Fernbedienung: Die TV-Kolumne im Abendblatt

Da ist er. Der Kahn. Einer der größten Torhüter aller Zeiten. Der Mann, der brüllen kann wie ein Löwe und zischen wie die Hölle, der Kollegen in den Schwitzkasten nimmt und der, wenn es sein muss, einem Gegenspieler auch mal ins Ohr beißt. Der Mann, der bei der WM 2002 nur von einem gebrochenen Finger zu besiegen war und vor dem Jürgen Klinsmann offensichtlich so große Angst hatte, dass ihm der immer vom Wahnsinn gejagt scheinende Jens Lehmann lieber war. Olli Kahn konnte allein durch seine Anwesenheit das Netz hinter sich erzittern lassen.

Er trägt einen dezent glänzenden, grauen Anzug, eine oberseriöse Krawatte, er ist glatt gestriegelt und geföhnt, da ist vermutlich sogar eine Art Pflegeprodukt in seinem Haar. Sind die Augenbrauen etwa gezupft? Oder nur nachgezogen? (Schlimm genug!) Er bemüht sich, er gibt sich wirklich große Mühe, freundlich und ordentlich und massenkompatibel zu sein. Er spricht einfühlsam, aber nicht pathetisch über das Gefühlsleben der Spieler. Erklärt die Anspannung und die Nervosität. Verrät, was genau der Torwart jetzt empfinden mag. Er spricht über die Mannschaft und benutzt das Wort "Spirit". Er benutzt viele wohlklingende, nicht zu dramatische Worte, und er setzt ein paar schöne Gesten ein. Er gibt sich gut ausbalanciert, das wohltemperierte Klavier. Er macht das alles sehr professionell, wirklich, man muss ihn echt loben.

Aber es tut fast ein bisschen weh, ihn so zu sehen. Olli Kahn in der netten, zuvorkommenden Version, das geht nicht. Das darf man nicht machen. Ein Typ, der früher nur von "Druck" und "Eiern" geredet hat, muss doch leiden wie ein Hund - oder sich zumindest ziemlich merkwürdig vorkommen - wenn er plötzlich so eine Psychologen-Nummer durchziehen muss.

Ich will so was nicht sehen.

Ich will diesen Giganten zwischen den Pfosten sehen, und wenn er da nicht mehr stehen kann, dann in schnellen Autos oder auf einer lauten Party. Ein Tier wie der sollte in einer wilden, ungezähmten Ecke stecken und nicht in einem Expertenkostüm. Bitte, liebes ZDF: Free Olli Kahn. Wenn ihr ihn schon in ein Fernsehstudio einsperren müsst, dann lasst ihn doch wenigstens ordentlich ausrasten. Kathrin Müller-Hohenstein hat die Eier, um das abzukönnen.

Simone Buchholz, 38, lebt als Autorin auf St. Pauli. Ihr neuer Krimi "Knastpralinen" ist bei Droemer Knaur erschienen.