Hannover verharrt seit Dienstagabend in Trauer (Originalton des Bürgermeisters), Zehntausende Fans ziehen nach dem Selbstmord von Robert Enke spontan durch die Straßen, Millionen im ganzen Land sind erstarrt.

Gestern eine Trauergemeinde wie bei einem Staatsbegräbnis. Die ARD überträgt live, lässt die Reden am Sarg von ihrem Star-Moderator Reinhold Beckmann kommentieren. Kann Trauer maßlos sein?

Jeder Mensch, der stirbt, verdient Mitgefühl. Das gilt erst recht für Robert Enke, den Fußballhelden, das Ausnahmetalent, Träger des Titels "Bester Torhüter der Liga". Aber dieses ungewöhnliche Phänomen einer Massentrauer hat etwas Beklemmendes. Da steht der Sarg im Rund der Arena von Hannover inmitten derselben Öffentlichkeit, an der Robert Enke, der Fußballheld, letztlich tragisch zu Grunde ging. Die Angst, seine Seelennot vor den Fans nicht mehr verbergen zu können, hat ihn in krankhafter Übersteigerung in die Enge getrieben, verbunden mit der schmerzlichen Todessehnsucht eines Depressiven, der den Verlust eines nahen Menschen, den seiner Tochter, nie verkraftet hat.

Robert Enke sah sich gescheitert, weil er seine Depression verbergen musste und sie nicht ehrlich dort ausleben konnte, wo er einen Großteil seiner Kraft herbezog - in der Öffentlichkeit, auf dem Fußballfeld, umjubelt von Fans.

Für sie war es gestern ein großartiger Abschied, ein würdiger. Bleibt die bange Frage: Hätte Enke das auch so gewollt? Ist das in seinem Sinne, dass die Nachwelt ihn zum Übermenschen macht mit den unzeitgemäßen Zügen einer Heiligenverehrung, wie wir sie aus überlebten Jahrhunderten kennen?

Robert Enke ist kein Heiliger. Er hat Mitleid verdient. Er hat es verdient, dass wir eine Lehre aus seinem unrühmlichen Ende ziehen.

DFB-Präsident Theo Zwanziger hat mit der für manche Fans überraschenden Erkenntnis, dass der von den Massen getragene Fußball "nicht alles ist", nicht alles sein darf, in die richtige Richtung gewiesen. Vielleicht öffnet die Trauer über den Fußballhelden neue Türen des Mitgefühls: für den Lokführer, für die Helfer am Ort des Selbstmordgeschehens, für alle, die nicht im Rampenlicht stehen. Nur wenn das Trauer-Großereignis neue Gefühle auslöst, war es in Enkes Sinne. Dazu sind alle aufgerufen: sich umzusehen in der eigenen Familie, im Freundes-, Bekannten-, Kollegenkreis. Wer ist dort in Not? Wer braucht dringend Hilfe? Das wäre Enkes wahres Vermächtnis: ein wenig mehr Zuwendung zu anderen Menschen.