DFB sagt nach Gespräch mit Mannschaftsrat und Trainerstab das für Sonnabend geplante Länderspiel gegen Chile ab. Oliver Bierhoff bricht in Tränen aus.

Bonn. "LIFE IS GRAND" steht in mannshohen Lettern über dem Portal des Mannschaftshotels der Fußball-Nationalmannschaft. "Das Leben ist groß". Der Schriftzug wirkt wie bittere Ironie, denn hinter der Glasfassade der Nobelherberge in Bonn musste Nationalmannschaftsmanager Oliver Bierhoff die Spieler am Dienstagabend über den Tod Robert Enkes informieren. Gestern nun sagte der Deutsche Fußball-Bund (DFB) das für Sonnabend in Köln geplante Länderspiel gegen Chile ab.

Am Morgen nach der Schreckensnachricht liegt ein bleigrauer Himmel über dem Glaspalast. Der wuchtige DFB-Mannschaftsbus steht vor dem Eingang und versperrt die Sicht auf die Eingangshalle, in der sich gewaltige Säulen mit Blumenmustern bis zur Decke strecken. Ein Polizeiwagen ist rechts davon platziert, Sicherheitskräfte sperren die Zufahrt ab, vor der Straßenarbeiter damit beschäftigt sind, die Ränder der neu geteerten Straße zu begradigen. Das Rattern ihres Presslufthammers ist das einzige laute Geräusch in der Umgebung.

Grüppchen von Journalisten stehen zusammen und reden leise. Ein paar Jogger ziehen vorbei, eine ältere Dame führt ihren Hund aus. Warum denn hier so viel los sei, will ein Fahrradfahrer von den Bauarbeitern wissen. Einer klappt seine Ohrenschützer hoch: "Na, der Enke, der Nationaltorwart, ist doch tot." Der Radfahrer nickt betroffen und fährt weiter.

Seit 6.30 Uhr setzt ein Reporter eines Nachrichtensenders seine Statements im Viertelstundentakt ab. Er hat mittlerweile eine rote Nase, denn es ist ungemütlich kalt hier draußen, acht Grad und Nieselregen. Zu beneiden ist der Mann um seinen Job nicht, denn er muss berichten, dass es nichts zu berichten gibt. Kein Spieler tritt vor die Tür, sie huschen in ihren schwarzen und blauen Trainingsjacken nur durch die Lobby.

Bundestrainer Joachim Löw hat die ausschlafen lassen, die schlafen konnten. Ans Trainieren war ohnehin nicht zu denken, nicht einmal im gut ausgestatteten Fitnessraum des Hotels. Um 9.30 Uhr fährt DFB-Präsident Theo Zwanziger vor und eilt in das Hotel - er will Trost spenden, wo kein Trost zu spenden ist. Auch Generalsekretär Wolfgang Niersbach erscheint. Nach einem Gespräch mit Mannschaftsrat und Trainerstab steht die Entscheidung fest: Das Chile-Spiel in Köln wird abgesagt, erst Sonntag trifft sich die Mannschaft wieder, um sich auf die Partie am Mittwoch gegen die Elfenbeinküste vorzubereiten. Nach der Beisetzung Robert Enkes, der eine große Trauerfeier in Hannovers Arena vorausgeht.

"Ich bin stolz auf den Inhalt und die Ernsthaftigkeit des Gespräches. Es gab niemanden, der sofort wieder zur Tagesordnung hätte übergehen wollen", sagte Theo Zwanziger. Jeder Einzelne müsse für sich beantworten, wie viel Zeit er zum Trauern brauche, das Spiel gegen die Südamerikaner wäre zu früh gekommen: "Wir haben den chilenischen Fußballverband angesprochen, und uns wurde gesagt: 'An Ihrer Stelle hätten wir genauso gehandelt.' Ich bin sehr dankbar dafür. Das ist eine große Geste."

Manager Bierhoff bricht während der Pressekonferenz, die mit einer Schweigeminute begann, in Tränen aus: "Ich durfte den Weg von Robert etwas begleiten, wir hatten eine schöne Zeit. Im Namen der Mannschaft und der Trainer möchte ich allen Angehörigen unser tiefes Mitgefühl ausdrücken." Die Fassungslosigkeit wich der Hilflosigkeit, "weil wir festgestellt haben, dass wir nicht unter Roberts Oberfläche schauen konnten", so Bierhoff. In der Mannschaft sei immer wieder die Frage aufgekommen, ob niemand das drohende Unheil hätte spüren können: "Aber keiner von uns hatte Anlass zu glauben, dass er an dieser Krankheit leidet."

Robert Enke war beliebt in der Mannschaft. Keiner wie Lukas Podolski, der mit seinen Jungen-Streichen den Klassenkasper gibt, eher eine Respektsperson. Immer ruhig, stets freundlich. Acht Länderspiele absolvierte er, und Joachim Löw hatte Enke Hoffnung gemacht, bei der Weltmeisterschaft im kommenden Jahr dabei zu sein. Nach seiner Darmerkrankung war der Hannoveraner allerdings nicht für die Länderspiele in Köln und Gelsenkirchen nominiert worden.

In Bonn sagt Löw: "Es fällt mir schwer, die Gefühle zu beschreiben. Ich bin völlig schockiert, völlig leer. Robert war nicht nur ein herausragender Spieler, sondern auch ein toller Mensch. Wir haben wunderbare Gespräche geführt. Er konnte zuhören und ist anderen mit unglaublichem Respekt begegnet. Fairness war für ihn immer ein wichtiger Lebensinhalt. Sein Tod ist ein immenser Verlust. Er wird uns fehlen, als erstklassiger Sportler und als außergewöhnlicher Mensch." Zwanziger, Bierhoff, Löw und Kapitän Michael Ballack nehmen am Gedenkgottesdienst in Hannover teil. "Wir wollen uns von Robert verabschieden. Sonnabend hätte eine Art Abschiedsspiel stattfinden können, aber das wäre zu früh gekommen. Wir werden überlegen, wie wir Enke über diesen November hinaus ehren können", sagt Bierhoff.

Zwanziger kündigt an, dass der Verband seine Lehren aus dem Tod Enkes ziehen werde: "Die Frage nach dem Warum begleitet uns seit gestern Abend. Ich kann diese Frage noch nicht beantworten, aber ich darf sicher sagen: Wir dürfen nie zulassen, dass ein Mensch zu einer so alternativlosen Entscheidung geführt wird." Niemand werde diese Frage schnell beantworten können, sagt der DFB-Präsident: "Aber der deutsche Fußball wird mit seinen Kräften daran arbeiten, um zu ergründen, warum junge Spieler in eine solche Situation kommen können."