Nach der Diskussion um den suspendierten Schalker Kuranyi hat der Bundestrainer jetzt das nächste Problem. Wird Leistung nicht mehr gewürdigt?

Berlin/München. Ob Miroslav Klose es genießen konnte, als sein Arbeitgeber Bayern München sich am Sonnabend in einen Rausch spielte und Hannover 7:0 deklassierte, ist nicht bekannt. Aber es ist unwahrscheinlich: Der Stürmer litt an einer Magen-Darm-Grippe und musste am Wochenende zu Hause bleiben. Vermutlich wird sein Sitzplatz porzellanhart gewesen sein und damit deutlich ungemütlicher als der von Joachim Löw, der gut gepolstert im Wolfsburger Stadion saß. Doch auch beim Bundestrainer dürfte es nach dem Spiel in der Magengegend gegrummelt haben, und Miroslav Klose spielte dabei indirekt eine Rolle.

Vom VIP-Bereich aus beobachtete Löw, wie ein alter Bekannter Bemerkenswertes vollbrachte. Im Spiel gegen den VfL Wolfsburg nahm Torsten Frings in der 62. Minute den Ball mit dem Kopf an, lupfte ihn elegant über einen Gegenspieler und ließ dem Torwart keine Chance. Sein Treffer zum 3:2 leitete den Bremer Sieg ein, bei dem Hugo Almeida später das letzte Tor zum 4:2 gelang. Weil Frings bereits zwischenzeitlich per Elfmeter zum 1:1-Ausgleich getroffen hatte, verdiente sich der 33-Jährige die Bezeichnung "Mann des Spiels".

Auch nach der Partie übernahm er eine führende Rolle. Vor den Pressemikrofonen erinnerte Frings sich spontan an den 20. Januar dieses Jahres, als Löw ihn in Bremen besuchte, um ihm mitzuteilen, dass er in der Kaderplanung für die WM keine Rolle spielt. "Dass es in der Nationalmannschaft nicht um Leistung geht, wissen doch alle", sagte er nun, und seine Worte dürften den Bundestrainer wie Peitschenhiebe getroffen haben. Denn Frings traf damit einen wunden Punkt.

Seit Wochen wird über die Verteilung der 23 WM-Tickets diskutiert. Vor allem Schalkes Stürmer Kevin Kuranyi schoss sich Tor um Tor in den Fokus und bereitet Löw Kopfschmerzen, weil der ihn wegen unerlaubten Entfernens während eines Länderspiels im Oktober 2008 lebenslang von der Nationalmannschaft ausgesperrt hat. Kaum deutete Löw nach einer Klausurtagung des Trainerstabs in der vergangenen Woche eine Lockerung der Kuranyi-Aussperrung an, hinterfragt plötzlich Frings das Leistungsprinzip in der Eliteauswahl des Deutschen Fußball-Bundes (DFB).

Das wird auch von anderen Spielern auf die Probe gestellt. Der Stuttgarter Stürmer Cacau zum Beispiel traf beim 2:1 gegen Bayer Leverkusen zweimal - es waren die Tore neun und zehn in der Rückrunde des gebürtigen Brasilianers mit deutschem Pass. Den dritten Treffer dieser Partie erzielte Stefan Kießling, der sein Konto auf imposante 19 Tore erhöhte. Beide Profis spielen in der Nationalmannschaft trotz ihrer überragenden Form kaum eine Rolle. Denn gerade im Sturm sind die Plätze so rar wie umkämpft.

Ursprünglich waren drei Männer für Löw unantastbar: Lukas Podolski, Klose und Mario Gomez. Das Problem ist, dass alle drei außer Form sind. Zusammen kommen sie auf 14 Saisontreffer, wobei zehn auf Gomez entfallen. Das Konkurrententrio traf bislang 48 Mal.

Sollte Löw Kuranyi berufen, wird er dafür einen anderen Spieler zu Hause lassen müssen. Und da kommt wieder das Leistungsprinzip ins Spiel: Zählen die Erfolge der Vergangenheit von Klose und Podolski mehr als die aktuelle Topform von Kuranyi, Cacau und Kießling? Müsste Löw nicht auch über die Nominierung von Frings nachdenken, wo doch die Optionen neben den gesetzten Michael Ballack und Bastian Schweinsteiger auf der Sechserposition vor der Abwehr Simon Rolfes (pausiert mit Knorpelschaden), Thomas Hitzlsperger (sitzt bei Lazio Rom auf der Bank) und Sami Khedira (nach Innen- und Kreuzbandanriss am Wochenende wieder im Stuttgarter Kader) heißen? Und was macht Löw auf der Torwartposition, wo René Adler (Leverkusen) und Manuel Neuer (Schalke) zuletzt mehr durch riskante Ausflüge außerhalb des Strafraums als durch Glanzparaden auffielen?

"Wir lassen uns von dem öffentlichen Druck nicht treiben", sagte Löw nach der dreitägigen Tagung mit seinem engsten Stab. Um nicht zu früh Farbe bekennen zu müssen, nominierte er für das Länderspiel gegen Argentinien 26 Spieler, zum Fitnesstest im Januar kamen gar 30 Profis.

Am 6. Mai wird er Joachim Löw seinen vorläufigen Kader bekannt geben. Bis dahin wird sich der Bundestrainer um die Frage winden, wer denn nun mitkommt nach Südafrika.