Nach dem 2:1-Triumph bei Bayern München ernennt Louis van Gaal Mainz 05 zum Anwärter auf den Meistertitel

München/Hamburg. Seine Liste in der Rubrik "mein schönstes 05-Erlebnis" ist überschaubar. Den Nicht-Abstieg aus der Zweiten Bundesliga 1995 sowie den Bundesliga-Aufstieg 2004 hat Christian Heidel bisher nennen können, obwohl er schon seit 1991 als sportlicher Leiter in seiner Geburtsstadt Mainz tätig ist. Gut möglich jedoch, dass der Manager nach dem kommenden Spiel gegen Hoffenheim einen Eintrag hinzufügen muss: 2010, Bundesliga-Startrekord von Bayern München (1995/96) und Kaiserslautern (2001/02) eingestellt. Oder geht vielleicht sogar mehr, etwas ganz Großes?

Nach dem 2:1-Erfolg in München, dem sechsten Sieg des selbst ernannten Karnevalsvereins, nahm Bayerns Trainer Louis van Gaal die Mainzelmännchen in den erlesenen Kreis der Titelanwärter auf: "Es ist noch ein langer Weg, aber ich traue auch dieser Mannschaft viel zu. Sie können Meister werden. Kaiserslautern hat das auch mal 1998 geleistet. Warum Mainz nicht?"

Obwohl der Vorsprung auf den Rekordmeister nach dem verdienten Auswärtserfolg auf zehn Punkte anwuchs und Trainer Thomas Tuchel im Glücksrausch spontan die Worte fehlten ("Das ist alles surreal"), ließ sich die Mainzer Klubführung nicht zu einer Titeldiskussion verführen: "Warum sollen wir uns neue Ziele stecken? Was soll das? Wir genießen den Moment", sagte Heidel, der mit Spielergehältern in Höhe von 17 Millionen Euro kalkuliert - beim HSV sind es 46 Millionen Euro.

Längst wird bundesweit nach dem Erfolgsgeheimnis der Mainzer geforscht - dabei gibt es gar keines. Die Herangehensweise der Rheinhessen könnte in einem Lehrbuch zusammengefasst werden mit dem Titel: Wie führe ich einen Fußballklub nach oben?

Kontinuität und der Mut zum Wandel und Wechsel führen in Mainz eine harmonische Koexistenz. Der Vorstand arbeitet seit 20 Jahren in kompletter Besetzung zusammen, während Tuchel, bis 2009 noch A-Junioren-Trainer, im Sommer seinen Kader mit 14 Zu- und 15 Abgängen runderneuerte.

In Mainz gilt der 37-Jährige längst als Mastermind, da er für jeden Gegner einen Matchplan entwirft und nach den Ergebnissen seiner Analyse trainieren lässt sowie die Aufstellung variiert. So veränderte er sein Team nach dem 2:0-Sieg in Bremen am vierten Spieltag auf fünf Positionen und gewann gegen Köln (2:0). In München wiederum ließ Tuchel statt im 4-3-3-System im 4-4-2 mit Raute spielen und baute seine Startelf erneut mit fünf frischen Kräften um.

"Das ist alles kein Zufall", sagte André Schürrle, der am Saisonende für zehn Millionen Euro nach Leverkusen wechseln wird, "wir machen das, was uns der Trainer vorgibt." Gegen die Bayern trumpfte Mainz mit offensivem Verteidigen auf, also Pressing bereits in der Münchner Hälfte. Beeindruckend auch, wie sich Tuchels Anspruch, "flachen, sicheren und schnellen Fußball zu spielen" (Heidel in der "SZ"), mit der nötigen Leidenschaft, Aggressivität und Laufbereitschaft mixen. Genau diese Attribute vermisste Karl-Heinz Rummenigge bei seinen Bayern.

Eine Unbekannte bleibt dennoch: "Die Mainzer konnten locker auftrumpfen, aber diese Lockerheit wird natürlich von Spieltag zu Spieltag verschwinden, das wird kommen", prognostizierte Bremens Manager Klaus Allofs am Sonntag bei Sport1, während Tuchel ankündigte, die Bodenhaftung zu bewahren: "Wir fühlen uns jetzt nicht größer, als wir sind." Dabei gehört auch Wachstum zum Mainzer Programm. 2011 zieht das Team in ein modernes, 33 500 Zuschauer fassendes Stadion um, womit ein jahrzehntelanger Traum von Manager Heidel in Erfüllung gehen wird. Das erste Spiel in der neuen Arena - ein heißer Kandidat dafür, dass seine Liste der schönsten 05-Erlebnisse in Kürze immer länger wird.