kampagne" für den FC St. Pauli, der 2003 kurz vor der Insolvenz stand.

Hamburger Abendblatt:

Herr Hoeneß, eigentlich wollten wir mit Ihnen über Ihr Leben reden. Doch angesichts von 15 Punkten Rückstand auf Tabellenführer Borussia Dortmund können wir Ihnen eine Frage zum sportlichen Abschneiden nicht ersparen. Wie groß ist Ihre Enttäuschung?

Uli Hoeneß:

Natürlich ist die Situation unbefriedigend. Einen solch großen Rückstand kann sich ein FC Bayern eigentlich nicht erlauben.

Machen Sie sich auch wirtschaftlich Sorgen? Schließlich droht das Verpassen der Champions League.

Hoeneß:

Noch ist zumindest im Rennen um Platz zwei nichts verloren. Zudem könnten wir uns ja auch über einen Sieg in der Champions League qualifizieren.

Und wenn nicht?

Hoeneß:

Dann würden wir dies wirtschaftlich auch verkraften. Denn wir haben uns den Erfolg nie mit Schulden erkauft. Mit 100 Millionen Euro Verlust die Champions League zu gewinnen ist keine große Kunst. Wir haben dagegen bei unserem Sieg 2001 den größten Gewinn der Vereinsgeschichte gemacht. Wenn Sie den Mix aus sportlichen und wirtschaftlichen Dingen sehen, ist der FC Bayern der beste Klub der Welt. Mich erfüllt mit Stolz, wenn ich sehe, was aus diesem Verein in den vergangenen 30 Jahren geworden ist. Als ich hier anfing, hatte der FC Bayern 8000 Mitglieder und machte einen Umsatz von zwölf Millionen Mark. Heute haben wir 166 000 Mitglieder, wir setzen 350 Millionen Euro um. Ich sage bewusst wir, denn diesen Erfolg kann niemand alleine schaffen.

Dennoch sind Sie der personifizierte FC Bayern. Kein Manager hat so polarisiert wie Sie. Wie weh taten die "Hoeneß, du Arschloch"-Rufe in fremden Stadien?

Hoeneß:

Ich habe das nicht groß persönlich genommen. Der Name Hoeneß stand einfach für den großen FC Bayern, wie ein Synonym für den angeblichen Bundesliga-Moloch. Übrigens bin ich verblüfft, wie beliebt ich plötzlich als Präsident bin. In Aachen bin ich früher gnadenlos ausgepfiffen worden. Bei unserem Pokalspiel auf dem Tivoli vor ein paar Wochen habe ich Hunderte von Autogrammen geschrieben.

Vor gut zehn Jahren standen die Zeichen anders. Da waren Sie fast eine Art Staatsfeind, als Sie erklärten, dass Christoph Daum nicht Bundestrainer werden dürfe, sollten die Kokain-Gerüchte zutreffen. Daum stritt die Vorwürfe zunächst ab und klagte Sie öffentlich an.

Hoeneß:

Da rollte eine Welle des Hasses mit wüsten Drohungen gegen mich durch Deutschland. Bei unserem Auswärtsspiel in Cottbus hat mir ein Jugendlicher mitten ins Gesicht gespukt. Als ich in jenen Oktobertagen mal nach München zurückflog, warteten drei Herren in grünen Lodenmänteln am Gate und baten mich, mit ihnen zwei Stunden Kaffee zu trinken. Eine Bombendrohung gegen mein Auto war eingegangen. Aber die Bayern-Fans standen hinter mir wie eine Wand, teilweise haben sie mich 90 Minuten mit Sprechchören gefeiert.

Haben Sie Christoph Daum verziehen?

Hoeneß:

Wir haben uns gelegentlich getroffen, mehr nicht. Meine Frau, die eigentlich viel eher verzeihen kann als ich, lehnt eine Versöhnung ab. Sie findet, dass er unserer Familie einfach zu viel angetan hat. Denn auch unsere Kinder wurden bepöbelt.

Walter Kohl, der Sohn des Alt-Kanzlers hat in seiner Biografie geschrieben, wie sehr er unter dem Amt seines Vaters gelitten hat. Sehen Sie Parallelen?

Hoeneß:

Das habe ich mich beim Lesen von Auszügen aus dem Buch auch gefragt. Aber es gibt einen entscheidenden Unterschied. Wir sind nach wie vor eine völlig intakte Familie. Meine Tochter und mein Sohn sind zwar längst ausgezogen, aber sie haben jeder noch ein eigenes Zimmer in unserem Haus. Sie kommen einfach, wenn sie mögen. Da meldet sich niemand an. Und gerade in der Daum-Affäre habe ich gemerkt, wie sehr ich mich auf meine Familie verlassen kann. Die beiden waren fast jeden Abend da, obwohl sie schon ihre eigene Wohnung hatten. Die haben instinktiv gespürt, dass ihr Vater sie wirklich braucht. Die Familie hat sich in dieser Zeit geschlossen wie eine Muschel.

