Der ehemalige Dortmunder steht mit Gastgeber Südafrika vor dem zweiten Gruppenspiel unter massivem Druck

Rustenburg. Um elf Uhr fährt der Bus in Johannesburg los, neuneinhalb Stunden vor dem Anpfiff. 16 Fans werden einsteigen, von jedem südafrikanischen Erstligaklub einer. Nicht irgendeiner. Es sind die Kultfans der Teams, die von den WM-Organisatoren zu jedem Südafrika-Spiel gefahren werden. Freddie "Saddam" Maake von den Kaizer Chiefs etwa, der an den überdimensionalen Brillengestellen zu erkennen ist. Er hat sie in Südafrika berühmt gemacht. Darunter ist bei Spielen meist seine riesige Zunge zu sehen - er hat sie weit herausgestreckt.

Oder Mzion Mofokeng. Vor seinem kleinen Haus im Sebokeng Township hat er eine öffentliche Telefonzelle mit dem Totenkopfemblem der Orlando Pirates angepinselt. Er darf das. Heute aber trägt Mofokeng nicht das Pirates-Shirt, sondern die gelb-grünen Farben der Nationalmannschaft über dem rundlichen Bauch. Südafrika gegen Uruguay (20.30 Uhr/ARD), vielleicht das entscheidende Spiel auf dem Weg ins Achtelfinale. "Wir werden uns das Herz aus dem Leib schreien", verspricht Mofokeng, obwohl er doch jetzt schon völlig heiser ist. "Die Jungs brauchen unsere Energie."

Werden die Buchmacher gefragt, wird es der WM-Gastgeber in Pretoria dennoch nicht einfach haben. Trotz der guten zweiten Hälfte im Eröffnungsspiel gegen Mexiko (1:1). Trotz der Euphorie im Land, die wahrscheinlich wieder elf Millionen Menschen vor die Fernseher treiben wird. Der größte Wettanbieter in Südafrika sieht Uruguay als 13:10-Favoriten - für einen Sieg von "Bafana Bafana" gibt es dagegen den doppelten Einsatz zurück.

Die großen Erfolge der Südamerikaner, immerhin zweimaliger Weltmeister, mögen aus Sepp Herbergers Epoche stammen. Doch das Team ist immerhin Weltranglisten-16. - und damit 67 Plätze besser platziert als Südafrika, wo längst keine Rede mehr davon ist, dass noch vor ein paar Monaten die Qualifikation für den Afrika-Cup in Angola verpasst wurde.

Mehr denn je vertraut die Nation auf ihren einzigen Spieler gehobener internationaler Klasse. Steven Pienaar, vorige Saison zum besten Profi beim englischen Premier-League-Klub Everton gewählt, wurde gegen Mexiko mit Krämpfen ausgewechselt. Lang war die Saison, sehr müde deshalb seine Beine. "Ich hoffe, dass ich das gegen Uruguay abschütteln kann", sagt der Mittelfeldmann, "ich weiß, dass ich gegen Mexiko nicht mein bestes Spiel gemacht habe."

Pienaar, 28, war nervös wie das gesamte Team. In den vergangenen Tagen reduzierte Trainer Carlos Alberto Parreira deshalb das Trainingspensum. Riesig ist die weltweite Aufmerksamkeit auf "Bafana Bafana", dessen Spieler im gerade so fern erscheinenden Alltag oft vor nicht mehr als 5000 Zuschauern spielen. Parreira will ins Achtelfinale, er ist kein Träumer.

Doch der Druck von außen ist gewaltig, der von innen auch. "Wir können uns keine Niederlage erlauben", sagt Pienaar. Geht es nach Mofokeng, dem Mann mit der Zahnlücke, wird es keine geben. Nicht einmal der Gedanke daran sei heute gestattet.

Lawrence Siphiwe Tshabalala, der mit seinem Traumtor gegen Mexiko das ganze Land in Ekstase versetzte, brennt auf weitere Heldentaten. "Das Achtelfinale wäre das Größte, was je in Südafrikas Fußball passiert ist", sagte der 25-Jährige von den Kaizer Chiefs Johannesburg. Die freien Stunden, die Parreira dem Team am Montag genehmigt hatte, verbrachte Tshabalala in seiner Wohnung im ehemaligen Township Soweto. Gegen Uruguay und dann knapp eine Woche später gegen Frankreich will er mit seinen Teamkollegen "Geschichte schreiben".

Die Begegnung gegen Uruguay findet an einem historischen Tag statt. Am 16. Juni 1976 begehrten Jugendliche in Soweto gegen die Apartheid auf. "Das ist ein bedeutendes Datum für das Land", sagte der frühere Dortmunder Pienaar: "Wir wollen dafür sorgen, dass die Menschen Mittwochabend auf den Straßen feiern können."

Das Team spielt auch für den früheren Staatspräsidenten Nelson Mandela, dessen bei einem Verkehrsunfall am Vorabend der Eröffnungs tödlich verunglückte Urenkelin morgen beigesetzt wird. "Wir sind in Gedanken bei ihm und werden in diesen schweren Stunden alles für ihn geben", sagte Pienaar.