Tobias Schweinsteiger stürmt in der Dritten Liga für Jahn Regensburg. Er ist der Bruder eines Ausnahmespielers, der für den FC Bayern spielt.

Regensburg. Es passiert automatisch, fast unterbewusst. Man vergleicht, wenn man ihm gegenübersitzt. Weil es so offensichtlich, so einfach ist. Das Lächeln, bei dem sich leichte Fältchen bilden. Die Stirn- und Nasenpartie, das alles kommt seltsam bekannt vor. Neben ihm liegt sein Fußballtrikot. Tobias Schweinsteiger, 28, Stürmer, trägt die Nummer 7 beim Drittligisten SSV Jahn Regensburg. Es ist die Nummer, mit der auch sein Bruder aufläuft - in der Nationalmannschaft.

Der Bruder. Immer der Bruder. Bastian Schweinsteiger, zwei Jahre jünger, Mittelfeldspieler, Bayern-Star und WM-Superstar mit einem geschätzten Marktwert von 35 Millionen Euro. "Schweini I" und "Schweini II", wie es manche Medien formulieren. Der eine kickt, seit er 14 ist, in München, wurde mit den Bayern fünfmal Meister. Er spielt im DFB-Pokalfinale und in der Champions League, gestern erst wieder. Nach seinem Kapselbandanriss will er am Freitag gegen den HSV von Beginn an auflaufen. Seine Rückkehr wird dringend erwartet. Für seinen Trainer Louis van Gaal war er beim Sieg gegen Hannover am vergangenen Sonnabend direkt nach seiner Einwechslung "der Chef auf dem Platz". Für den anderen, den Älteren, gehört die Zweitliga-Partie 1860 München gegen Braunschweig im Jahr 2006, bei der er zwei Tore schoss, zu den bisherigen Höhepunkten der Karriere. Beide sind Fußballer, beide hatten bereits auf dem Bolzplatz ihrer Jugend den großen Traum von der Bundesliga. Doch nur einer verwirklichte ihn.

Wie es sich lebe mit diesem prominenten, erfolgreichen Bruder an seiner Seite? Tobias Schweinsteiger lächelt, fast gleichmütig. Er kennt die Frage nur zu gut. Die damit verbundene Unterstellung, er selbst stehe ständig im Schatten. "Ich habe mich daran gewöhnt", sagt er. Vergleichen, davon hält er nicht viel. "Das machen nur Menschen, die keine Ahnung haben. Ich habe mein eigenes Leben." Und seine eigene Geschichte. Weniger geradlinig ist sie, mit einigen Umwegen. Mit Fußball hat diese zunächst wenig zu tun. Dreimal wird Tobias Schweinsteiger deutscher Vize-Juniorenmeister im Skifahren. Er fährt Slalom und Riesenslalom, auch für die Nationalmannschaft. Drei Jahre lang. Er ist gut, für die Weltspitze aber reicht es nicht. 2002 beendet er seine Karriere. "Ich hätte nicht dauerhaft oben dabei sein und Geld damit verdienen können", sagt er.

Mit 20 kehrt er zurück zum Fußball. Zum Sport seiner Kindheit. Ihm fehlen vier Jahre, er hängt hinterher. Doch der Rosenheimer kämpft sich langsam vor, durch die Oberliga hin zum VfB Lübeck in die dritte Liga. 2004 wechselt er in den Norden. Im selben Jahr reist Bastian Schweinsteiger als Nationalspieler zur EM nach Portugal. Dass er ohne das Skifahren ähnlich weit gekommen wäre, glaubt Tobias Schweinsteiger nicht. Er könne das realistisch einschätzen. Es klingt ehrlich, nicht verbittert. 2006 kommt er der Bundesliga etwas näher, als er beim Zweitligisten Braunschweig unterschreibt. Doch es läuft nicht richtig gut. Er sitzt häufig auf der Bank, geht nach nur einem Jahr zurück zu Lübeck, dann zu Unterhachingen. Hier, nahe der Heimat, blüht er auf. 22 Tore in zwei Jahren gelingen dem Stürmer. Trotzdem muss er den Verein in diesem Sommer verlassen - Differenzen mit Trainer Klaus Augenthaler. Als das Angebot von Jahn Regensburg kommt, überlegt er nicht lange. "Ich wollte nicht wieder von meiner Familie wegziehen."