Waren Sie ein guter Vater?

Hoeneß:

In der Baby-Phase nicht so sehr. Da hat sich vor allem meine Frau gekümmert. Aber ich war immer für meine Kinder da. Wenn ich fand, dass meine Kinder in der Schule vom Lehrer ungerecht behandelt wurden, bin ich da einmarschiert. Ganz intensiv war der Moment, als mein Sohn 18 wurde. Da habe ich zu ihm gesagt: Ich will jetzt nicht mehr dein Vater sein, sondern dein Freund, zu dem du immer mit deinen Probleme kommen kannst.

Das klingt jetzt beinah so, als sei ausgerechnet Uli Hoeneß, der doch austeilt und einsteckt wie kaum ein anderer, in Wahrheit richtig harmoniesüchtig.

Hoeneß:

Das stimmt. Als Spieler musste ich ein Egoist sein. Ohne Ellbogen kommst Du in diesem Geschäft nicht nach oben. Das galt auch in meinen ersten Jahren als Manager beim FC Bayern. Ich habe gesehen, wo steht der FC Bayern wirtschaftlich und wo muss er hin. Ein Lothar Matthäus etwa musste damals unter allen Umständen von Borussia Mönchengladbach zum FC Bayern. Da konnte ich keine falschen Rücksichten nehmen. Aber im Lauf der Jahre ist mir klar geworden, hoppla, nur mit Ellbogen geht es nicht. Du musst den Verein jetzt anders positionieren. Er braucht ein soziales Herz. Denn Größe und Stärke funktionieren nur, wenn du auch sozial bist. Das führt dann auch zu solchen Engagements wie in der "Retter-Kampagne" beim FC St. Pauli.

Hat auch der Flugzeugabsturz, den Sie im Februar 1982 als Einziger an Bord einer kleinen Privatmaschine schwer verletzt überlebt haben, Sie verändert?

Hoeneß:

Nein, ich weiß von dem Absturz nichts mehr. Ich bin damals vom Büro zum Flughafen gefahren, über den Wolken eingeschlafen und im Krankenhaus in Hannover aufgewacht. Da saßen meine Frau und der Paul (Breitner, die Red.) an meinem Bett. Ich weiß nur aus Erzählungen, dass ich damals aus dem Wrack herausgeschleudert wurde und blutüberströmt durchs Moor gerobbt bin, bis mich ein Jäger aufgelesen hat. Für mich ist das alles ein großes Loch. Das war mein Glück. Hätte ich den Absturz bewusst miterlebt, wäre ich vielleicht nie wieder in ein Flugzeug gestiegen. Und dann hätte ich diesen Job nicht mehr machen können

Aber es gab doch sicher unmittelbar nach dem Unglück den Vorsatz, einen Gang zurückzuschalten.

Hoeneß:

Sicher, aber das hat nur ein paar Wochen angehalten. Dann war ich doch wieder im alten Trott.

Das Pflichtbewusstsein war also stärker. Sind Sie so erzogen worden?

Hoeneß:

Ja, mein Vater stand jeden Morgen um 3 Uhr in der elterlichen Metzgerei, um Wurst zu machen. Meine Eltern haben sich halb tot geschuftet, damit aus ihren Jungs etwas Ordentliches wird. Und meine Mutter hat sehr darauf geachtet, dass wir unsere Hausaufgaben machen. Wenn ich jetzt lese, dass dieser junge Spieler aus Schalke ...

... Julian Draxler ...

Hoeneß:

... das Gymnasium für seine Karriere abbrechen wollte, weiß ich, dass meine Mutter das nie zugelassen hätte. Und auch mich hat immer getrieben, meinen Kindern eine vernünftige Zukunft zu geben. Ich war nie einer für die verrückten Dinge, sondern wollte immer das, was ich kann, gut machen.

Wie kommen Sie denn überhaupt mit der heutigen Spielergeneration klar, die sich im Bus über Kopfhörer berieseln lässt?

Hoeneß:

Da sollte man nicht so kleinlich sein. Wenn jemand Musik über Kopfhörer hört, weil ihm das Programm im Bus nicht passt, habe ich damit kein Problem. Mich ärgert eher, wenn einer mit umgekehrt aufgesetzter Baseball-Mütze zum Essen kommt. Das verletzt die Regeln des Anstands. Aber im Großen und Ganzen sind die jungen Burschen schon sehr in Ordnung.

Aber es ist doch grotesk, dass ein 20-Jähriger heute drei oder vier Millionen Euro im Jahr verdient.

