Hamburg. Seit langer Zeit setzt sich Julia Probst dafür ein, dass Filme, politische Sendungen, Kindernachrichten, möglichst alles, was im Fernsehen zu sehen ist, untertitelt werden. Kleine Erfolge durfte sie bereits feiern, die größte Aufmerksamkeit bekommt sie aber nun während der Fußball-EM. Probst ist seit ihrer Kindheit gehörlos, kommuniziert in Gebärdensprache und kann Lippenlesen. Ihre Fähigkeit nutzt sie, um über ihren Twitter-Account (@Augenschmaus) die Äußerungen von Bundestrainer Joachim Löw, die dieser während des Spiels am Spielfeldrand tätigt, für ihre "Follower" zu übersetzen. Denn was den Zuschauern an den Fernsehgeräten zumeist verborgen bleibt, da keine Mikrofone in der Nähe der Trainerbank eingesetzt werden, kann die Lippenleserin verstehen. Voraussetzung: Eine Kamera liefert die passenden Bilder.

"Mensch, Thomas! So was zu verschenken", twitterte sie beispielsweise während des Spiels gegen Dänemark, nachdem sich der Bundestrainer über einen Fehlpass von Thomas Müller aufgeregt hatte. Auch ein "Scheiße, Mensch", rutscht Löw schon mal heraus. "Es sind mir schon einige Flüche über die Lippen gekommen", sagte Löw gestern auf die ungewöhnliche Überwachung angesprochen. "Da werde ich mich wohl in Zukunft etwas hüten müssen."

In anderen Ländern sind Lippenleser bereits viel aktiver als in Deutschland. Beim American Football beispielsweise geben Trainer und Spieler ihre Kommandos nur hinter vorgehaltener Hand, um "Spionage" zu verhindern.

Probst ist großer Fan der deutschen Nationalmannschaft und twitterte bereits bei der WM 2010 in Südafrika. Sie könne nicht alles erkennen, gibt sie zu, Schreien und Dialekte würden das Mundbild verzerren. Von Löws Lippen abzulesen sei trotz allem immer wieder ganz gut möglich.

Seit gestern weiß Löw, dass er observiert wird - und nimmt in Zukunft vielleicht auch die Hand zu Hilfe, wenn ihm nach Fluchen ist. Ausbrüche der Freude wären Probst und ihren Followern sicher genauso lieb.