Depression hat Englands Fußball-Seele ergriffen. Gegen Slowenien steht auch der Führungsstil des italienischen Trainers auf dem Prüfstand

London. Fabio Capello, Trainer der englischen Nationalmannschaft, hätte sich bei Lord Nelson Rat holen sollen. Der berühmte Admiral unterwies am Abend vor der Schlacht von Trafalgar 1805 seine Kapitäne unter anderem in der folgenden Devise: "Etwas muss dem unberechenbaren Augenblick überlassen bleiben, nichts ist sicher in einer Seeschlacht." Was dagegen gab Signor Capello einem britischen Reporter zur Antwort, als der ihn zur Vorbereitung für das heutige Spiel gegen Slowenien befragte? "Jeden Morgen schaue ich in den Spiegel und frage mich, ob ich hart gearbeitet habe und ob ich alles studiert habe. Ja, habe ich."

Das Nebeneinander der beiden Zitate, im kleinen Abstand von 200 Jahren, erhellt eines der Grundprobleme, mit denen Englands Fußballmillionäre in Südafrika zu kämpfen haben: Eine überstrikte Führung des italienischen Trainers legt sie dermaßen straff an die Leine, dass ihre Füße wie gelähmt wirken, der Hunger nach Erfolg verdrängt von der Angst vor der Niederlage, "der unberechenbare Augenblick" geopfert einer roboterhaften Formatierung, der jegliches Flair abhandengekommen ist.

Dass nichts sicher sein kann, gilt erst recht für den Ausgang eines Spiels auf dem Rasen. Mit dieser Unwägbarkeit werden nur Teams fertig, die sich über die nötige Vorbereitung hinaus ein Stück Flexibilität bewahrt haben. Und gehört Flexibilität nicht zu jenen Tugenden, die wir am englischen Nationalcharakter gern rühmen?

Doch die scheint Fabio Capello den Spielern ausgetrieben zu haben. Jedenfalls mehren sich Stimmen wie die von Phil McNulty, dem Chef der BBC-Fußballkorrespondenten, die sich beim Stil des Italieners mehr an ein Bootcamp erinnert fühlen, ein Armeeausbildungslager, als an eine intelligente Gruppenführung im Hochleistungssport.

Das fiel in den zweieinhalb Jahren der Capello-Ära nicht sonderlich auf, weil der Trainer England einen reibungslosen Weg zur WM-Endrunde ebnete. Aber jetzt, da der Nationalkader der 23 Spieler der Klaustrophobie ausgesetzt ist, wirkt Capellos Rigidität auf viele nur noch kontraproduktiv.

Wayne Rooney, bislang eine der großen englischen Enttäuschungen, ließ vor einer Woche ungeschützt seiner Frustration freien Lauf. "Frühstück, Training, Mittagessen, Zimmer, Dinner, Bett." Gewiss, da sind Ablenkungen wie Darts, Billard, Tischtennis. Rooney: "Es gibt nur so viele Male, wie man das spielen kann ..." Nach dem Rummel um die englischen Spieler und ihre Frauen vor vier Jahren in Baden-Baden nun das genaue Gegenteil: mönchisches Leben und taktischer Drill, Drill, Drill.

Interne Spannungen will Rooneys Heimtrainer in Manchester, Sir Alex Ferguson, nach einem Telefonat mit seinem Schützling ausgemacht haben. Auch John Terry machte am Sonntagabend seinem Herzen Luft, als er in einem vom Verband sanktionierten Gespräch mit der Presse die "Langeweile" und Differenzen mit dem Trainer erwähnte. Dann schoss er ein Eigentor: "Joe Cole muss unbedingt in die Mannschaft kommen. Er und Rooney sind die Einzigen, die das gegnerische Tor zu knacken wissen."

Das war ein Eingriff in das Privileg Capellos. "Ein großer Fehler", rügte er seinen Abwehrchef am Abend danach, mit so einer Bemerkung an die Medien zu gehen. Der Gescholtene hat sich mittlerweile entschuldigt. Eine Entgleisung eines Einzelnen nannte Capello Terrys Geplauder. "Es gibt keine Revolution." Terrys Teamkollegen duckten sich unter Capellos Verweis. Der Aufstand wurde vertagt.

Es ist an der Zeit, sich mit der Möglichkeit vertraut zu machen, dass England die Vorrunde nicht übersteht und nach einem Unentscheiden heute gegen Slowenien, erst recht bei einer Niederlage, die Koffer packen darf. Slowenien! Die Engländer sind entsetzt. Galt ihre Gruppe C nicht als die leichteste dieser WM? Die USA, Algerien, Slowenien - das sollte kein Problem sein, dachten Spieler und Fans. Nach zwei mageren Unentschieden hat die Zahl der Autos, die mit wehendem St.-Georgs-Kreuz, der englischen Fahne, herumzotteln, merklich abgenommen. Depression hat Englands Fußballseele ergriffen.

Capello ist nicht die einzige Zielscheibe der Kritik. Die englische Fußballkultur selbst steht auf dem Prüfstand. Eine Kluft hat sich aufgetan zwischen den Vereinen und dem Nationalteam. Alles dreht sich um die Premier League und die internationalen Wettbewerbe. In den Klubs wimmelt es von teuer eingekauften Ausländerstars - wo bleibt da Platz für den heimischen Nachwuchs? Die Spieler sind nach ihrer langen Saison - wegen Ligapokal und FA-Cup - gerade dann erschöpft, wenn es auf das Länderteam ankäme. "Löwen im Winter, Lämmer im Sommer", so hat Michel Platini, der Präsident des europäischen Verbandes Uefa, die Engländer genannt.

Alles freilich wäre verziehen und vergessen, wenn England heute gewinnt. Wenn nicht, dürfte das Capello-Experiment mit einer Millionenabfindung beendet werden. Und dann müsste der englische Fußball in Klausur.

Slowenien: S. Handanovic - Brecko, Mavric, Cesar, Jokic - Birsa, Radoslavljevic, Koren, Kirm - Novakovic, Ljubijankic.

England: James - Johnson, Upson, Terry, Ashley Cole - Barry - Lennon, Lampard, Gerrard - Rooney, Defoe (Joe Cole).

Schiedsrichter: Stark (Ergolding).