Port Elizabeth/Berlin. Allein die Geschichte lehrt, dass sich Stürmer nicht immer mit übermäßigem Einsatz an der Abwehrarbeit beteiligen sollten. Uli Hoeneß beispielsweise beharkte im WM-Finale 1974 Johan Cruyff derart lang und ausdauernd, dass dieser schließlich im Strafraum dankbar fiel und Schiedsrichter Jack Taylor auf Elfmeter für die Niederländer entschied. Nun, die Sache nahm damals noch einen guten Verlauf, Paul Breitner und Gerd Müller sorgten nach Johan Neeskens' Führung durch ihre Tore für das 2:1 und den WM-Titel im eigenen Land.

Am gestrigen Freitag allerdings führte die stürmende Defensivarbeit rund 9300 Kilometer vom damaligen Endspielort München entfernt geradewegs ins Debakel. Miroslav Kloses völlig unnötiges Foul an Serbiens Kapitän Dejan Stankovic auf Höhe der Mittellinie war nicht nur fahrlässig, sondern stürzte eine ohnehin verunsicherte deutsche Mannschaft in Port Elizabeth zunehmend ins Chaos. Nur eine Minute nach dem Gelb-Rot für den vermeintlich im Aufschwung befindlichen Münchner gelang Milan Jovanovic das 1:0. Eine zu hohe Bürde für die Deutschen, die in Unterzahl nicht mehr viel entgegenzusetzen hatten und selbst einen Handelfmeter nicht im Tor unterzubringen vermochten.

Dabei war Kloses Vergehen möglicherweise auch nur unnötig erhöhtem Druck geschuldet. Bundestrainer Joachim Löw hatte nach dem 4:0 zum Auftakt gegen Australien und einem Treffer von Klose unter der Woche unverhohlen mit einem personellen Wechsel auf einer Position geliebäugelt. "Ich denke über eine Änderung nach", sagte er und ließ Raum für Spekulationen. Sollte der emsige Stuttgarter Cacau auflaufen für Klose? Legte sich der vor Beginn der Weltmeisterschaft umstrittene Angreifer - nachdem er sich gestern erneut in der Stammelf wiedergefunden hatte - gerade deshalb so ins Zeug, weil er um seinen Status fürchtete?

Klose war nach dem Platzverweis in der 37. Minute "todtraurig"

Festzuhalten bleibt, dass der 32 Jahre alte Stürmer gestern gleich mehrmals negativ auffiel und trotz seines 98. Länderspiels die nötige Routine im Ungang mit kleinlich pfeifenden Schiedsrichtern vermissen ließ. Schon in der 13. Spielminute erhielt er die erste Gelbe Karte, als er den Dortmunder Neven Subotic leicht attackierte. Danach hätte schon vorzeitig der Platzverweis folgen können, als Klose aus Abseitsposition den Ball leicht genervt ins Tor schoss (31.). Schiedsrichter Alberto Undiano (Spanien) zeigte sich aber zunächst noch weitsichtig - bis zur 37. Minute und Kloses folgenschwerem Einsteigen gegen Stankovic. "Ich bin todtraurig", sagte der Übeltäter nach der Partie. "Ich versuche immer, den Ball zu spielen, da muss er nicht gleich die zweite Gelbe ziehen. Ich meine, das ist immer noch Fußball. Das ist ein Kampfsport."

Der Angreifer von Bayern München muss nun im Gruppen-Endspiel gegen Ghana definitiv zuschauen. Und sollte Cacau oder Mario Gomez als Klose-Vertreter glänzen, könnte dem sensiblen Stürmer sogar das vorzeitige WM-Aus drohen - zumindest in der Startelf. Es scheint fast so, als ob die deutschen Nationalspieler von einer Art "99er-Fluch" belegt sind. So riss sich Michael Ballack vor seinem 99. Einsatz das Syndesmoseband, und auch Kloses 99. Einsatz im DFB-Trikot rückt nach seinem bitteren Platzverweis in weite Ferne.

Verwirrter Löw verwechselt Serbien, Bosnien und Kroatien

Immerhin erhielt Klose breite Unterstützung von Trainer und Teamkollegen, die den Feldverweis für viel zu hart erachteten. "Es waren keine Bösartigkeiten im Spiel, dafür sind mir sieben Gelbe Karten und einmal Gelb-Rot zu viel", rechnete Löw vor, der durch den Platzverweis geografisch allerdings etwas ins Schwimmen geriet. "Man muss sagen, dass man in der Platzhälfte von Bosnien nicht so reingehen muss", kommentierte der Bundestrainer Kloses ungeschicktes Zweikampfverhalten gegen Serbien - und ergänzte später: "Ich hatte das Gefühl, dass die Kroaten auch noch ein paar Möglichkeiten hatten."

Bastian Schweinsteiger hingegen stellte der Gilde der Pfeifenmänner bei der WM generell ein schlechtes Zeugnis aus: "In jedem WM-Spiel gibt es hier Rote Karten - das ist nicht gut für den Fußball. 'Miro' geht zweimal zum Ball, und der Schiedsrichter gibt jedes Mal sofort Gelb. Für mich ist das lächerlich." Und Lukas Podolski, der sich in der 60. Minute den Fehlschuss vom Elfmeterpunkt geleistet hatte, sagte: "Wir sollten nach einem verlorenen Spiel nicht alles auf den Schiedsrichter schieben. Ich denke aber, Gelb-Rot für 'Miro' war ein bisschen überzogen."

Selbst Franz Beckenbauer verlor angesichts der seltsam locker sitzenden Karten von Señor Undiano, der bis dato fünf Champions-League-Partien geleitet und dabei 22 Gelbe Karten gezeigt hatte, die Contenance. "Wenn solche Platzverweise Schule machen, dann können wir mit dem Fußball aufhören", sagte der "Kaiser". "Allerdings ist der Schiri für sein kleinliches Pfeifen bekannt. Das muss man wissen, und dann darf man da nicht so hingehen."