Vor einem Jahr begann in Deutschland die Frauen-WM - der Kampf um Fans geht weiter

Hamburg. Alles war angerichtet für ein zweites Sommermärchen nach der Party-WM 2006, als die junge, neu formierte Nationalmannschaft der Männer, angeführt vom damaligen Bundestrainer Jürgen Klinsmann und Co-Trainer Joachim Löw, nur knapp im Halbfinale am späteren Weltmeister Italien scheiterte und Platz drei erreichte. Millionen Menschen feierten damals auf den Straßen. Und fünf Jahre später sollten die Frauen als Gastgeber der WM 2011 die Initialzündung für neue Feste liefern, so der Plan.

Der Start war brillant: Als das Team von Silvia Neid vor genau einem Jahr sein Eröffnungsspiel gegen Kanada (2:1) bestritt, schalteten 15 Millionen Menschen ihr TV-Gerät ein, was einem Marktanteil von 60 Prozent entsprach. Alle 32 Partien wurden im Fernsehen übertragen. Der Frauenfußball schien auf einer neuen Stufe angekommen. Das für Deutschland unschöne Ende der Geschichte ist bekannt: Bereits im Viertelfinale verlor die DFB-Auswahl gegen den späteren Weltmeister Japan mit 0:1 nach Verlängerung.

Ein Jahr nach dem WM-Turnier brachte eine Umfrage Erstaunliches zutage. Im Hinblick auf die Europameisterschaft in Polen und der Ukraine fragte das Meinungsforschungsinstitut Emnid im Auftrag des Magazins "Reader's Digest" vor wenigen Wochen, wer Nachfolger von Bundestrainer Joachim Löw werden solle, falls dieser aus dem Amt scheidet. Dass Meistermacher Jürgen Klopp von Borussia Dortmund in der Beliebtheitsskala ganz oben weilt und 39 Prozent der Stimmen auf sich vereinen konnte, schien logisch. Überraschend war hingegen, dass Silvia Neid mit acht Prozent der Stimmen Platz vier in der Liste der potenziellen Löw-Nachfolger einnahm und damit sogar den Rekordnationalspieler Lothar Matthäus (sechs Prozent) übertrumpfte.

Dass die Nationaltrainerin offenbar nicht in Vergessenheit geraten ist, darf als Erfolg gewertet werden. Auch angesichts dessen, dass der Hype um das Turnier im eigenen Land nicht allzu lange anhielt. Bei Auftritten der Frauen-Nationalmannschaft sind die Zuschauerzahlen längst wieder auf Normalmaß gestutzt worden. Beim Test gegen Schweden im Millerntor-Stadion (1:0, Oktober 2011) kamen 12 183 Fans, für das EM-Qualifikationsspiel gegen Rumänien im Mai in Bielefeld gegen Rumänien (5:0) interessierten sich nur 8183 Menschen.

Beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) ist man dennoch zufrieden mit der Entwicklung des Frauenfußballs. Zumal die Zuschauerzahlen in der Bundesliga seit der WM "erfreulich zugenommen haben", wie DFB-Vizepräsidentin Hannelore Ratzeburg betont.

Durchschnittlich 1120 Zuschauer besuchten die Partien in der vergangenen Saison, so viele wie nie zuvor. Betrachtet man die Statistik genauer, ist das Wachstum von rund 34,4 Prozent jedoch insbesondere den Topspielen der Spitzenteams Turbine Potsdam,1. FFC Frankfurt, FCR Duisburg sowie VfL Wolfsburg zu verdanken. Angesichts dessen sehen auch die DFB-Verantwortlichen "noch Entwicklungsmöglichkeiten" für den Frauenfußball. "Das Drumherum abseits des Spielgeschehens kann noch attraktiver gestaltet werden", sagt Ratzeburg. Viele Fans gingen schließlich nicht nur wegen der Spiele, sondern auch wegen des Rahmenprogramms ins Stadion.

