Der Vorsitzende der 61 000 Mitglieder großen HSV-Organisation Supporters Club glaubt, dass sich der Sport von den Menschen entfremdet hat, und nennt Lösungen gegen Gewalt.

Treffpunkt und Bekleidung sind auf den ersten Blick ungewöhnlich. Am Wochenende steht Ralf Bednarek während den HSV-Spielen auf der Nordtribüne, aber unter der Woche spielt das Leben des Vorsitzenden der Abteilung "Förderer und Supporters Club" häufig beim Oberlandesgericht ab. Der 35-jährige Hamburger, als Rechtsanwalt spezialisiert auf Versicherungs- und Insolvenzrecht, wurde im Oktober 2008 zum Chef der Fanorganisation gewählt, die stolze 61 000 Mitglieder zählt.

Abendblatt:

Herr Bednarek, haben Sie vor Gericht schon mal einen HSVer verteidigt?

Ralf Bednarek:

Ja, schon oft.

Abendblatt:

Sind Sie dann emotionaler dabei?

Bednarek:

Es ist eher ein großer Vorteil, sich auszukennen. Die Vorgänge rund um das Stadion sind ja sehr komplex. Richter oder Staatsanwälte wissen nicht, wie es ist, auf Polizisten oder Ordner zu treffen und können sich nicht so gut in die Lage der Angeklagten hereinversetzen wie ich.

Abendblatt:

Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?

Bednarek:

Ich habe den Eindruck, dass Fußballfans schneller angeklagt werden, weil die Vorurteile so stark sind. Deshalb gibt es sehr viele Freisprüche.

Abendblatt:

Wie kann das sein?

Bednarek:

Es liegt eben an den Vorurteilen Ich habe zum Bespiel ein Gerichtsverfahren in Hannover erlebt. Auf die Frage, ob er sich sicher sei, dass der Angeklagte auch der Täter sei, antwortete der Polizist von der ZD 64, das ist in Hamburg die Dienststelle, die sich mit Fußballgewalt beschäftigt: Ja klar, der steht im Bereich 22 c (die Heimat der Ultragruppierung Chosen Few, die Red.) , wir kennen doch die Leute. Da sind Richter und Staatsanwalt die Stifte aus der Hand gefallen.

Abendblatt:

Welches sind denn die gängigsten Vorurteile?

Bednarek:

Wenn ich dem Richter erzähle, dass ich zur Fraktion gehöre, die zu allen Spielen fährt, fängt er an nachzudenken. Die gängigen Klischees bei Richtern oder in der Öffentlichkeit sind, überspitzt formuliert, dass Fans grölende, betrunkene, asoziale Gewalttouristen sind.

Abendblatt:

Und wie sieht die Wirklichkeit aus?

Bednarek:

Dass Fußballfans einen Querschnitt der Gesellschaft abbilden. Ganz klar, wir haben unsere Problemfälle, aber ebenso gerade in Hamburg ein starkes soziales Gefüge. Zum Beispiel sind zwei unserer Allesfahrer geistig behindert. Um Umgang mit den beiden bei den Fahrten zeigen Leute soziale Kompetenz, denen selbst ich das nicht ohne Weiteres zugetraut hätte. Aber für viele sind Fans noch die mit Jeansweste und Schal - und ständig betrunken. Dabei sind auch die intelligent, aufgeschlossen.

Abendblatt:

Ist das nicht ein wenig dick aufgetragen?

Bednarek:

Nein, eine gewisse Weltoffenheit gehört dazu. Wo fahren Fans denn überall hin? Ich wäre ohne den HSV nie nach Moldawien gekommen, 8 Stunden mit dem Bus hin, 38 Stunden zurück. Durch die Ukraine, durch Polen. Außerdem frage ich Sie: Wie viele Spiele finden in einer Saison statt, und wie oft knallt es? Und wie viele Fans sind dann daran beteiligt? Wenn ich an den Rainer Wendt von der Polizeigewerkschaft denke..., das ist einer der größten Populisten, wenn er behauptet, man gebe sich in Lebensgefahr beim Besuch eines Fußballspiels.

Abendblatt:

Gerade bei der jüngeren Generation scheint aber die Gewaltbereitschaft zuzunehmen.

Bednarek:

Fakt ist: Es werden nicht mehr Straftaten begangen als früher. Das ist übrigens auch so ein Punkt: In drei Wochen Oktoberfest werden mehr Straftaten registriert als in einer kompletten Bundesligasaison - bei allen Mannschaften zusammen. Aber das wird nicht thematisiert.

Abendblatt:

Wie bewerten Sie die jüngsten Ausschreitungen in Berlin mit den Hertha-Fans?

Bednarek:

Da gibt es nichts schönzureden. Das geht nicht! Dahinter steckt wohl Frustration. Sie identifizieren sich total mit ihrem Verein. Und dann kommt dieses Gefühl hoch: Hier steigt gerade mein Verein ab, und alle, die das zu verantworten müssen, sind Zugereiste, die nach dem Abstieg weg sind - und wir Fans sitzen in der Zweiten Liga. Dieses Gefühl der Ohnmacht wird von den Menschen dann falsch kanalisiert. Das zeigt auch die Entfremdung des Fußballs von den Leuten, von seinem Ursprung. Ich bin ganz sicher: Mit zwei, drei Berlinern auf dem Platz wäre die Hemmschwelle größer gewesen. Das rechtfertigt nichts, aber es erklärt, warum jetzt immer mehr dumme Sprüche aufkommen wie: Wenn ihr absteigt, hauen wir euch tot.

