Wettskandal, Steuerschulden, Hooligans, Zuschauermangel: Den griechischen Fußball plagen viele Probleme. Jetzt aber zählt nur Deutschland.

Legionowo. Drei, vier Fragen lang hat sich Michael Tsapidis das Schauspiel gefallen lassen. Dann ist dem Pressesprecher der griechischen Nationalmannschaft der Kragen geplatzt. Sie seien hier, um über Fußball zu sprechen, sagte er in einer Brandrede, die Trapattoni-hafte Züge trug. Zum anstehenden Viertelfinale gegen Deutschland sei jede Frage erlaubt, zur politischen Situation in Griechenland keine mehr, zischte Tsapidis derart vehement in sein Mikrofon, dass sich die beiden Spieler Giorgos Samaras und Kyriakos Papadopoulos an seiner Seite verwunderte Blicke zuwarfen.

Sie können die Diskussion um Finanzkrise nicht mehr hören, das war die eindeutige Botschaft in Legionowo im Norden Warschaus. In der Tat wird keiner der 22 Männer auf dem Rasen des Danziger Stadions am Freitag ein Machtwort über die Zukunft Griechenlands in der Euro-Zone sprechen können, auch nicht Joachim Löw oder Wolfgang Niersbach. Aber, und das wird Herr Tsapidis in einer ruhigen Minute einsehen: Die Krise trifft auch den griechischen Fußball, sogar in Polen.

Grigoris Makos und Nikos Liberopoulos zum Beispiel verfolgt sie bis ins knapp 2500 Kilometer von der Heimat entfernte Warschau, daran kann auch das herrliche Sommerwetter in der polnischen Hauptstadt nichts ändern. Das Duo steht bei AEK Athen unter Vertrag. Der Verein mit neun Meisterpokalen in der Vitrine gilt als größter Chaosklub in Griechenland.

Aller Tradition zum Trotz entzog der griechische Verband den Athenern vor Turnierbeginn die Startberechtigung für die Europa League. Die hatte AEK als Ligafünfter zwar sportlich erreicht, finanziell war der Verein jedoch alles andere als Europa-reif - und für viele steht er damit sinnbildlich für das ganze Land. "Das ist ein schwarzer Tag in der Vereinsgeschichte von AEK", klagte Präsident Andreas Dimitrelos: "Wir haben 35 Millionen Euro Schulden. Aber für 23 davon trägt der Staat die Verantwortung."

Seit 2004 spielt AEK im riesigen Olympiastadion vor einer Miniaturkulisse. Der Klub beantragte deswegen schon vor einigen Jahren die Insolvenz, nimmt aber weiterhin am Spielbetrieb teil. Die Steuerschulden des Gesamtvereins sollen sogar mehr als 100 Millionen Euro betragen. Doch die Finanzbehörden sind mit dem Eintreiben der landesweit insgesamt 30 Milliarden Euro ausstehenden Steuergelder hoffnungslos überfordert.

Neben AEK wurden fünf weitere Vereine von der Uefa wegen ihrer maroden Finanzen verwarnt. Zudem wurden sie mit Transfersperren belegt: Außer griechischen Talenten dürfen sie für die kommende Saison keine neuen Spieler verpflichten. Auch Aris Saloniki, der Arbeitgeber von Nationaltorhüter Michalis Sifakis, ist davon betroffen.

Die Klubs, die davonkamen, haben längst andere Geldquellen angezapft. Panathinaikos Athen etwa verhandelt mit arabischen Investoren, Lokalrivale AEK soll in Gesprächen mit Geldgebern aus Italien und Russland sein. Weil der Staat aus Kostengründen die Zahlungen an den Verband reduzieren musste, kann der auch weniger Geld an die Klubs weiterleiten. Im Amateurbereich konnten viele Mannschaften nicht mehr zu Auswärtsspielen reisen, in der Zweiten und Dritten Liga fielen ganze Spieltage aus, weil die Protagonisten wegen ausstehender Gehälter streikten.

Auch auf den Rängen machen sich die leeren Geldbeutel bemerkbar. Der Zuschauerschnitt stürzte in der abgelaufenen Saison in den Keller. Wer um seinen Job fürchtet, überlegt sich zweimal, seine Ersparnisse zum Lieblingsklub zu tragen. Diejenigen, die kamen, sorgten nicht selten für Krawalle. Das prestigeträchtige Duell zwischen Olympiakos Piräus und Panathinaikos Athen wurde abgebrochen, weil Hooligans Molotowcocktails auf die ausnahmsweise mal voll besetzten Haupttribünen geworfen hatten. Auch auf dem Spielfeld brannte es, nachdem zahllose Raketen und bengalische Feuer eine Werbebande entflammt hatten. Zwei Wochen später wurde auch die Partie zwischen Saloniki und Tripoli vorzeitig abgepfiffen, weil der Linienrichter eine halb volle Plastikflasche an den Kopf geworfen bekommen hatte und nicht weitermachen konnte. Durch die dünner werdenden Geldströme von Verband und Zuschauern waren die Klubs zum Sparen gezwungen - offenbar haben sie bei den Sicherheitsdiensten in ihren Stadien begonnen. "Wir spielen hier für alle Griechen. Die Leute warten schon lange auf einen Grund zu lächeln", sagte daher Nationalstürmer Samaras, "und den wollen wir ihnen geben."

Der 27-Jährige spielt bei Celtic Glasgow. Er ist damit einer von sieben Auslandsprofis. Ihre Zahl wächst. Das liegt nicht nur am überraschenden Abschneiden, sondern auch an der Geldnot zu Hause. Serienmeister Olympiakos konnte sich in der Champions League zwar gegen Dortmund durchsetzen. Vor der Saison aber mussten teure Altstars wie Torwart Antonios Nikopolidis oder der Däne Dennis Rommedahl gehen. Ihre Gehälter waren nicht mehr kompatibel mit dem Kontostand.

In der Europa League ersetzt übrigens Asteras Tripolis die gesperrten Bankrotteure von AEK Athen. Dabei drohte dem Team von der Halbinsel Peloponnes lange Zeit der Lizenzentzug. Bis zur Mitte der Saison, die wegen der Nachwirkungen eines gigantischen Wettskandals kurz vor der Absage stand und dann deutlich verspätet begann, rangen die Anwälte von Asteras mit dem Vorwurf, sich den Klassenerhalt in der Vorsaison mit Schmiergeld erkauft zu haben. Nach monatelangem Hin und Her wurde die Anklage fallen gelassen. So bereist das Team als Botschafter Griechenlands Fußball-Europa.