Die Nationaltrainer Bert van Marwijk, Ottmar Hitzfeld und Morten Olsen über deutsche Tugenden, Spielerfrauen und ihren WM-Favoriten

Johannesburg. Sie arbeiteten in der Bundesliga und sind nun als Nationaltrainer bei der WM dabei: Bert van Marwijk mit den Niederlanden, Ottmar Hitzfeld (Schweiz) und Dänemarks Morten Olsen. Doch das Trio hat eine weitere Parallele. Alle drei engagieren sich für die Stiftung des 1. FC Köln, die primär Menschen hilft, die unverschuldet in Not geraten und auf fremde Hilfe angewiesen sind. Unter dem Motto "Mer stonn zo Dir" unterstützt die Stiftung ( www.fc-stiftung.de ) zahlreiche regionale und internationale Projekte.

Abendblatt:

Herr van Marwijk, die Niederlande werden vor großen Turnieren oft zu den Titelkandidaten gezählt. Den Erwartungen wird sie dann nie gerecht.

Bert van Marwijk:

Ohne arrogant zu sein: Ich glaube, dass wir zu den Favoriten gehören. Wer so ein Projekt wie eine WM angeht, muss sich Ziele setzen. Und ich fahre nicht nach Südafrika, um nur mitzuspielen. Wir Niederländer haben bewiesen, dass wir bei Turnieren jede Mannschaft besiegen können. Obwohl wir so ein kleines Land sind, ist die Erwartungshaltung sehr groß. Wenn wir gut spielen und gewinnen, kann es passieren, dass wir trotzdem hart kritisiert werden. Aber wenn wir richtig gut spielen, laufen sie im ganzen Land Polonaise und werden übermütig, sogar arrogant. Das ist gefährlich.

Auch für die Mannschaft?

Van Marwijk:

Ja. Es gibt keinen Grund, sich nach einem guten Spiel auszuruhen. Erst recht nicht bei einer WM. Deshalb versuche ich der Mannschaft beizubringen, dass sie in Südafrika versuchen muss, über die ganze Zeit das Niveau zu halten. Die Spannung muss immer da sein. Das ist eine Sache, mit der wir Probleme haben.

Auf welche Faktoren wird es ankommen?

Van Marwijk:

Glück spielt sicher bei so einem Turnier auch eine Rolle. Aber in erster Linie die Qualität. Es gibt eine Phase, da hast du einen Ausnahmespieler wie Johann Cruyff oder Marco van Basten. Ich denke, wir haben derzeit ein richtig gutes Team, in dem die Mischung stimmt und alle bereit sind, im Sinne der Mannschaft zu arbeiten.

Wie Sieht das bei Ihren Spielern aus, Herr Olsen?

Morten Olsen:

Wir müssen realistisch sein. Wir sind individuell nicht so gut besetzt wie etwa die Niederländer. Aber auch unser Land hat bei der EM 1992 bewiesen, dass es durchaus in der Lage ist, Großes zu leisten. Bei so einem Turnier komt es auf viele kleine Dinge an, wie etwa die jeweilige Tagesform. Denn so viele Unterschiede zwischen den Mannschaften gibt es nicht. Wir Dänen müssen als kleine Nation hoch motiviert und auf den Tag genau fit sein, um etwas erreichen zu können.

Sie haben die Motivation angesprochen.

Olsen:

Wenn du als Spieler bei einer WM nicht absolut motiviert bist, wann dann? "Once in a life time", sage ich den Spielern hin und wieder. Weil sie nie vergessen sollten, dass es vielleicht die einzige WM ihres Lebens ist.

Wie sehr kommt es im Fußball auch auf die mentale Stärke an?

Van Marwijk:

Die ist von großer Bedeutung. Ich erinnere mich noch gut an das Freundschaftsspiel zwischen uns und Deutschland 2005 in Rotterdam. Da haben wir unglaublich gut gespielt und zur Halbzeit 2:0 geführt. Aber am Ende stand es 2:2. Wir hatten schon wieder gedacht, es reicht. Von wegen! Was die mentale Stärke betrifft, können wir Niederländer viel von den Deutschen lernen, wie sie von uns vielleicht einige Dinge im Hinblick auf die Kreativität.

Wie stehen denn die WM-Chancen der Schweiz, Herr Hitzfeld?

Ottmar Hitzfeld:

Wir gehören nicht zu den Favoriten. Aber wenn wir schon mal da sind, wollen wir auch die Vorrunde überstehen. Es wird aber schwer.

2004 haben Sie abgelehnt, die deutsche Nationalmannschaft zu übernehmen. Haben Sie es je bereut?

Hitzfeld:

Nein. Ich hatte sechs Jahre die Bayern trainiert und fühlte mich ausgelaugt. Ich hätte das Amt nicht mit dem Elan ausüben können, den es zwei Jahre vor der Heim-WM erforderte.

