Matthew Booth ist der einzige weiße Nationalspieler Südafrikas - und Publikumsliebling

Johannesburg. Es läuft die 74. Minute im Mbombela Stadion von Nelspruit, als die Rufe beginnen. "Buuuuuuth" schreien die 35 000 Zuschauer. Wie immer, wenn sie Matthew Booth sehen. Der fast zwei Meter große Verteidiger steht an der Außenlinie und verzieht keine Miene. Ein paar Anweisungen von Trainer Carlos Alberto Parreira, dann läuft Booth auf das Feld. In seinen Strafraum. Arbeiten.

Der Gegner heißt nur Thailand, und Südafrika führt bereits mit 3:0. Aber Booth vollführt sein robustes Handwerk mit einer Ernsthaftigkeit, als habe die Weltmeisterschaft bereits begonnen. Booth, inzwischen 33 Jahre alt, will sich empfehlen, nicht wieder eine WM verpassen. Wie vor acht Jahren, als er sich kurz vor dem Turnier in Japan und Südkorea schwer am Knie verletzte.

Das Freundschaftsspiel fand im Mai statt, die drittletzte Partie, bevor Parreira schließlich seine 23 Spieler für das WM-Aufgebot bekannt gab. "Wenn ich bei der WM auf afrikanischer Erde dabei sein darf, kann ich glücklich sterben", hatte Booth gesagt.

Dem Publikumsliebling ist die Aufmerksamkeit fast unangenehm

Der Verteidiger ist berufen worden, und auch wenn es wohl nicht für die erste Elf reichen wird, er fällt auf. Er ist der einzige weiße Nationalspieler Südafrikas, und der beliebteste noch dazu - ein lebendes Symbol der Versöhnung.

Als die internationale Fußballgemeinschaft beim Confed-Cup vor einem Jahr erstmals auf ihn aufmerksam wurde, saß seine Ehefrau Sonia Pule auf der Tribüne: "Jemand neben mir fragte, warum er ausgebuht werde", sagt sie. "Ich musste lachen. Das Gegenteil war der Fall. Die Fans rufen einfach gerne seinen Namen."

Dem Publikumsliebling selbst scheint die Aufmerksamkeit fast unangenehm zu sein. "Ich versuche, nicht an die Hautfarbe zu denken", sagt er nach einer Trainingseinheit in der Johannesburger Milpark-Sportanlage. Booth trägt Badeschlappen und ein wunderbar höfliches Lächeln. "Die Leute nehmen Fußball in Südafrika immer als Sport der Schwarzen wahr. Das stimmt nicht ganz. Fußball wurde wie keine andere Sportart von allen ethnischen Gruppen gespielt."

Das allerdings lange Zeit streng getrennt. Als Booth 1982 in Kapstadt im Amateurverein Fish Hoek AFC mit dem Fußballspielen begann, waren alle seine Mitspieler weiß. Es gab bis 1977 eigene Ligen für Schwarze, Weiße und Gemischtfarbige (Coloureds) - danach bröckelte die Apartheid im Fußball, als einem der ersten gesellschaftlichen Bereiche. In Fish Hoek dauerte es bis Ende der Achtzigerjahre, bis der Verein eine Politik der offenen Tür einführte. "Damals war ich zehn Jahre alt", sagt Booth. "Ich hatte schon vorher oft mit Schwarzen und Coloureds gespielt. Ich nehme die Hautfarbe gar nicht mehr wahr."

Nur wenige verkörpern die Wunschvorstellung des modernen Südafrikas so wie er. Und die heißt nach 16 Jahren Demokratie schlicht: Normalität. Dabei hat Booth die Politik der Rassentrennung selbst noch erlebt. Seine Ehefrau ist schwarz, stammt aus Soweto. Ihr Vater starb einen Monat nach ihrer Geburt, sie teilte sich drei Zimmer mit 16 Familienangehörigen. Irgendwann begann Sonia an Schönheitswettbewerben teilzunehmen - und gewann oft. Vor zehn Jahren traf Booth das angehende Model, das für einen Mitspieler als Babysitterin jobbte. "Ich habe gemerkt, dass er kein durchschnittlicher, pompöser Fußballspieler ist", erinnerte sich Sonia einmal im Gespräch mit "Sports Illustrated". "Er ist ziemlich cool." Die beiden sind seitdem ein Paar, was in ländlichen Gegenden Südafrikas trotz der erfreulichen Annäherung zwischen der schwarzen und weißen Bevölkerung noch immer selten ist.

Es gäbe viele Gründe, die Popularität Booth' mit sozialen Argumenten zu erklären. Das Paar hat - ohne viel darüber zu reden - den "Booth Education and Sports Trust" gegründet, mit dem sowohl Fußballplätze als auch Schulmaterial finanziert werden. Auch bei seinem Verein, den Mamelodi Sundowns aus Pretoria, ist er für sein soziales Engagement bekannt. Er ist mit vielen seiner Mannschaftskameraden befreundet und geht regelmäßig im Township von Alexandra aus. Kaum ein Südafrikaner ist derzeit präsenter in Werbespots als der Ersatzspieler Booth, der weder trinkt noch raucht. Bei der Gruppen-Auslosung war er es, der vor mehreren Hundert Millionen Fernsehzuschauern "Bafana Bafana" repräsentierte.

Wenn hohe Bälle kommen, macht sich in Südafrika niemand Sorgen

Vielleicht ist der Grund aber auch simpler. Mzion Mofokeng, Kultfan der Orlando Pirates, deren größter Widersacher Booth' Mamelodi Sundowns sind, versucht es zu erklären: "Für die Fans von Bafana Bafana spielen seine Hautfarbe oder politische Botschaften keine große Rolle", sagt der 60-Jährige. "Gott hat ihm seltene Gaben gegeben. Er ist nicht der beste Freund des Balls, technisch sind andere besser. Aber er hat diesen unglaublichen Ehrgeiz. Und wenn hohe Bälle kommen, machen wir uns wenig Sorgen." Er habe die Nationalmannschaft zu Länderspielen in Mali und Ghana begleitet, erzählt der Gemüseverkäufer. "Booth war immer derjenige, der sich am meisten Zeit genommen hat. Er hat sich oft für unsere Unterstützung bedankt. Der Mann zeigt Respekt." Und letztlich zähle der Fußball, nicht die Hautfarbe.

Dass Booth bei der WM 2010 sportlich eine große Rolle einnehmen kann, gilt als eher unwahrscheinlich. Der Familienvater wurde im vergangenen Jahr durch eine Bänderverletzung zurückgeworfen, seine Konkurrenten in der Innenverteidigung spielten seitdem stark.

"Ich stelle keine Ansprüche", sagt Booth, "der Trainer kann auf mich zählen, egal welche Pläne er hat." Für positive Stimmung wird Booth jedenfalls sorgen. Südafrikas Nationalmannschaft ist als Weltranglisten-83. zwar der am niedrigsten platzierte WM-Gastgeber aller Zeiten, doch die Fans versprühen Optimismus und Euphorie - besonders, wenn Matthew Booth aufläuft. Am Dienstag hatte Trainer Parreira ein Geheimtraining angesetzt. Ohne Fans. Ein paar Zuschauer standen dennoch hinter einem Einfahrtstor zum Stadion, von dem aus sie die Spieler sehen konnten. Dann ertönten die Rufe: "Buuuuuth."