Die bisherige Bilanz spricht gegen das Team von del Bosque

Donezk. An die Franzosen haben die Spanier schlechte Erinnerungen. Noch nie konnte die "selección" die "Équipe Tricolore" bei einem Turnier schlagen. Im Viertelfinale der Fußball-EM soll diese schwarze Serie enden. "Ich hoffe, dass diese Pechsträhne dann vorbei ist", sagte Trainer Vicente del Bosque vor dem siebten offiziellen Vergleich mit dem Angstgegner an diesem Sonnabend in Donezk (20.45 Uhr, ARD). "Im letzten Freundschaftsspiel in Paris haben wir sie 2:0 besiegt."

Die bisherige Bilanz in Pflichtspielen sieht für Spanien mit einem Unentschieden und fünf Niederlagen bitter aus. Das einzige Remis (1:1) in der EM-Gruppenpartie 1996 ist nicht viel mehr als statistische Kosmetik.

Da ist es nur ein schwacher Trost, dass die Spanier in der Gesamtbilanz einschließlich Testspielen 13:6:11 vorne liegen. "Statistiken sind dafür da, dass man sie bricht", erklärte Keeper und Kapitän Iker Casillas kampflustig. Mittelfeld-Star Andrés Iniesta sagte im Spaß: "Hoffentlich können sie ihr Kasperletheater mit uns nicht fortsetzen."

Für ein Ende des "Kasperletheaters" spricht zumindest das aktuelle Kräfteverhältnis. Die "Roten" ("La Roja") haben die "Blauen" ("Les Bleus") in der Hierarchie und spielerischen Klasse längst überflügelt. Spanien strebt als Europa- und Weltmeister das Titel-Tripel an. Die Nummer eins der Fußball-Weltrangliste gilt trotz ihrer stark schwankenden Leistungen in der Gruppenphase als heißer EM-Kandidat. "Wir haben es verdient, Favorit zu sein", sagte Iniesta dazu ebenso lässig wie selbstbewusst, "wir haben keine Angst vor Frankreich, aber wir respektieren sie wegen ihres extrem hohen Niveaus."

Trainer del Bosque bescheinigte dem Team von Laurent Blanc ebenfalls "höchste Qualität". Casillas warnte davor, die Franzosen wegen ihrer jüngsten 0:2-Pleite gegen die zuvor punktlosen Schweden zu unterschätzen: "Soll bloß keiner glauben, das werde ein Spaziergang, und wir schießen die einfach ab. Wir werden leiden."

Eine ähnlich durchwachsene Leistung wie beim mühevollen 1:0 im Gruppenfinale gegen Kroatien dürfte gegen die Franzosen jedenfalls nicht reichen. "Wir müssen uns steigern", forderte del Bosque vor der Dienstreise in die Ukraine entschieden.

Vor allem vor Karim Benzema haben die Spanier einen Heidenrespekt. Der bislang noch torlose Mittelstürmer der Franzosen trifft in der Donbass-Arena gleich auf vier Madrider Teamkollegen. "Ich habe das Glück, mit ihm die Kabine teilen zu dürfen", sagte Real-Kapitän Casillas. "Jetzt will das Schicksal, dass wir gegeneinander spielen. Er ist ein Riesenspieler, aber ich hoffe, dass es bei ihm an diesem Tag nicht gut läuft." Del Bosque schwärmte über den bulligen Neuner: "Buenísimo." Aber auch Bayern-Star Franck Ribéry und Samir Nasri vom englischen Meister Manchester City stehen bei den Spaniern hoch im Kurs.

Beim nicht öffentlichen Training feilte del Bosque vor allem im Angriff an der Taktik, da ihm nach David Villas Ausfall ein Stürmer dieser Qualität - oder der von Benzema - schlichtweg fehlt. Chelsea-Angreifer Fernando Torres gilt in dem von del Bosque bevorzugten 4-2-3-1-System als klassischer Center gesetzt. Dem offensiven Mittelfeldmann Cesc Fàbregas droht als falschem "Neuner" erneut die Bank.

An die öffentliche Systemdebatte in der Heimat hat sich der Trainer-Routinier längst gewöhnt. Die zunehmende Medienkritik an den Leistungen seines Teams nervt ihn da schon wesentlich mehr. "Wir wissen nicht zu schätzen, was wir haben. Wir leben in einer Epoche der Extreme", sagte del Bosque, "wir sind die einzige Mannschaft, die nicht umarmt wird, obwohl sie im Viertelfinale steht."