Die Nähe zu den Eltern und zum Bruder bedeutet ihm viel. Sie versuchen, sich alle zwei Wochen zu sehen, telefonieren oft miteinander. "Wir sind uns ähnlich. Lustige, umgängliche Typen, doch im Job fokussiert." Ins Stadion des jeweils anderen schaffen sie es aufgrund des Spielplanes nur selten. Dafür kommt der Vater. "Manchmal ist er in der ersten Halbzeit in Regensburg und fährt dann zu Basti nach München", sagt Tobias Schweinsteiger. Das hätten sie immer versucht, die Eltern: Keinen der Jungen zu bevorzugen, um keine Eifersucht zu provozieren. Neidisch? Nein, das sei er nicht. Natürlich, sein Bruder kann sich eine größere Wohnung, das teurere Auto und die weitere Reise erlauben. "Aber ich kann auch jeden Tag essen gehen, wenn ich will. Mir geht es schon verdammt gut." Und, ergänzt er, wenn ihm jemand vor einigen Jahren erzählt hätte, noch einmal im Profifußball so erfolgreich zu sein, "hätte ich ihm nicht geglaubt". Ausgeglichen und zufrieden wirkt Tobias Schweinsteiger. Karriere, Geld, Fußball - das kann ohnehin schnell zur Nebensache werden. Er hat die Vergänglichkeit selbst erfahren, vor vier Jahren. In Braunschweig, nach dem Training, ist er im Auto auf dem Weg nach Hause. Es ist mittags, nach Schulschluss. Tobias Schweinsteiger fährt mit Tempo 50, wie vorgeschrieben. Er kann nicht mehr reagieren, als ihm ein Mädchen an einer Fußgängerampel vor den Wagen läuft. Er hatte Grün. "Es ging so schnell", sagt er. Stefanie, 13, stirbt einen Tag später im Krankenhaus. Tobias Schweinsteiger versucht, weiterzuleben. Er muss. Seine Mutter reist sofort zu ihm, Notfallseelsorger betreuen ihn. Er kontaktiert die Eltern des Mädchens, geht zur Beerdigung, trainiert weiter. Der Fußball lenkt ab, für den Moment. Bis heute denkt er mehrmals in der Woche an Stefanie. Beim Autofahren sieht er häufiger nach links oder rechts, auf die Fußgängerwege. Besonders in der Zeit, wenn die Schule vorbei ist. Stefanies Eltern hat er nicht mehr besucht. "Ich glaube, es würde ihnen nicht helfen, mich zu sehen." Tobias Schweinsteiger lernt, zwischen Schuld und Schicksal zu unterscheiden. Mittlerweile könne er es einigermaßen. "Es war nicht meine Schuld." Er sagt es mit Nachdruck, wie zu sich selbst.

Nicht wenige Menschen wären daran zerbrochen. Tobias Schweinsteiger fängt sich. Wird reifer. Er orientiert sich zudem abseits des Fußballs um, studiert an der Fern-Uni Sportmanagement. Irgendwann, sagt er, könne er sich durchaus vorstellen, bei einem Verein zu arbeiten. "Bis dahin will ich erst mal Fußball spielen." Den Traum von der Bundesliga, den hat er nicht mehr. "Dafür bin ich zu alt." Doch in Regensburg ist er angekommen. Er trifft regelmäßig, die Mannschaft ist zu einer echten Überraschung in der dritten Liga geworden. Manchmal, erzählt Tobias Schweinsteiger, ist er hier auch nur der "Schweini II". Kinder wollen dann ein Autogramm von ihm, dem Bruder des beliebten Nationalspielers. Innerhalb der Mannschaft sei das kein Thema. Für seine Freunde, Familie und ihn selbst ohnehin nicht.

Auf einer Tafel neben dem Stadioneingang wird der Kader des SSV Jahn Regensburg vorgestellt. Tobias Schweinsteigers Foto ist weiter unten abgebildet. Spitzname "Schweini" steht da. Einen Satz hat er selbst noch dazugefügt. "Der Schmerz vergeht, der Stolz bleibt." Es ist sein Motto. Seines Lebens.