Die Briten zeigen sich optimistisch und haben in Jermain Defoe einen neuen Hoffnungsträger

Port Elizabeth. Die Gleichung ist gar nicht schwer. Ein Schuss gesunder Respekt vor den deutschen Tugenden plus eine große Portion Vertrauen in die eigenen Stärken. Heraus kommt: Der nötige Optimismus, mit dem die Engländer das deutsche Trauma bekämpfen wollen.

Null-Tore-Stürmer Wayne Rooney, dessen Knöchelverletzung die Gleichung kurzfristig etwas durcheinander gebracht hatte, soll nach seiner schnellen Genesung auch endlich seinen Anteil leisten. Doch einen Großteil ihres Optimismus' ziehen die Engländer derzeit aus dem neu gewonnenen Vertrauen in einen anderen Stürmer: Jermain Defoe von den Tottenham Hotspurs schoss die "Three Lions" ins Achtelfinale und sich in die Herzen der englischen Fans. "Was gibt es Schöneres, als seinem Land und seiner Mannschaft zu dienen", sagte der 27-Jährige nach dem 1:0 gegen Slowenien.

Jeder auf der Insel weiß: Für Defoe sind Tore nicht nur Beruf und Berufung, sondern auch Therapie. Vor einem Jahr wurde sein Halbbruder Jade Gavin Defoe bei einem Überfall auf offener Straße umgebracht. "Fußball zu spielen ist die einzige Möglichkeit für mich, darüber hinwegzukommen", erklärte der Nationalstürmer. Und Fußball spielte er schon in der abgelaufenen Saison so erfolgreich wie nie zuvor. Allein 18-mal traf er für die "Spurs" in der Premier League, weitere siebenmal im FA-Cup. In Südafrika erlöste er die englischen Fans in seinem ersten Spiel von Beginn an und sicherte sich seinen Einsatz gegen Deutschland im Sturm neben Rooney. Sein Länderspieldebüt feierte Defoe 2004 gegen Schweden (0:1). Sein Tor am 8. September desselben Jahres beim 2:1-Sieg gegen Polen wurde 2005 in "England's 50 Greatest Goals" gewählt. Und jenes in Port Elizabeth könnte schon bald ebenso historische Bedeutung bekommen.

Bislang standen die Angreifer Rooney und Defoe bei den "Three Lions" erst achtmal gemeinsam in der Startformation. Stets wurde Defoe ausgewechselt, nie traf einer der beiden Stürmer - bis zum Spiel gegen Slowenien. Da wurde Rooney ausgewechselt, Defoe traf.

Sein Tor und die bestandene Nervenprobe im Gruppenfinale gibt den Engländern Zuversicht, bei dieser WM nach dem holprigen Start doch noch etwas erreichen zu können. Und wenn es "nur" ein Sieg gegen das ungeliebte und zugleich gefürchtete Deutschland ist. "Jetzt beginnt für uns die WM. Man bekommt nichts dafür, wenn man in der ersten Runde schön spielt und rausfliegt", tönt Frank Lampard. Beim Sieg gegen die Slowenen zeigte der Champion von 1966 einen deutlichen Aufwärtstrend, von der Höchstform der überzeugenden WM-Qualifikation aber ist das Team weit entfernt. Nationaltrainer Fabio Capello aber wischt alle Zweifel beiseite. "Jetzt sind wir in einem Play-off-Duell, und das können wir", erklärte er.

Englands Stimmungslage kennt wie immer kaum ein Mittelmaß. Ein Sieg und ein vom etwas verständnisvoller auftretenden Capello genehmigtes Bier verstärken die Zuversicht, Ausschläge in den extremen Bereich inklusive. "Die Jungs brummen", sagt Jermain Defoe. Videostudien von Deutschlands 1:0-Sieg gegen Ghana haben die Engländer überzeugt, dass Löws neues Deutschland nicht mehr viel mit dem alten Monster gemeinsam hat, das nach britischer Lesart den besten englischen Mannschaften der letzten 30 Jahre im entscheidenden Moment stets mit gnadenloser Effizienz und teutonischer Nervenstärke den Garaus gemacht hat. "Deutschland funkelt, ist aber schlagbar", schrieb der "Guardian" gestern, das bringt die gängige Meinung im Royal Bafokeng Sports Campus gut auf den Punkt.

Gegen Deutschland werden aller Voraussicht nach die Bezwinger der Slowenen auflaufen, nur Jamie Carragher vom FC Liverpool kommt wahrscheinlich nach seiner Gelbsperre anstelle von Matthew Upson (West Ham) zurück. Formation, Taktik, Joe Cole - die beliebtesten Streitthemen am Anfang der Woche spielen dieses Wochenende keine Rolle mehr. England ist wieder Capellos England. Man hat sich gefunden, glaubt man.

Und Wayne Rooney wusste schon lange, bevor das Duell feststand, was ihm neben dem Weltmeistertitel am wichtigsten ist. "Es würde mir Spaß machen, die Deutschen zu schlagen", hatte er bereits vor dem Gruppenfinale gesagt. So selbstbewusst sich die Superstars aus der Premier League vor dem Showdown auch geben, so sehr wird auf der Insel gezittert - aller optimistischen Gleichungen zum Trotz.