Der Berliner Junge Kevin-Prince Boateng ist nach nur fünf Spielen in den Herzen der Ghanaer angekommen. Sein Tor ebnete den Weg ins Viertelfinale

Rustenburg. Es waren nicht einmal fünf Minuten gespielt, da lief Kevin-Prince Boateng im Mittelkreis los. Mit einer Leichtigkeit ließ er drei US-Verteidiger stehen, als sei alle Last von seinen Schultern genommen. Als habe es den wochenlangen Druck auf ihn nie gegeben, nach jenem verhängnisvollen Foul, das Michael Ballack die WM-Teilnahme gekostet hat.

Am Ende ein Schuss aus 16 Metern, er traf unten links: das 1:0 im wichtigsten Spiel in Ghanas Geschichte. Es war der Grundstein für das 2:1 nach Verlängerung, das Asamoah Gyan (93.) nach dem Ausgleich von Landon Donovan per Elfmeter (62.) sicherstellte. Ein historischer Erfolg, schließlich hat Ghana erst als drittes afrikanisches Team nach Kamerun (1990) und dem Senegal (2002) ein WM-Viertelfinale erreicht.

Der 23-Jährige lief zur Haupttribüne, umringt von den neuen Mitspielern, bejubelt von den neuen Fans. Er machte nicht den Eindruck eines Profis, der erst sein fünftes Länderspiel für Ghana machte. "Ich bin hier noch nicht lange", hatte Boateng vor einigen Tagen gesagt, "aber ich fühle mich schon wie ein Mitglied der Familie. Es gibt einen unglaublichen Teamgeist, und den zeigen wir auch auf dem Platz."

Boatengs Geschichte klingt wie ein Drehbuch, das die meisten Produzenten wohl mit der Begründung ablehnen würden, es sei zu klischeebehaftet: Ein Kicker aus einem Problem-Kiez in Berlin-Wedding, mit außergewöhnlichem Talent und zweifelhaftem Benehmen, durchläuft im Land seiner Jugend alle Jugendnationalmannschaften. Und fasst doch nicht wirklich Fuß. Er wechselt das Nationalteam und führt die Heimat des Vaters erstmals ins WM-Viertelfinale. Kein Film, sondern Realität. "Ghana trägt die Fahne des ganzen Kontinents", sagte Boateng stolz, ganz so, als habe er nie ein anderes Ziel gehabt, als an dieser Mission zu arbeiten.

Schon das Vorrundenspiel gegen Deutschland (0:1) hatte der Mittelfeldspieler mit Oberschenkelproblemen bestritten, auch gegen die USA ignorierte Boateng bis zu seiner Auswechslung nach 72 Minuten die Schmerzen. Zu wichtig war er auf der Position des verletzten Superstars Michael Essien geworden, obwohl seine Spielgenehmigung für Ghana erst seit Mai vorliegt.

So findet auch Trainer Milovan Rajevac reichlich lobende Worte für seinen neuen Spieler. Er hatte sich für den Nationalitätenwechsel Boatengs starkgemacht. Der Mann mit den zahlreichen Tattoos war einst in Deutschland zum Nachwuchsspieler des Jahres gewählt worden, hatte nach diversen Eskapaden aber keine Chance mehr auf Einsätze im DFB-Trikot. In Ghana empfingen sie ihn mit offenen Armen, gefördert durch die Tatsache, dass Essien im vergangenen Jahr kaum verletzungsfreie Phasen hatte. "Er hat heute sehr gut gespielt und ein wichtiges Tor geschossen", fühlte sich Rajevac bestätigt, "mit seiner Dynamik ist er ein sehr wichtiger Spieler für uns geworden."

Der Serbe hat ein besonderes Geschick im Umgang mit der Mentalität seines Teams. Er war vor dem Turnier der unbekannteste Trainer der sechs afrikanischen WM-Teilnehmer, die bevorzugt auf große Namen wie Sven-Göran Eriksson (Elfenbeinküste) und Carlos Alberto Parreira (Südafrika) setzten. Der Erfolgreichste aber hat in seiner Vita lediglich Engagements in der serbischen Liga, in China und dem Ölscheichtum Katar stehen. Uneitel ging er auf den Wunsch der Mannschaft ein, die jüngst um eine Aufhebung der Suspendierung von Sulley Muntari gebeten hatte. Rajevac war von dem Inter-Mailand-Star beleidigt worden, entschied sich aber doch für eine Begnadigung. Er scheint mit schwierigen Charakteren umgehen zu können. Boateng habe sich "in Rekordzeit integriert", lobt er.

Tatsächlich hat sich Boateng einige Brocken Twi angeeignet, scherzt mit dem jungen Team in der Sprache der größten ethnischen Gruppe des Landes. Er betet mit dem Team vor den Anpfiff und bei jedem Training. Für Leverkusens Profi Hans Sarpei erübrigt sich die Frage nach der Eingliederung Boatengs ohnehin. "Man braucht sich doch nur anschauen, wie er für uns spielt", sagt er, "dann weiß man Bescheid." Ghana gilt besonders im Mittelfeld als stark besetzt, Boateng erkämpfte sich dennoch auf Anhieb einen Stammplatz.

Sein Einsatz am Sonnabend gegen Uruguay ist wegen seiner Verletzung gefährdet. "Es wird sehr schwierig, ihn fit zu bekommen", sagte Rajevac. Wie kurios die Situation doch anmutet: Vor der WM war er wegen seines Fouls an Ballack einer der meistkritisierten Menschen Deutschlands. Nun hofft ganz Ghana auf Boatengs Genesung.

USA: Howard - Cherundolo, DeMerit, Bocanegra, Bornstein - Bradley, Clark (31. Edu) - Donovan, Dempsey - Findley (46. Feilhaber), Altidore (91. Gomez).

Ghana: Kingson - Inkoom (113. Muntari), Pantsil, Jonathan Mensah, John Mensah, Sarpei (73. Addy) - Annan, Boateng (78. Appiah) - Asamoah, Andre Ayew - Gyan.

Tore: 0:1 Boateng (5.), 1:1 Donovan (62., Foulelfmeter), 1:2 Gyan (93.).

Schiedsrichter: Kassai (Ungarn). Zuschauer: 34 976. Gelbe Karten: Clark, Cherundolo (2), Bocanegra - Jonathan Mensah (2), Andre Ayew (2).