Viele Stars verglühten bei dieser WM vorzeitig, weil sie die Verantwortung allein schultern wollten. Die Glanzpunkte setzten starke Kollektive

Johannesburg. Etwas ganz Besonderes musste her, dachte sich die Führung des amerikanischen Sportartikelgiganten Nike, und ließ vor Beginn der WM einen aufwendigen Spot produzieren. Die Leitung übernahm Hollywood-Regisseur Alejandro G. Inarritu. In Nebenrollen treten Tennislegende Roger Federer, Basketballidol Kobe Bryant und Comic-Kultfigur Homer Simpson auf. Doch der Clou dieses Dreiminutenepos mit dem Namen "Write the future" (Schreib die Zukunft) ist, dass nicht ein Superstar allein, sondern eine ganze Schar von Spitzenkickern in den Mittelpunkt gerückt wurde. Einer von denen dürfte ja wohl ganz sicher zum Mann des Turniers werden.

In der Zentrale von Nike werden sie sich entsetzt die Hände vor das Gesicht schlagen - denn die Protagonisten ihres Films sind fast allesamt gescheitert. Gefallene Helden. Am Dienstag erwischte es Cristiano Ronaldo, den aktuell begehrtesten Fußballspieler der Welt. Mit Portugal verlor er das prestigeträchtige Achtelfinalduell gegen Spanien.

Es gibt durchaus Parallelen zwischen dem Werbespot und der Realität auf dem Rasen. Im Filmchen sind die portugiesischen Profis nur schemenhaft zu erkennen. Allein Ronaldo wird in den Fokus gerückt. In seinen Gedanken sieht er sich bei der Einweihung eines Stadions, nach ihm benannt, bei der Premiere eines Kinostreifens, nach ihm benannt, bei der Enthüllung einer Statue, die ihn zeigt. Im Green-Point-Stadion in Kapstadt war der 25-Jährige mit der Aufgabe überfordert, seiner Mannschaft in die nächste Runde und seinem Land zu Ruhm zu verhelfen. Der Angreifer von Real Madrid war zu sehr auf sich allein gestellt, er gab den Einzelkämpfer, trat jeden Freistoß, jede Ecke, schoss aus der größten Entfernung und dem unmöglichsten Winkel. Ronaldo war dadurch zum Scheitern verurteilt. Ein Egoist wird nicht Weltmeister.

Die Zuschauer drängen auf Spektakel, auf technische Raffinessen. Doch dieses Turnier in Südafrika ist ein Beleg dafür, dass die Stärke der Gruppe und nicht die Klasse der Einzelkönner entscheidet. Die Portugiesen mussten die Koffer packen, weil Ronaldo allein nicht den Unterschied ausmachen konnte. So erging es auch den Engländern, die ihre Hoffnungen in Wayne Rooney setzten. Die Elfenbeinküste und Kamerun waren chancenlos, weil sie für ihre Kontrahenten zu leicht auszurechnen waren. Es galt lediglich, Didier Drogba oder eben Samuel Eto'o auszuschalten.

Andere, sicher weniger glamouröse Kollegen kämpfen nun um den WM-Titel - als Einheit. Dazu zählt die deutsche Nationalmannschaft, die nach dem Ausfall ihres Kapitäns Michael Ballack ein starkes Wir-Gefühl entwickelt hat. Es gibt keinen, auf den alles schaut, der die gesamte Last auf seinen Schultern tragen muss. Jeder ist bereit, Verantwortung zu übernehmen, dem Nebenmann zu helfen. Und es sind verschiedene Spieler, die Glanzpunkte setzen, wie Thomas Müller oder Mesut Özil in der Offensive und Sami Khedira oder Arne Friedrich in der Defensive. Auch Spanien, Brasilien und die Niederlande sind Paradebeispiele dafür, worauf es bei dieser WM in Südafrika ankommt: Sie haben allesamt überragende Akteure in ihren Reihen, doch diese stellen sich nie über das Team, sondern ihre Kunst in den Dienst der Mannschaft.

Eine Mannschaft wird Weltmeister, nicht elf Individualisten. Deshalb ist Titelverteidiger Italien gescheitert, deshalb sind Frankreich und auch England gescheitert. Hoch eingestufte Nationen, die voll und ganz auf ihre Einzelkönner vertrauten, sind ausgeschieden. Einige Außenseiter träumen dagegen weiterhin vom Triumph. Dazu zählt Uruguay, eine Elf, die wunderbar harmoniert, die das richtige Maß fand zwischen grundsolider Arbeit und Ästhetik. Gerade die Stars Diego Forlan und Luis Suarez gelten als fleißig und mannschaftsdienlich. Im Viertelfinale treffen sie auf Ghana, den letzten afrikanischen Vertreter - und die einzige Mannschaft des Gastgeberkontinents, die ohne einen einzelnen, über allen anderen stehenden Hoffnungsträger anreiste.

Ein Zufall? "Nein", sagt Samuel Kuffour, einst Profi beim FC Bayern und nun als Fernsehexperte tätig: "Es gibt keinen, hinter dem man sich verstecken könnte. Alle müssen sich zeigen und fest zusammenhalten. Auf sich allein gestellt, bringt es niemand weit."

Diesem Motto hat sich auch Paraguay verschrieben, das sich erstmals fürs Viertelfinale qualifizieren konnte. Es gibt keinen Spieler mit spektakulären Fähigkeiten. "Bei uns zählt allein die Geschlossenheit", betont Trainer Gerardo Martino und wehrt sich gar nicht erst gegen den Vorwurf, dass seine Truppe recht unansehnlichen Fußball biete: "Wir beherrschen es gut, den Spielfluss unseres Gegners zu unterbinden. Das hat uns so weit gebracht. Andere, viel stärkere Mannschaften wären nur zu gern in unserer Situation."

Trotz des Scheiterns der Hauptdarsteller ist "Write the future" zu einem großen Erfolg geworden. Der Werbespot wurde allein auf dem Internetportal Youtube fast 18 Millionen Mal abgespielt. Und bei Facebook haben sich fünf Millionen Nutzer als Fans von Cristiano Ronaldo bekannt. Das ist keinem Sportler zuvor gelungen. Den WM-Pokal kann ihm das nicht ersetzen.