Simone Buchholz kommentiert das Achtelfinale Brasilien gegen Chile

Es wird ja die ganze Zeit gejammert: Wo ist der Zauber hin? Die Magie, das Überirdische, dieses ganz spezielle Brasilien-Ding? Und dann schimpfen alle. Auf Dunga, diesen schrecklichen Trainer, der den Zauber wohl verboten hat. Der fast ist wie ein Deutscher. Dem Disziplin lieber ist als Samba. Und sie schimpfen auch auf die brasilianischen Spieler, die behäbig übers Feld traben statt wie sonst zu fliegen. Die sehr zurückhaltend sind mit ihrem Links, Rechts, Übersteiger.

Vom brasilianischen Fußball wird etwas anderes erwartet, das soll ein ganz besonderer Tanz sein, einzigartig und schnell. Das soll bunt sein und groß wie der Karneval. Das soll Lebensfreude ausstrahlen, bis es nervt. Das soll Liebe sein.

Ich sage: Schluss mit dem Gemecker und Gejammer. Der Zauber fehlt nicht. Der Zauber ist da. Gestern Abend zum Beispiel waren alle verhext. Die Chilenen spielten in einem bizarren 3-3-3-1-System, das so in echt gar nicht existiert. Die brasilianischen Fans trugen merkwürdige Masken mit Tiergesichtern. Sie trugen glitzernde Federn, glänzende Perücken, goldene Hüte (und sogar Eselsköpfe?). Sie sahen aus wie die völlig verwirrten Liebenden in Shakespeares Sommernachtstraum.

Die Ex-Schönheitskönigin Jo-Ann Strauss berichtete mit irrem Dauerlachen über ein herzzerreißendes Projekt für Waisenkinder in einem Township in Kapstadt. Aber ich bin mir nicht sicher, ob sie wirklich wusste, wo sie war. Sie wirkte nicht so, als würde sie gerade Aids, Hunger und Armut gegenüberstehen. Sie sah aus, als würde sie vom Poppenbütteler Erdbeerkuchenwettbewerb erzählen.

Und Michael Steinbrecher erst. Was war eigentlich mit dem los? Stand er unter einem verrückten Voodoo-Einfluss, der ihn ins Land des sanften Lächelns geschickt hat? In eine Welle, die so weich ist wie sein Haar? Oder ist er einfach nur verliebt in Jogi nazionale?

Mit der Zauberei ist das so eine Sache. Die Menschen wünschen sie sich immer herbei, sie denken, dass Zauberei das Leben gut und schön und aufregend machen kann. Und sie denken, dass die Zauberei immer groß und offensichtlich sein muss. Spektakulär, so wie früher der Fußball der Brasilianer. Dabei übersehen sie den Zauber in den kleinen Dingen. Die Witze, die die Hexen nur für sich selbst machen. Damit sie was zum Lachen haben, während die Brasilianer ihren effektiven, kalten Stiefel durchziehen.