Trotz zunehmender Kritik drillt Sergeant Dunga seine ballverliebten Brasilianer zu einem effektiven Spiel

Johannesburg. Wie war das noch mal mit den Brasilianern bei Weltmeisterschaften? Ach ja: Samba von morgens bis abends, offene Tore zum Trainingsplatz, die Übungseinheiten samt ausführlichem Palaver mit Ronaldo, Ronaldinho und den anderen Gottheiten zur besten Sendezeit live übertragen und diskutiert von Hunderten Reportern. Die "Canarinha", mehr als Fußball, ein Lebensgefühl, die stärkste Marke des Weltsports.

Und wie ist es mit den Brasilianern heute? Nicht viel anders als beim heutigen Auftaktgegner Nordkorea (20.30 Uhr/ZDF): Sie riegeln sich ab. Einmal am Tag wird im Teamquartier, einem Golfhotel im Westen Johannesburgs, ein Spieler in den Konferenzraum gekarrt und der Presse vorgesetzt - das war's. Die Trainingseinheiten finden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, und als Robinho neulich einer Fernsehstation ein paar Fragen beantwortete, musste er sich bei der ganzen Mannschaft dafür entschuldigen.

Verantwortlich für die brasilianische Kulturrevolution ist der Nationaltrainer. Carlos Caetano Bledorn Verri, alias Dunga. Sergeant-Frisur, verkniffener Blick, große Furchen: So grimmig wie er aussieht, kommt sein Brasilien auch daher. "Bei uns ist der Fußball etwas Besonderes, aber das Wichtigste bleibt das Resultat", lautet seine Philosophie. Sie ist nicht allzu beliebt in der Heimat des "Jogo bonito", des schönen Spiels, und deshalb kann Dunga - Spitzname "o alemao", der Deutsche - so viele Spiele gewinnen, wie er will, eine souveräne WM-Qualifikation mit dem besten Angriff und der besten Abwehr abliefern, die Titel bei der Copa America 2007 und dem Konföderationenpokal 2009 holen - er wird doch höchstens geduldet. Viele Reporter würden bei diesem Turnier gegen das eigene Team sein, nur damit sie ihre Kritiken an ihm rechtfertigen können, schnaubt Dunga. Und zieht dann gleich die Tore hoch.

"In seinem Umgang mit der Presse ist er genauso wie José Mourinho", sagt Rechtsverteidiger Maicon vom Champions-League-Sieger Inter Mailand, einer derjenigen, die bislang in den Konferenzraum des Golfhotels durften. Soll heißen: Dunga mimt gern den Bösewicht, wenn es nur Erfolg und Zusammenhalt seiner Truppe dient. "Schlecht erzogen", findet das Tostao, der Weltmeister von 1970 und heutige Kolumnist der Zeitung "Folha de Sao Paulo". Doch zugleich lobt er das "gute, intensive Training".

Dunga hat es geschafft, den Einfluss von Sponsoren zu begrenzen

Es gibt schon auch Respekt für Dunga, etwa dafür, wie er den Einfluss von Sponsoren und Fernsehen auf den Goldesel "Selecao" gebrochen hat. Denn so wie 2006, das wussten alle, konnte es ja nicht noch mal laufen.

Damals verkaufte der Verband sein Trainingslager und die Vorbereitungsspiele an eine Vermarktungsagentur, die Übungseinheiten in den Schweizer Bergen gerieten zu einem täglichen Karneval vor Tausenden zahlenden Zuschauern auf eigens errichteten Stahlrohrtribünen. Konditions- oder Taktiktraining? Nichts da. Angekommen beim Turnier in Deutschland arbeitete das Team nicht viel ernsthafter, dafür wurde ordentlich gezecht. Im Ergebnis stand ein Fußball, weder schön noch erfolgreich. Eher zu spät und völlig verdient war es im Viertelfinale gegen Frankreich vorbei für die vermeintlich fantastischen Vier Ronaldo, Ronaldinho, Adriano und Kaká.

Letzterer war damals der einzige Star mit nennenswertem Siegeshunger. Nicht ganz zufällig ist er auch der einzige, der in der Nationalelf für Südafrika überlebt hat. Dunga hat der Disziplin viel Kunst geopfert, nicht nur Ronaldinho fehlt, auch sein Mailänder Klubkollege Pato oder der Turiner und Ex-Bremer Diego. Wie 1994, als er selbst den Kapitän der schmucklosesten Weltmeisterelf der Landesgeschichte gab, wird bei Dunga vor allem geackert. "Gilberto Silva, Felipe Melo und Elano sind gute Spieler, mehr nicht", sagt Tostao über die Mittelfeldreihe, "eine brasilianische Nationalelf sollte dort mehr Talent aufbieten." Dani Alves etwa hätte es, doch Barcelonas spektakulärer Experte der rechten Außenbahn - für viele Experten der beste Außenverteidiger der Welt - ist nur Ersatz.

1994 verliehen die Angreifer Romário und Bebeto dem Spiel zumindest etwas brasilianischen Touch, diesmal soll das ein Trio erledigen. Kaká als Spielgestalter, Robinho als einzig geduldeter Anarchist und Sevillas Luis Fabiano als Vollstrecker. Problem: Alle drei waren zuletzt unkalkulierbare Größen. Kaká durchschritt in seiner ersten Saison bei Real Madrid ein körperliches wie seelisches Tief, Robinho flüchtete aus Europa (Manchester City) zurück in die Heimat zum FC Santos, und Luis Fabiano plagten immer wieder Wehwehchen.

Brasiliens Experten bescheinigen Spanien den schöneren Fußball

Dunga vertraut ihnen dennoch und er wird schon seine Resultate erringen. Was den Erfolg der Mannschaft angeht, misstraut ihm niemand. "Brasilien und Spanien sind die stärksten Teams hier", sagt Tostao und muss dann leider doch noch hinzufügen: "Spanien spielt den schöneren Fußball."