Hoeneß:

Grundsätzlich finde ich, dass die Spieler das verdienen sollen, was der Verein einspielt. Als wir zwölf Millionen Mark Umsatz gemacht haben, haben die Top-Spieler 150 000 bis 200 000 Mark im Jahr verdient. Im Verhältnis entspricht dies ungefähr einem heutigen Fünf-Millionen-Euro-Gehalt bei einem Umsatz von 350 Millionen Euro. Es darf nur nicht passieren, dass der Verein wegen der Gehälter der Spieler Schulden machen muss oder am Ende gar dem Steuerzahler auf der Tasche liegt. Beim FC Bayern haben wir die Ausgaben nur stetig steigern können, weil auch die Einnahmen ständig gewachsen sind. In dem Moment, wo dies nicht mehr der Fall wäre, würden wir sofort reagieren. Dann müssten die Gehälter runter.

Sie sagen das so betriebswirtschaftlich. Zittert Ihnen nicht doch der Kugelschreiber, wenn Sie einen Vertrag mit Mario Gomez unterschreiben, der 30 Millionen Euro Ablöse kostet?

Hoeneß:

Zum Glück können wir solche Summen von unserem Festgeldkonto zahlen. Das erleichtert vieles. In der Kreditabteilung war ich für den Verein in den letzten Jahren nur einmal, als wir unser Stadion gebaut haben. Das war nicht sehr angenehm.

Haben Sie privat überhaupt schon mal Schulden gemacht?

Hoeneß:

Nein. Das kam für mich schon als Kind nicht infrage. Wenn früher eine Mark in der Kasse meiner Eltern fehlte, haben wir sie auf dem Boden gesucht. Die Stimmung beim Weihnachtsfest hing entscheidend davon ab, wie gut wir vorher verkauft hatten.

Ihre Fleischwaren-Fabrik in Nürnberg führt inzwischen Ihr Sohn. Gibt es da eigentlich einen Betriebsrat?

Hoeneß:

Nein, wir brauchen keine Gewerkschafter in unserem Unternehmen. In Konzernen mag das anders sein. Aber in mittelständischen Firmen sollte der Chef der oberste Gewerkschafter sein. Ein Patron, der für seine Leute sorgt. Genau das ist meine Rolle. Ich habe daher auch auf freiwilliger Basis einen Mindestlohn eingeführt. Eine ungelernte Kraft verdient mindestens acht Euro die Stunde. Ich weiß, dass es Konkurrenten gibt, die ihre Leute für vier oder fünf Euro die Stunde schuften lassen. Ich halte das fast für ein Verbrechen. Deshalb bin ich auch für einen gesetzlichen Mindestlohn, der aber wirtschaftlich vertretbar sein muss.

Herr Hoeneß, wenn wir jetzt aus Ihrem Bürofenster schauen, sehen wir Ihre Spieler trainieren. Spüren Sie einen Phantomschmerz, weil Sie Ihre Karriere schon mit 27 Jahren beenden mussten?

Hoeneß:

Nein. Es war ja ein Abschied auf Raten. Schon mit 23 Jahren habe ich mich am Meniskus verletzt, was damals nicht sofort diagnostiziert wurde. Nach zwei Operationen habe ich dann nie wieder schmerzfrei über Wochen trainieren können. Unter Belastung wurde das rechte Knie immer wieder dick. Am Ende war es nur noch eine Qual.

Fast wären Sie 1979 beim HSV gelandet.

Hoeneß:

Das stimmt. Aber der HSV bestand damals auf einer Athroskopie, um in mein lädiertes Knie zu schauen. Damals steckte dieses Verfahren noch in den Kinderschuhen, war aus meiner Sicht nicht ungefährlich. Dabei hatte ich dem Verein angeboten, für nur 3000 Mark Grundgehalt im Monat zu spielen. Für jedes Spiel wollte ich dann 10 000 Mark. Richtig Geld hätte es also nur gegeben, wenn ich fit gewesen wäre. Trotzdem sollte ich neben dem wirtschaftlichen Risiko auch noch das Risiko der Athroskopie auf mich nehmen. Das fand ich nicht in Ordnung.

Womöglich wären Sie sonst irgendwann HSV-Manager geworden?

Hoeneß:

Möglich ist alles. Paul Breitner und ich wären ja auch fast zum Start unserer Profikarriere beim TSV 1860 München gelandet. Nur die Tatsache, dass unser damaliger DFB-Jugendtrainer Udo Lattek als Trainer zum FC Bayern wechselte, gab den Ausschlag für die Bayern. Vielleicht wären ja sonst jetzt die Löwen der große Verein in Deutschland. Wer weiß das schon?