Wie sah die Vorbereitung der Niederländer aus?

Van Marwijk:

Wer bei dieser WM etwas erreichen will, darf nichts dem Zufall überlassen. Wir haben also versucht, uns auf die Höhe einzustellen. Was die Temperaturen betrifft, so sind wir die ja gewohnt. Es sind aber nicht die einzigen Dinge, die wir beachten müssen.

Was noch?

Van Marwijk:

Etwa die Unterbringung. Wenn du die Spieler aus Nordkorea sechs Wochen in ein Hotel setzt, dann sind sie vom Naturell so, dass sie nicht klagen - egal, wo sie untergebracht sind. Bei uns klagen sie vielleicht schon nach drei, vier Tagen. Wir haben uns deshalb für ein Hotel entschieden, wo wir nicht jeden Tag das Gefühl haben, immer die gleichen Leute zu sehen. Das ist ganz wichtig für die Stimmung, auf die es bei so einem Turnier auch ankommt.

Olsen:

Wir sind sechs Wochen zusammen, da muss alles passen. Deshalb haben wir auch alles dafür getan, dass sich die Jungs da unten wohl fühlen.

Was das betrifft, könnten auch die Spielerfrauen eine entscheidende Rolle spielen. Englands Trainer Fabio Capello hat den Frauen der Spieler die Reise nach Südafrika untersagt. Und Sie?

Olsen:

Ein paar Frauen werden mit dabei sein. Aber nicht in unmittelbarer Nähe. Ich habe nichts dagegen, dass sie kommen. Sie können auch ihren Teil zu einer guten Stimmung beitragen.

Sie setzen alle auf Spanien. Warum?

Van Marwijk:

Die Spanier haben den EM-Titel gewonnen und sind über Jahre hinweg sehr gut eingespielt. Da gibt es viele Dinge, dir mir gefallen. Wie sie etwa von hinten heraus spielen. Da stehen zwei Mann zwei, drei Meter auseinander und spielen sich den Ball trotzdem hart zu. So ist fast ausgeschlossen, dass der Gegner dazwischen kommt. Das geht alles so schnell.

Olsen:

Ich finde den Fußball fantastisch. Wer diesen Sport liebt, muss es mögen, ihnen zuzuschauen. Alle sind sehr gut ausgebildet, spielen gern zusammen.

Hitzfeld:

Wenn Spanien spielt, steht eine hoch begabte Einheit auf dem Platz. Da stimmt fast alles. Imponierend!

Wie beurteilen Sie die Qualitätssteigerung in den vergangenen Jahren?

Hitzfeld:

Es fällt auf, dass das Spiel immer schneller wird und die Spieler kaum noch Zeit zum Nachdenken haben. Heute werden die Räume eng gemacht, alle elf Mann verteidigen. Da kann sich kein Spieler mehr jemanden leisten, der hinter ihm die Drecksarbeit macht. Wie es früher vielleicht der Wimmer für den Netzer gemacht hat.

Van Marwijk:

Das mit der Schnelligkeit ist ja auch in anderen Sportarten zu sehen. Früher bin ich nachts aufgestanden, wenn sich im Tennis Boris Becker und John McEnroe duelliert haben. Das waren teilweise grandiose Spiele. Aber mit ihrer Art würden sie heute sicher keine Chance mehr haben.

2006 hat sich das taktisch disziplinierteste Team behauptet: Italien. Welcher Fußball setzt sich diesmal durch?

Olsen:

Die Mannschaften, die am besten verteidigen, werden sich behaupten. Wenn es um das Verteidigen geht, reden wir heute nicht mehr nur von der hinteren Reihe. Du musst gut organisiert sein und gut umschalten können.

Wie schätzen Sie die afrikanischen Teams ein?

Olsen:

Das sind alles gute Mannschaften, deren Spieler fast alle in Europa spielen. Die dürfen wir nicht unterschätzen. Vielleicht ist es für uns ja von Vorteil, dass wir den Rasen kennen. Denn der kommt aus Dänemark (lacht).

Und die Deutschen?

Hitzfeld:

Deutschland hat keine leichte Gruppe. Australien ist kampfstark, Serbien auch, das ein sehr unangenehmer Gegner ist. Ghana wird den Deutschen spielerisch viel abverlangen. Aber ich bin ganz optimistisch, weil es den Deutschen immer wieder gelingt, bei einem Turnier über sich hinaus zu wachsen.

Ihr Titeltipp?

Van Marwijk:

Wenn wir den Titel nicht holen, hoffe ich auf Spanien. Heißer Außenseiterkandidat ist für mich noch England. Die Spieler haben die Art und Weise, wie auf dem Festland gespielt wird, übernommen. Und Coach Fabio Capello ist es gelungen, eine guten Mannschaft zu formen.