München. Wenn sich Louis van Gaal in den vergangenen Tagen über die Befindlichkeiten seiner Vorgesetzten informieren wollte, musste er nicht das persönliche Gespräch mit ihnen suchen. Er brauchte nur die Zeitungen aufzuschlagen. Dort hatten sich die Verantwortlichen des FC Bayern München recht umfangreich geäußert. Und es bedurfte keiner hochschulreifen Deutschkenntnisse, um herauszulesen, dass die kommenden Tage für Münchens Trainer Schicksalstage werden können.

Am Sonntag empfangen die Münchner den Tabellenführer Bayer Leverkusen, drei Tage später in der Champions League Maccabi Haifa. Und am kommenden Freitag findet die Jahreshauptversammlung statt. Wegen des erwarteten Andrangs haben sie sie extra in die große Messehalle am Stadtrand verlegt, ein Spektakel mit Eventcharakter ist geplant, das gefeierte Ende einer Ära. Franz Beckenbauer tritt als Präsident ab, Uli Hoeneß wird nach 30 Managerjahren auf Beckenbauers Posten gehievt. Und Schatzmeister Karl Hopfner wird wirtschaftlich beeindruckende Zahlen verlesen. Nur der sportliche Erfolg bleibt nun schon länger aus. Die Münchner sind Achter in der Bundesliga, in der Champions League ist das Vorrundenaus kaum noch abzuwenden. Und wie üblich geht es in so einer Situation um den Verbleib des Trainers.

Nun bieten diese Tage zweierlei Möglichkeiten für van Gaal. Im besten Fall kann die kommende Woche die Unruhe entscheidend abflauen lassen. "Ich weiß, dass ich Erfolg brauche. Der Verein braucht Erfolg, der Trainer, die Spieler", sagte van Gaal. "Ich muss etwas leisten. Denn wenn ich nichts leiste, werde ich entlassen."

Beim obligatorischen Pressetermin gestern Mittag jedenfalls wahrte er optische Distanz. Und das ist erwähnenswert bei van Gaal, dem Dresscodefanatiker. Er erschien weder im Ausgehanzug, noch in der Bayern-Trainingskluft, jener Kleidung, die er bei solchen Terminen zu tragen pflegt. Er parlierte im hellgrauen Wollsakko und beigefarbener Krawatte. Es mag Zufall gewesen sein, aber es passte zum Eindruck der vergangenen Wochen, dass Vereinsspitze und van Gaal nicht mehr im Gleichschritt ihren Weg gehen.

Zuletzt hatten Beckenbauer und Hoeneß ihrem Trainer via Presse mitgeteilt, was er noch lernen müsse. Vertrauen und Verantwortung abgeben beispielsweise. Van Gaal sagt, er spreche jede Woche mit dem Vorstand. "Ich weiß alles, was sie fühlen und was sie denken." Und dennoch hat es ihm missfallen, dass er öffentlich so angegangen wurde. Das sagte er zwar so nicht. Aber man konnte es heraushören. "Ich diskutiere nicht über meine Gespräche mit dem Vorstand. Und ich diskutiere auch nicht über die Kritik des Vorstandes." Er bespreche alles mit seinem Stab. "Die Kommunikation muss intern bleiben." Das waren van Gaals Worte. Jene Einstellung hat er beim FC Bayern dieser Tage allerdings exklusiv.

Sportlich geben die Münchner ein fragiles Gebilde ab, das jederzeit droht auseinanderzubrechen. Erst die Kritik von Philipp Lahm, dann Luca Tonis Bekenntnis auf seiner Homepage, ein angespanntes Verhältnis zu van Gaal zu haben. Jener führte die Privatfehde gestern fort und sagte, dass es "schwierig mit Toni ist". Und so wirkte es wie eine Retourkutsche für Tonis Affront, als van Gaal offen ließ, ob er den Stürmer am Sonntag überhaupt in den Kader berufen werde. Er habe zwar gut trainiert. "Aber das hängt davon ab, wie fit die anderen sind."

In der Länderspielpause gab nun auch noch Kapitän Mark van Bommel in den Niederlanden ein Interview. Er, ein bekennender van-Gaal-Befürworter, lobte den Trainer, sagte aber auch: "Alles steht und fällt mit diesem Ergebnis." Er meinte das Leverkusen-Spiel am Sonntag. Gestern sah sich van Bommel zwar bemüßigt, vor die Presse zu treten und zu revidieren. "Es wird suggeriert, dass der Trainer gefeuert wird, wenn wir am Sonntag verlieren. Das habe ich aber nicht gesagt."

Doch auch ohne van Bommels Rückzieher haben sie die Partie gegen Leverkusen zum "Spiel der Spiele" (Hoeneß) auserkoren. "Wir müssen einen Befreiungsschlag erringen", appellierte Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge gar im alten Kampfduktus. Was sonst passiert, weiß van Gaal. Er kennt die Gesetzmäßigkeiten der Branche. Es wäre der für ihn schlechteste Ausgang einer Woche, die in München mal wieder als Woche der Entscheidung firmiert.