Otto Rehhagel hat als Nationaltrainer der Griechen ausgespielt, daran würde wohl auch das Erreichen des Achtelfinals nichts mehr ändern

Berlin. Immerhin im Reich der Fußballanekdoten hat Otto Rehhagel noch einen Spitzenplatz inne. Zu oft schon sind ihm bei seinen oberlehrerhaften Auslassungen - salopp gesagt - die Gäule durchgegangen, als dass er noch verdrängt werden könnte aus dem inoffiziellen Ranking der schönsten Erklärungsmuster. "Alles, was Sie im Kopf haben, weiß ich, bevor Sie es ausgesprochen haben. Ich bin zu lange dabei", sagte Rehhagel etwa vor zwei Jahren, als er das frühe Aus seiner Griechen bei der EM schönzureden versuchte.

Die überbordende Selbstgefälligkeit zählte schon damals zu den Insignien des Fußballlehrers und war so weit gegangen, dass sich der gelernte Anstreicher in seiner Zeit als Trainer beim FC Bayern einst den Namen "Rubens" auf das Klingelschild seiner Schwabinger Villa schreiben ließ und während einer Pressekonferenz nur noch Fachfragen erbat. Als dann ein Journalist von Rehhagel wissen wollte, welche Zimmerfarbe der Trainer ihm empfehlen könne, blieb die Replik allerdings aus.

Derlei Sprachlosigkeit ist selten, und gespannt wartet nun die Fußballwelt darauf, was der mit 71 Jahren älteste Trainer bei einer Weltmeisterschaft heute zum Besten geben könnte, wenn er wieder in Erklärungsnot geraten sollte. Den von Rehhagel betreuten Griechen droht im zweiten Gruppenspiel gegen Nigeria (16 Uhr/ZDF) das vorzeitige Aus, womit sich auch das seit 2001 währende Gastspiel des gebürtigen Esseners dem Ende zuneigen könnte.

Selbst dem vermeintlich größten Narziss unter den Trainern dämmert inzwischen, dass der unheilvolle Schluss unmittelbar bevorsteht. "Ich möchte erhobenen Hauptes gehen. Wir haben schöne Momente erlebt. Es kann sein, dass wir in einigen Tagen nicht mehr zusammen sind", soll er seinen Spielern bereits mitgeteilt haben. Auch der Verband ist offenbar eingeweiht und hat in dem 55 Jahre alten Portugiesen Fernando Santos wohl schon den geeigneten Nachfolger ausgemacht.

Längst schon hat sich der Erfinder der kontrollierten Offensive überholt, weil er zu lange festgehalten hat an jenem System, das ihn vor sechs Jahren zum Idol aufstiegen ließ. Mit einer sattelfesten Defensive und Offensivaktionen nach dem Prinzip Zufall war Rehhagel durch drei 1:0-Siege in der K.o.-Runde mit den Griechen sensationell zum Europameistertitel vorgeprescht und hatte sich den Spitznamen "Rehhakles" erworben. Doch inzwischen klingt die schmucke Bezeichnung weit mehr nach einer Karikatur denn nach dem umjubelten Ehrenbürger von Athen.

Rehhagel, mit elf Titeln dekoriert und nicht zuletzt deshalb seltsam beratungsresistent, hat es zuletzt nicht mehr verstanden, modernen Tendenzen im Fußball aufgeschlossen gegenüberzustehen. Sein Standardausspruch "Modern ist, wer gewinnt" hat ja auch lange genug Erfolg gezeitigt, doch gerade in den Tagen nach dem 0:2 gegen Südkorea sind die personellen Fehlentscheidungen allzu deutlich zutage getreten. In einer Art Nibelungen-Treue hält er zum seit Jahren darbenden Angreifer Angelos Charisteas, der 2004 das 1:0 im EM-Finale gegen Portugal erzielt hatte, zuletzt aber jegliche Torgefahr vermissen ließ. Statt seiner muss sich Offensivtalent Sotirios Ninis, 20, Marktwert 7,5 Millionen Euro, allzu oft in Geduld üben. Auch zum WM-Auftakt saß der gebürtige Albaner nur auf der Bank. Zudem hatte Rehhagel gegen die wuseligen Südkoreaner den steifen Mittelfeldspieler Konstantinos Katsouranis weit zurück in die Innenverteidigung beordert. Dass der Mann von Panathinaikos im Verbund mit Charisteas prompt das 0:1 verschuldete, diente vielen als Beleg für den längst fälligen Abgang des Trainers. "Herr Otto, wir sind dankbar dafür, was Sie mit unserer Nationalmannschaft erreicht haben. Aber nun wird es Zeit abzutreten", forderte etwa das Internetportal "Goalnews".

Die üble Prophezeiung vieler Anhänger, in der Vorrunde zu scheitern, könnte nun früh eintreffen und weckt Erinnerungen an die Schmach von 1994. Damals waren die Griechen ohne Punkt und mit einer Tordifferenz von 0:10 von der WM aus den USA heimgekehrt. Sollte Rehhagel bei seiner wohl letzten Dienstreise eine ähnliche Bilanz aufweisen, könnte bald schon eine seiner alten Ausführungen eintreffen: "Die Fans werfen dir nach Siegen Blumen zu, aber wenn ich ein paar Spiele verliere, lassen sie plötzlich die Töpfe dran."

Griechenland: Tzorvas - Seitaridis, Kyrgiakos, Moras, Papadopoulos, Torosidis - Katsouranis, Karagounis - Salpingidis, Samaras - Gekas.

Nigeria: Enyeama - Odiah, Yobo, Shittu, Taiwo - Obasi, Etuhu, Haruna, Kaita - Yakubu, Obinna.

Schiedsrichter: Ruiz (Kolumbien).