Abendblatt:

Hätte das in Hamburg auch passieren können?

Bednarek:

Nein. 2006/07, als der HSV in akute Abstiegsgefahr geriet, gab es keine Sitzblockaden vor Bussen, keinen Protest gegen die Mannschaft, keine "Vorstand-raus"- oder "Trainer-raus"-Rufe, stattdessen eine Jetzt-erst-recht-Kampagne des Supporters Clubs. Trotzdem waren der Ordnungsdienst, die Polizei, das Stadionmanagement und wi auf alle Eventualitäten vorbereitet. Hinter den Kulissen standen Leute bereit, die sofort ein Eindringen aufs Spielfeld verhindert hätten.

Abendblatt:

Wie ist Ihr Verhältnis zur Hamburger Polizei?

Bednarek:

Als Heimspielfans hat man nicht so viel Kontakt. Wir haben aber das Gefühl, dass sie mit den Auswärtsfans ganz gut umgehen.

Abendblatt:

Corny Littmann schlägt vor, dass für die Gästefans die jeweiligen Klubs verantwortlich sein sollen.

Bednarek:

Davon halte ich nichts. Es ist gut, alle Beteiligten an einem Tisch zu haben. Aber je mehr Leute Verantwortung haben, umso mehr kann die Verantwortung auch hin- und hergeschoben werden. Es muss darum gehen, mit den Beauftragten der Gästefans zu sprechen.

Abendblatt:

Was wäre ein Mittel?

Bednarek:

Jeder, der Mist baut, muss davon ausgehen, zur Rechenschaft gezogen werden zu können. Wenn Täter identifiziert gemacht werden können, müssen die Geldstrafen, die der Verein zahlen muss, auf diese Täter umgelegt werden. Wir sind seit Jahren dabei, die Leute zur Kasse zu bitten. Und sie zahlen auch. Was ich schlimm finde, ist die fehlende Einzelfall-Gerechtigkeit.

Abendblatt:

Was meinen Sie?

Bednarek:

Vor drei Jahren haben wir in Wolfsburg gespielt, da hat einer auf den Wellenbrecher einen HSV-Aufkleber geklebt. Das wurde gefilmt, er wurde rausgeführt und mit zweieinhalb Jahren Stadionverbot belegt. Ein anderer, der ein 1200 Grad heißes Bengalo zündet, andere Leute gefährdet und auch erwischt wird, erhält ebenfalls zweieinhalb Jahre Stadionverbot.

Abendblatt:

Was halten Sie davon, Tickets nur nach Abgabe von persönlichen Daten zu verkaufen?

Bednarek:

Gar nichts. Das gibt's doch schon in Holland oder sonst wo. Trotzdem passieren Dinge. Ich halte mehr von vernünftiger, respektvoller Zusammenarbeit.

Abendblatt:

Führen Sie eigentlich eine Liste der Problemfälle?

Bednarek:

Wir kennen unsere Leute auch so. Alle, die im Supporters Club aktiv sind, kommen aus der Fanszene, wir haben keinen ehemaligen Spieler als Fanbeauftragten.

Abendblatt:

Wie groß ist die gewaltbereite Fraktion beim HSV?

Bednarek:

Sehr gering. Wir haben keine organisierte Gewaltfraktion. Wir haben sicher ein Problem mit der Pyrotechnik. Aber auch da muss man überlegen, neue Wege zu gehen. Ich dachte immer, der Reiz dabei sei auch, etwas Verbotenes zu machen. Ich war dann erstaunt zu hören, dass sich die Leute auf ein legales, kontrolliertes Abbrennen einlassen würden. Es müsste eine Stelle geben, an der das unter Aufsicht und vorheriger Anmeldung mit feuerfester Kleidung geschieht, dazu wären sie bereit.

Abendblatt:

Der Supporters Club hat kürzlich einen Verhaltenskodex verabschiedet. Hilft das wirklich? Feuerwerkskörper wurden seitdem trotzdem abgebrannt.

Bednarek:

Der Kodex macht Sinn. Es dauert eben. Jede größere Faneinheit im HSV hat sich vorher damit auseinandergesetzt. Wenn wir die führenden Köpfe erreichen, erreichen wir auch den Rest. Außerdem hat der Kodex schon richtig was bewirkt. In der Hinrunde mussten wir den Sonderzug aussetzen, dieses Jahr konnten wir drei, vier Fahrten ohne Probleme durchführen.

Abendblatt:

Wie ist die Zusammenarbeit mit den Verbänden?

Bednarek:

Schwierig. Bei der DFL kann ich eine Menge Entscheidungen nicht nachvollziehen, da fühlen wir uns nicht ernst genommen. Der gesamte Verein hat die DFL gebeten, die Bremen-Spiele so zu terminieren, dass die Probleme nicht noch durch den Spieltag geschürt werden.

Abendblatt:

Jetzt spielen die Klubs am 34. Spieltag gegeneinander.

Bednarek:

Ich möchte nicht wissen, was los ist, wenn es zu einer Art Endspiel kommt.

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