Für die TV-Zuschauer spielt Letzteres keine Rolle. Hier zählt allein das Interesse am Sport. Und das ist laut einer Erhebung des Forschungs- und Beratungsunternehmens "Sport + Markt" unter das Niveau gesunken, auf dem es vor der WM lag.

Waren es im April 2011 rund 28 Prozent der Befragten, die sich für Frauenfußball interessierten, so sank diese Zahl im März dieses Jahres auf 24 Prozent. Möglicherweise ein Grund dafür, warum die öffentlich-rechtlichen TV-Sender bei der Übertragung von Frauenspielen weiterhin auf das Nachmittags- oder Vorabendprogramm setzen und die Ausstrahlung des Algarve-Cups im März 2012 gänzlich ablehnten.

Eurosport erwarb die Rechte, verzichtete jedoch auf die Übertragung des sportlich brisanten Finales zwischen Deutschland und Weltmeister Japan, da man bei der Programmplanung in Paris von "einer falschen Anstoßzeit" ausgegangen war und dem anschließend eingeplanten Biathlon-Rennen den Vorzug gab. Ein Vorgang, der sicherlich auch potenziellen Sponsoren nicht verborgen geblieben ist.

Wie schwierig die Finanzierung einer Frauenmannschaft sein kann, hat jüngst der Hamburger SV leidvoll erfahren. Wie das Abendblatt berichtete, musste der Traditionsklub sein Frauenteam aufgrund von Sparmaßnahmen aus der Bundesliga abmelden, die kommende Saison in der Regionalliga an den Start geht. 100 000 Euro fehlten am Ende, um den Gesamtetat von 750 000 Euro zu decken und die Mannschaft im Wettbewerb zu halten. Externe Sponsoren habe man nicht gefunden, teilte der Verein mit. Für Hannelore Ratzeburg war die Entscheidung auch "ein Beweis dafür, dass Frauenfußball im Vorstand und im Aufsichtsrat des HSV offenbar keine Lobby hat". Ein wenig erfreuliches Signal an die Branche, die auch bei der Präsenz im Zeitschriftenhandel einen Rückschlag hinnehmen musste. Das im Verlag Meyer & Meyer, Aachen, erschienene "Frauenfußball-Magazin" wurde aus wirtschaftlichen Gründen eingestellt. Die letzte Ausgabe erschien im April 2012.

Der DFB zieht dennoch eine positive Bilanz und verweist nachdrücklich auf die in der Mitgliederstatistik 2012 aufgeführten Zahlen für den Frauen- und Mädchenfußball. Demnach stieg die Anzahl bei den Frauen um zwei Prozent auf 734 903, die der Mädchen bis 16 Jahre um etwas mehr als ein Prozent auf 342 412. Einzig die Anzahl derMädchenmannschaften sank von 7934 auf 7622, was einem Minus von immerhin vier Prozent entspricht.

Der Wert lässt Ratzeburg und ihre Mitstreiter beim DFB allerdings nicht verzweifeln. Wer im Hinblick auf die WM mit einem exorbitanten Zulauf gerechnet habe, der habe "keine Ahnung von der Entwicklung im Frauenfußball", betont Ratzeburg. Zuwachsraten habe es auch vor der WM im eigenen Land gegeben, und inzwischen sei man an einem Punkt, an dem auch der demografische Wandel Einfluss auf die Mitgliederzahlen nehme.

"Es werden immer weniger Kinder geboren. Und längst nicht alle begeistern sich für Fußball", sagt Ratzeburg, die dafür wirbt, Mädchenfußball vor allem auch in Ganztagsschulen zu etablieren und auf diese Weise neue Spielerinnen zu gewinnen. Ob die Initiative des DFB erfolgreich ist, wird sich in den nächsten Wochen zeigen. Dann melden die Vereine - auch im Bereich des Mädchen- und Frauenfußballs - ihre Mannschaften für die Saison 2012/13. "An den Zahlen werden wir ablesen können, wie der Trend verläuft", weiß Ratzeburg.