Deutschland muss am Sonnabend im Viertelfinale gegen Argentinien die beste Offensivabteilung des Turniers stoppen und riskiert Sperren.

Erasmia. Statistiken haben ja bekanntlich den Vorteil, dass man so lange darin wühlen kann, bis die gewünschte These mit Material unterfüttert wird. Aber diese Zahlen sind nun wirklich unerschütterlich: Argentinien hat nicht nur die bislang meisten Treffer aller WM-Teilnehmer erzielt (10), sondern auch die meisten Schüsse abgegeben (75) und dabei am häufigsten auch noch aufs Tor gezielt (36). Zudem hat die Mannschaft von Diego Maradona auch noch die meisten Tore nach Ecken (4) und per Kopf (4) erzielt. Mit Gonzalo Higuain (Real Madrid) stellen die Argentinier zudem den Führenden in der Torschützenliste (4). Kein Wunder also, dass Arne Friedrich urteilt, dass die deutsche Nationalmannschaft am Sonnabend (16 Uhr/ZDF und im Liveticker auf abendblatt.de ) auf die "beste Offensive dieses Turniers" treffen wird.



Und das, obwohl sich mit Lionel Messi der wohl derzeit beste Fußballer der Welt trotz brillanter Auftritte noch ziert mit dem Toreschießen: 13-mal zielte der nur 1,69 Meter kleine Offensivgigant direkt aufs Tor, ohne zu treffen - natürlich auch Turnierrekord. "Wir wollen, dass das genauso bleibt", sagte Bastian Schweinsteiger gestern und kündigte an, dass die DFB-Auswahl versuchen werde, Messi im Kollektiv zu stoppen. Was das heißt, erklärte Friedrich: "Wenn wir genau mit den Vorgaben wie gegen England ins Spiel gehen, defensiv sehr konstant und kompakt als komplettes Team agieren, haben wir eine Chance. Die gute Defensivleistung war ja nicht nur ein Verdienst der Abwehr, auch die Mittelfeldreihe und der Angriff haben sehr gut mitgearbeitet. Beherzigen wir das gegen Argentinien nicht, kann es böse enden."

Vor allem, sollten sich die Deutschen zu sehr darauf konzentrieren, die Kreise Messis einschränken zu wollen. Beim 3:1 gegen Mexiko im Achtelfinale nutzte Carlos Tevez (Manchester City), ebenfalls nur 1,73 Meter klein und ein weiterer Offensivtrumpf der Argentinier, den Belagerungszustand um Messi für zwei Tore. Mit Diego Milito (Inter Mailand), der im Champions-League-Finale mit seinen Toren für den 2:0-Sieg über die Bayern sorgte, Martin Palermo (Boca Juniors) und Sergio Leonel Agüero (Atlético Madrid) stehen Maradona weitere hochkarätige Spieler zur Verfügung, sollte der Angriffselan seiner Stammkräfte einmal lahmen. Aber das ist zumindest beim torhungrigen Higuain nicht zu erwarten, der für Real Madrid in der abgelaufenen Saison in 32 Ligaspielen 27 Treffer erzielte und auch beim 1:0 gegen Deutschland im März erfolgreich war.

Doch der Mann, über den alle sprechen, ist Messi. Nach dem Erfolg über Mexiko beklagte sich Maradona über die unsanfte Behandlung des Feinmotorikers. "Sobald Messi am Ball ist, versuchen seine Gegenspieler ihn umzutreten. Ich verlange mehr Respekt."

+++ NEUE ROLLE FÜR BALLACK GESUCHT+++

Gegen Deutschland muss Maradona üble Attacken jedoch weniger befürchten. Mit Arne Friedrich, Bastian Schweinsteiger, Sami Khedira und Kapitän Philipp Lahm sind gleich vier Spieler mit Gelb vorbelastet, die während des Spiels häufig auf Messi treffen werden. Auch Mesut Özil und Thomas Müller müssen fürchten, fürs Halbfinale gesperrt zu werden. Der angeschlagene Cacau ist ebenfalls vorbelastet, wird jedoch gegen Argentinien weiter fehlen. Erst nach dem Viertelfinale werden die Gelben Karten von der Fifa gestrichen, damit niemand in einem Finale gesperrt wäre. Eine Regel, die nach der Sperre von Michael Ballack im Endspiel 2002 eingeführt wurde.

"Wir müssen uns alle zusammenreißen im nächsten Spiel", fordert Friedrich, während Joachim Löw dazu aufgerufen hat, in jedem Fall auf zu heftiges Reklamieren zu verzichten. Zurückhaltung dürfe es aber nicht geben: "Wir müssen schon beherzt in die Zweikämpfe gehen, egal, wer vorbelastet ist." Bei den Analysen zum nächsten Gegner hat Löw eine Art Einschläferungstaktik erkannt: "Argentinien versteht es, den Gegner in Sicherheit zu wiegen und dann zuzuschlagen." Eine Marschroute, die er in ähnlicher Form selbst gegen England praktizierte.

Spannend wird sein zu sehen, ob und wie Löw gemäß seiner Grundphilosophie auch gegen die so gefährlichen Argentinier mutig nach vorne spielen lässt. Schließlich sei die Defensive "die Achillesferse des Gegners", glaubt Friedrich. "Wir müssen eine sehr gute Taktik finden, um beides zu bespielen."

Dass sich der Berliner, der bisher ein so hervorragendes Turnier spielt, wie bei den früheren Spielen überraschend in den Angriff einschaltet, ist jedoch unwahrscheinlich: "Ich werde gegen Argentinien vorsichtiger sein." Schließlich soll deren Statistik nach der Partie gegen Deutschland nicht mehr ganz so imposant wirken.