Nach der 1:4-Schmach sucht der englische Verband nach Gründen - und einem Nachfolger für Nationalcoach Capello

Phokeng. Zum Halali wurde gleich im Free State Stadium geblasen. "Wer ist schuld, Stevie, die Spieler oder der Trainer?", wollte der Mann von der "Sun" nach der historischen 1:4-Schmach gegen den "Erzfeind Deutschland" (Frank Lampard) wissen. Die Jagd nach dem Sündenbock wird ein paar Tage dauern und sicher nicht im Bushveldt, dem Nordwesten von Südafrika, haltmachen. Diesen Sommer steht mal wieder eine melancholische Safari durch 44 Jahre Ödnis an.

Steven Gerrard, der bleiche, in der Niederlage aber vorbildliche Kapitän ("Wir sollten das nicht gegebene Tor nicht als Entschuldigung gelten lassen"), wollte sich in Bloemfontein zu keiner Ad-hoc-Autopsie verleiten lassen. "Das müssen andere entscheiden", zuckte der 30-Jährige die Schultern. Mit Fabio Capello, dem granitgesichtigen Italiener, ist die Schurkenrolle in der Tragödie natürlich bereits gut besetzt. Der 64-Jährige hat sich nie die Mühe gemacht, die einflussreichsten Journalisten auf der Insel für sich zu gewinnen, sein Englisch rumpelt nach zweieinhalb Jahren auf der Insel noch immer mühsam. "This is the football", das ist der Fußball, lautete unmittelbar nach dem 1:4 sein Fazit. Nun wird er ratenweise gefeuert: "In zwei Wochen", verkündete er gestern, "wird die Football Association eine Entscheidung treffen." Sie kann nur gegen ihn ausfallen.

Sir Dave Richards, der neue starke Mann im Verband, hat sich nach einer Unterredung mit Capello offiziell 14 Tage Bedenkzeit ausgebeten. "Nach so einem enttäuschenden Turnier sollte man keine überhasteten Dinge machen", verkündet Adrian Bevington, der für die Nationalmannschaft zuständige FA-Manager. Was der Verband mit dieser ungewöhnlichen Hängepartie bezweckt, ist klar: Capello soll von sich aus zurücktreten oder einen neuen Arbeitgeber finden. Die FA will sich auf diese Weise zumindest einen Teil der 14 Millionen Pfund sparen, die als Abfindung fällig würden. Bis zum unweigerlichen Aus für den Friauler stellt ihn Richards sozusagen ins Schaufenster.

Capello gab sich unverdrossen, natürlich wolle er bis zur Europameisterschaft 2012 weitermachen, sagte er und spielte dabei mit dem Reißverschluss seiner Trainingsjacke. Er kam noch einmal etwas halbherzig auf die Schiedsrichterentscheidung zurück ("Es wäre ein ganz anderes Spiel gewesen"), überraschte dann aber mit der Bestätigung einer beckenbauerschen These: "Ich weiß jetzt, warum England nicht gewinnt: Die Spieler sind zu müde. Ich hatte hier nicht dieselben Spieler, die ich im Herbst hatte. Sie sind nicht so schnell, nicht so frisch."

Eine Strukturreform sei seiner Meinung nach dringend nötig. "Es gibt zu viele Spiele in England, immer mittwochs, immer sonnabends, das ist unmöglich", sagte er. Die Diskussion um eine Winterpause ist so alt wie der Winter selbst, ob sie demnächst mit echter Verve geführt wird, darf man trotz Capellos Einlassung bezweifeln. Die Premier League und Richards, der neben seinem Amt als stellvertretender Geschäftsführer des Verbands auch der Liga vorsteht, haben kein Interesse, die finanziell äußerst lukrativen Spiele über Weihnachten und Neujahr einzustellen, eine Verkleinerung der Liga auf 18 Vereine steht außer Frage.

Solange sich reiche Eigentümer wie Chelseas Roman Abramowitsch einfach die Stars aus der ganzen Welt zusammenkaufen, werden auch bei der Ausbildung der Jugendspieler keine echten Fortschritte gemacht. Die West-Londoner haben seit der Übernahme durch den Russen vor sechs Jahren keinen einzigen Jugendspieler hervorgebracht, der gut genug für die erste Mannschaft wäre.

"Wo sind die jungen Spieler, wo sind sie?", fragte Capello rhetorisch, als ihn jemand fragte, ob es nicht besser gewesen wäre, wie die Deutschen junge Spieler mit nach Südafrika zu nehmen. Aus der U 21, die im vergangenen Sommer das Europameisterschaftsfinale 0:4 gegen Deutschland verlor, wurden nur James Milner (Aston Villa), Theo Walcott (Arsenal) und Adam Johnson (Manchester City) befördert, die letzteren beiden erachtete Capello aber als nicht gut genug für das Turnier. Die Perspektive ist miserabel: Sir Trevor Brooking, der Leiter der Jugendabteilung, deutete in einem Hintergrundgespräch im Royal Bafokeng Sports Palace vorige Woche an, dass jene "goldene Generation" um Gerrard und Lampard ihre Chance bei dieser WM unbedingt nützen müsse. So schnell würden nämlich keine guten Spieler nachkommen.

Den notorisch überschätzten Granden aus der Premier League, allen voran dem verhinderten Rebellen John Terry (Chelsea), der nach großen Worten nur Untaten auf dem Platz hatte folgen lassen, wird nun ebenfalls der mediale Prozess gemacht, so leicht wird man sie angesichts der nicht vorhandenen Alternativen jedoch nicht austauschen können. Die größte Gefahr für den englischen Fußball ist nun, dass er sich - frei nach dem Motto "Football is going home" - mit großer Nervosität ganz auf sich konzentriert, weil er neben den Fehlern auch die Lösungen aller Probleme bei sich selbst vermutet. Anstatt einmal innezuhalten und zu sehen, was die anderen besser machen.