Die Argentinier bleiben immer noch ein Rätsel dieser WM. Der Trainer fordert Artenschutz für Messi

Johannesburg. Es ist nicht ganz einfach, Diego Maradona ernst zu nehmen, fast jeden Tag überrascht der Trainer der argentinischen Nationalmannschaft mit einer neuen Kuriosität. Mal gefällt er sich beim Verbreiten von Obszönitäten, nachts soll er sich gelegentlich im "Drop Zone", einem Studentenklub in Pretoria, vergnügen, und als die Pressekonferenz nach dem 3:1-Sieg im Achtelfinale gegen Mexiko beendet war, sagte er: "Ich will mehr Fragen beantworten, aber sie wollen mich rausschmeißen." Maradona ist eine große Show, und er ist bestens gelaunt in Südafrika. So eine Weltmeisterschaft ist sein Element, "ich fühle mich, als würde ich das Trikot anziehen und auf den Platz gehen, es ist großartig, sich wie ein Puzzleteil dieses Teams zu fühlen", erklärte er nach dem Einzug ins Viertelfinale.

Allerdings schimmerte auch seine Neigung zum Größenwahn hervor an diesem Sonntagabend. "Argentinien war 90 Minuten überlegen", lautete seine knappe Analyse, und dieser Satz war eine maßlose Übertreibung. Denn eine irrwitzige Fehlentscheidung der Schiedsrichter vor dem 1:0 von Carlos Tevez (26. Minute) brach den beachtlichen mexikanischen Widerstand.

Im Grunde ist Argentinien immer noch ein Rätsel in diesem Turnier. Vermutlich wird erst das WM-Viertelfinale gegen Deutschland am kommenden Sonnabend das wahre Gesicht dieser Mannschaft entblößen. "Wir wissen, dass Deutschland eine ganz andere Mannschaft als Mexiko ist", verkündete Maradona, "das ist das bisher wichtigste Spiel der WM." Anders als im Viertelfinale 2006, beim deutschen Sommermärchen, werde man diesmal den Platz als Sieger verlassen. Weitere Aussagen zur DFB-Elf und zu deren Qualitäten verweigerte er jedoch. "Warum soll ich jetzt an Deutschland denken? Ihr habt einen Blankoscheck - schreibt, was auch immer ihr meint, was ich über Deutschland denke!"

Nun gut, man kann es ja mal versuchen: Maradona erlebte mit dem 3:2-Sieg im WM-Finale von 1986 gegen Deutschland den Höhepunkt seiner Karriere als Spieler, im Finale 1990 vergoss er nach dem 0:1 von Rom bittere Tränen, seine ganz private WM-Beziehung zu Deutschland ist sehr intim. Nicht freundschaftlich, aber auch nicht feindlich, eher respektvoll. Zuletzt begegneten sich die beiden Weltfußballgiganten beim imponierenden 1:0-Sieg der Argentinier in München im März. Damals hatte Maradona eine sehr kompakte Mannschaft aufgeboten, die Deutschen waren tief beeindruckt und fanden keine Lücken in der Defensive der Südamerikaner.

In Südafrika lässt Maradona bisher völlig anders spielen. Das offensive 4-4-2-System, mit Lionel Messi als zentralem Mittelfeldspieler hinter zwei Spitzen, funktionierte in den vier siegreichen WM-Partien. Cesar Luis Menotti, der argentinische Weltmeistertrainer von 1978, ein Fußballweiser, sagte dieser Tage, dass die Mannschaft vor allem von "der Angst ihrer Gegner" profitierte. Menotti bewundert "das gerissene Angriffsspiel" und sorgt sich über "ein schwaches Kollektiv". Das Spiel der Argentinier ist abhängig vom Wundersturm mit Lionel Messi, Gonzalo Higuain und Tevez, die für ihre Klubs in der abgelaufenen Saison allein in den Ligaspielen die sagenhafte Anzahl von insgesamt 83 Treffern erzielt haben.

Messi, der von Maradona neben grenzenlosem Lob auch die eine oder andere innige Umarmung erdulden muss, hat zwar schon mehrere brillante Szenen hingelegt, ist aber noch nicht der überragende Spieler seiner Mannschaft. Und das ersehnte erste WM-Tor ist ihm in vier Spielen noch nicht gelungen. "Wenn Gott will, gelingt es gegen Deutschland", sagte er. Maradona forderte derweil Artenschutz für seinen Lieblingsspieler: "Was mit Messi gemacht wird, ist ein Skandal. Die schauen nicht mal nach dem Ball, sondern treten ihn." Eine Ermahnung an die Schiedsrichter. Schließlich habe er selbst das vor 20 Jahren erlebt. Und nichts habe sich geändert.

Das Viertelfinale gegen Deutschland ist für Maradona die größte Herausforderung seiner bisherigen Trainerkarriere, denn er wird sich in den kommenden Tagen auf die Suche nach der richtigen Balance zwischen Offensive und Defensive begeben. Und wenn sich der Trainer bislang nicht über den Gegner äußern will, übernehmen dies die heimischen Medien für ihn. "Bis zum Sieg gegen England zählte Deutschland allein zu den Favoriten, weil es eben Deutschland war", hieß es in der Tageszeitung "El Clarin". "Jetzt haben die Prügel für England gezeigt, dass sie immer einen Schlüssel zum Sieg finden. Maradona muss schnell ihre Schwachstellen finden."

Gut möglich, dass es am Ende des Findungsprozesses prominente Opfer gibt und die offensive Dreierachse zugunsten von mehr Sicherheit gesprengt wird. Denn bei gegnerischem Ballbesitz haben die Argentinier Probleme, außerdem kursieren Zweifel an der Fitness der Mannschaft. Higuain hatte in der Schlussphase gegen Mexiko Krämpfe, obwohl das Spiel früh entschieden war. Dass Maradona ein gezieltes, individuelles Training macht, zweifeln südamerikanische Journalisten an.

Dafür ist die Albiceleste eine Turniermannschaft und der Trainer ein alter WM-Fuchs. Für das Spiel gegen Deutschland kündigte er sein "Gala-Team" an. Der Geist dieser Mannschaft, die nicht in einem Luxushotel, sondern auf einem Universitätsgelände logiert, gilt als Erfolgsgeheimnis, auch wenn sich gegen Mexiko erste kleine Konflikte innerhalb der Gruppe andeuteten. Carlos Tevez war ziemlich erbost, als Maradona ihn nach seinen zwei Treffern gegen Mexiko vom Feld nahm, er schüttelte den Kopf und ließ sich nur widerwillig umarmen. Vielleicht fürchtet er um seinen Stammplatz, denn sollte Maradona gegen Deutschland wieder die Erfolgstaktik der März-Begegnung von München wählen, muss ein Stürmer draußen bleiben.

Die Welt wartet auf Maradonas nächste Überraschung.