Schon bei fünf großen Turnieren scheiterten die Briten beim Schlussakkord. Laut Studien zerbrechen sie am Erwartungsdruck und der Angst vor dem Versagen

Berlin. Selbstzweifel wohnen den meisten Briten nicht inne. Sie haben ja schließlich einiges vorzuweisen auf der Insel: große Entdecker, fantastische Musiker, ein amüsantes Königshaus und, geben wir es ruhig zu, die beste Fußballliga der Welt. Ein Wörtchen jedoch genügt, um dieses Gebilde aus Selbstbewusstsein und Nationalstolz in seinen Grundfesten zu erschüttern.

Seit Mittwoch hat dieses Wort die Köpfe der britischen Fußballfans in Beschlag genommen wie ein böser Dämon. Was, wenn es am Sonntag im WM-Achtelfinale wieder nicht zu einem Sieg in der regulären Spielzeit und anschließender Verlängerung reicht? Denn dann träte ein, wovor sie sich im Königreich am meisten fürchten. "Hoffentlich kein Elfmeterschießen", brachte Formel-1-Pilot Jenson Button die Gefühlslage seiner Landsleute auf einen einfachen, doch treffenden Nenner.

Es ist keine irrationale Furcht, die die Briten da beschleicht. Ihr liegen harte Fakten zugrunde. Sechsmal musste die Mannschaft der "Three Lions" bei großen Turnieren zu einem Elfmeterschießen antreten. Auf jeder Seite fünfmal Schütze gegen Torwart, wer öfter trifft, gewinnt. England traf fast nie, setzte sich bislang nur einmal durch. Über die Jahre fand jeder dritte Ball nicht den Weg ins Netz. Deutschland schießt seine Bälle hingegen fast immer ins Tor. Die Statistik ist genau umgekehrt. Sie weist bei sechs Versuchen fünf Siege und eine Trefferquote von 92,9 Prozent aus. Nur das erste Duell vom Punkt ging verloren: 1976 bei der EM gegen Tschechien. Sollten Sie jemals Uli Hoeneß zum Abendessen treffen, vermeiden Sie dieses Thema!

Interessant sind die Gründe für die Diskrepanz, die auch im direkten Duell augenscheinlich wurde. Zweimal trafen Deutschland und England im Elfmeterschießen aufeinander, 1990 und 1996. Beide Male gewann die DFB-Elf mit beängstigender Präzision. Alle zehn Schützen trafen ins Tor.

Der norwegische Sportpsychologe Geir Jordet hat die Elfmeterschießen von acht Nationalmannschaften über einen Zeitraum von 30 Jahren untersucht und kam zu einem Ergebnis, das für England auch im Jahr 2010 nichts Gutes verheißt. Je mehr Spieler auf dem Platz stehen, die internationale und persönliche Auszeichnungen errungen haben, desto schlechter schneidet ihre Mannschaft beim Elfmeterschießen ab. Laut Jordet hänge dies mit dem Erwartungsdruck zusammen. Stars haben mehr zu verlieren.

Gerade solche aus England, wie der Psychologe Iain Greenless in einer anderen Studie herausfand. Demnach wird der Druck durch die jahrzehntelange Erfolglosigkeit der Briten und die gnadenlose Berichterstattung in der Regenbogenpresse potenziert. "Englische Spieler, die entscheidende Elfmeter verschießen, werden jahrelang lächerlich gemacht", so Greenless. Gareth Southgate, der 1996 gegen Deutschland vergab, stützt die Theorie eindrucksvoll: "Alles, was die Leute von mir in Erinnerung behalten haben, ist: Der kann keine Elfmeter schießen."

Fabio Capello scheint die Studie nicht zu kennen, oder ihr nicht zu vertrauen. Gestern jedenfalls sickerten schon mal seine Auserwählten für den Fall der Fälle durch. Eine Ansammlung von Stars, unverdächtig, einen Stern auf dem Walk of Fame der Elfmeterschützen ergattern zu können.

Frank Lampard verschoss nicht nur seine bislang letzten beiden Elfmeter, er vergab genau wie Steven Gerrard auch seinen Versuch beim WM-Aus 2006 gegen Portugal. Dritter im Bunde ist James Milner, der im vorigen Sommer seinen Strafstoß im Halbfinale der U-21-EM vergab. Hinzu kommen Defensivmann Gareth Barry und Sturmstar Wayne Rooney, der in seiner Karriere zwei von sechs Elfmetern verschoss. "Vergesst die Geschichte", pfeift Angreifer Jermain Defoe in den Wald, "wir sind sicher, dass wir gegen Deutschland auch ein Elfmeterschießen gewinnen können." Zumindest steigen die Chancen, wenn Defoe im Mittelkreis bleibt. Von den vergangenen elf Strafstößen, die er für Tottenham Hotspur ausführte, waren sechs nicht im Tor (detaillierte Schuss-Statistik rechts.)

Wahrscheinlich gehört Defoe zu den Flüchtenden, die Sportpsychologe Jordet in seiner Untersuchung ausgemacht hat. Der Norweger maß die Zeit zwischen Pfiff des Schiedsrichters und Anlaufbeginn des Spielers. Englische Schützen hatten es demnach am eiligsten und ließen durchschnittlich nur 0,28 Sekunden verstreichen. Laut Jordet geschehe dies aus Angst. Die Spieler wollten die Aufgabe bloß schnell hinter sich bringen.

Die Deutschen gingen ihre Elfmeter gelassener an, erst 0,64 Sekunden nach dem Pfiff. Auch schauten sie dem Torwart in zwei Drittel der Fälle direkt in die Augen, bei den Engländern tat dies nur jeder zweite Schütze. Diese Demonstration des Selbstvertrauens jedoch, belegen Untersuchungen, verunsichere den Schlussmann.

Die Engländer setzten gestern noch schnell ihre eigenen Zahlen entgegen. "Germany wurst at penalties", dichtete die "Sun" und rechnete vor, dass die englischen Spieler besser vom Punkt seien. Demnach haben die Profis aus dem deutschen Kader eine 79-prozentige Erfolgsrate bei Elfmetern, die Engländer hingegen kämen auf 80 Prozent. Die Statistik zeige zudem, dass Englands Torwart David James besser Strafstöße pariert als sein Gegenüber. James habe 37,9 Prozent Elfmeter gehalten, Manuel Neuer 36,4 Prozent.

Buchmacher sind damit nicht zu beeindrucken. Käme es zum Elfmeterschießen, sehen die großen Wettbüros Deutschland vorn. Natürlich.